Ein kleines Tonstük zum Tanzen. Es ist von un- geradem Takt 3/4 oder ; fängt mit dem Niederschlag an, und hat zwey Theile, jeden gemeiniglich von acht Takten. Die Bewegung ist langsam, und der Vortrag muß wie in einem ausgeziehrten Adagio geschehen: übrigens verträgt es alle Gattungen von Noten. Es gehöret zum Charakter der Sarabande, daß die Modulation in Töne führe, die der Haupt- tonart etwas fremd sind; doch muß der Gesang natürlich bleiben. Deswegen erfodert dies Stük schon einen erfahrnen Tonsezer. Der Ausdruk muß Würde haben, und alles kleine, niedliche muß da- bey vermieden werden.
Der Tanz, der spanischen Ursprunges scheinet, ist ernsthafter, als die Menuet; kann also zu den ernsthaften Charakteren, die mit großer Würde, oder mit Majestät verbunden sind, gebraucht werden.
Satire. (Redende Künste.)
Da die Neuern den Namen der Sache, wovon hier die Rede seyn soll, den Römern abgeborget, seine Bedeutung aber so weit ausgedähnet haben, daß sie etwas unbestimmtes bekommen hat; so wer- den wir am besten thun, wenn wir erst auf die alte Bedeutung zurüke gehen, und hernach aus derselben den Begriff festsezen, den wir gegenwärtig durch die- sen Namen ausdrüken. Ohne auf die zweifelhafte Etymologie zurüke zu gehen, begnügen wir uns an- zumerken, daß die Römer gewissen Gedichten, darin die Thorheiten und Laster einzeler Personen und gan- zer Stände scharf, beißend oder spöttisch durchgezo- gen, und mit einiger Ausführlichkeit in ihr häßli- ches Licht gesezt worden, den Namen der Satiren [Spaltenumbruch]
gegeben. Die Satiren des Horaz, Juvenalis und Persius sind jederman bekannt, und können hier als Beyspiehle der römischen Satire angeführt wer- den. Die Römer geben sich für die Erfinder dieser Art des Gedichtes aus. (+) Da aber die Namen Satyra, Satura oder Satira weit älter sind, als Lu- cilius, so erhellet daraus, daß Horaz nur von der Form der Satire spricht, die er und seine beyden Nachfolger beybehalten haben. Auch Ennius, Pa- cuvius, Varro und andre haben Gedichte geschrie- ben, die den Namen Satirae trugen, aber von einer andern Art waren. Der ausdrüklichen Zeugnisse, die wir so eben angeführt haben, ungeachtet, halten einige Neuere, die Satire für griechischen Ursprungs. Wem mit einer ausführlichen Untersuchung hierüber gedient seyn mag, den verweisen wir auf Drydens Abhandlung von dem Ursprung und Fortgang der Satire. (++)
Wir wollen die critische Untersuchung dieser Sa- che den Gelehrten überlassen, und hier nur einige Beobachtungen beybringen, die uns auf Entdekung der eigentlichen Quelle, aus der dieses Gedicht ent- springet, führen werden.
Jch habe bereits anderswo (*) erinnert, es sey bey gewissen Festen und Feyerlichkeiten der Griechen und Römer eine alte Gewohnheit gewesen, die Zu- schauer mit allerhand Schimpf- und Spottreden zu belustigen. Die Sache selbst scheinet mir etwas so merkwürdiges zu haben, daß sie ein gründliches Nach- forschen ihres Ursprunges wol werth wäre. Meine Kenntnis reicht dazu nicht hin; indessen will ich das Wenige, was ich hierüber zu sagen im Stande bin, anführen. Lucian sagt ausdrüklich, daß die Schimpf- reden einen Theil der Feyerlichkeiten der Bacchus- feste ausgemacht haben. Es scheinet aber, daß dergleichen bey mehrern Festen vorgekommen seyen.
Hero-
(+)[Spaltenumbruch] Horaz sagt vom Lucllius, -- fuerit limatior quam rudis et Graecis intacti carminis auctor, und bezeichnet ver- muthlich den Ennius dadurch. Quintilian sagt: Satira quidem tota nostra est. Inst. L. X. c. 1. und Diemedes schreibet davon: Satira est carmen apud Romanos, non qui- dem apud Graecos, maledicum et ad carpenda hominum vi- tia, archaeae Comoediae caractere compositum; quale scrip- [Spaltenumbruch]
serunt Lucilius et Horatius et Persius. Sed olim carmen quod ex variis poematibus constabat Satira dicebatur, quale scripserunt Pacuvius et Ennius. Diom. L. III.
(++) Sie ist in der Sammlung vermischter Schriften zur Beförderung der schönen Wissenschaften und freyen Künste die in Berlin bey Nicolai herausgekommen ist, in dem V Theile, deutsch zu finden.
(*) S. Aristopha- nes; Co- mödie.
Zweyter Theil. H h h h h h
S.
[Spaltenumbruch]
Sarabande. (Muſik. Tanz.)
Ein kleines Tonſtuͤk zum Tanzen. Es iſt von un- geradem Takt ¾ oder ; faͤngt mit dem Niederſchlag an, und hat zwey Theile, jeden gemeiniglich von acht Takten. Die Bewegung iſt langſam, und der Vortrag muß wie in einem ausgeziehrten Adagio geſchehen: uͤbrigens vertraͤgt es alle Gattungen von Noten. Es gehoͤret zum Charakter der Sarabande, daß die Modulation in Toͤne fuͤhre, die der Haupt- tonart etwas fremd ſind; doch muß der Geſang natuͤrlich bleiben. Deswegen erfodert dies Stuͤk ſchon einen erfahrnen Tonſezer. Der Ausdruk muß Wuͤrde haben, und alles kleine, niedliche muß da- bey vermieden werden.
Der Tanz, der ſpaniſchen Urſprunges ſcheinet, iſt ernſthafter, als die Menuet; kann alſo zu den ernſthaften Charakteren, die mit großer Wuͤrde, oder mit Majeſtaͤt verbunden ſind, gebraucht werden.
Satire. (Redende Kuͤnſte.)
Da die Neuern den Namen der Sache, wovon hier die Rede ſeyn ſoll, den Roͤmern abgeborget, ſeine Bedeutung aber ſo weit ausgedaͤhnet haben, daß ſie etwas unbeſtimmtes bekommen hat; ſo wer- den wir am beſten thun, wenn wir erſt auf die alte Bedeutung zuruͤke gehen, und hernach aus derſelben den Begriff feſtſezen, den wir gegenwaͤrtig durch die- ſen Namen ausdruͤken. Ohne auf die zweifelhafte Etymologie zuruͤke zu gehen, begnuͤgen wir uns an- zumerken, daß die Roͤmer gewiſſen Gedichten, darin die Thorheiten und Laſter einzeler Perſonen und gan- zer Staͤnde ſcharf, beißend oder ſpoͤttiſch durchgezo- gen, und mit einiger Ausfuͤhrlichkeit in ihr haͤßli- ches Licht geſezt worden, den Namen der Satiren [Spaltenumbruch]
gegeben. Die Satiren des Horaz, Juvenalis und Perſius ſind jederman bekannt, und koͤnnen hier als Beyſpiehle der roͤmiſchen Satire angefuͤhrt wer- den. Die Roͤmer geben ſich fuͤr die Erfinder dieſer Art des Gedichtes aus. (†) Da aber die Namen Satyra, Satura oder Satira weit aͤlter ſind, als Lu- cilius, ſo erhellet daraus, daß Horaz nur von der Form der Satire ſpricht, die er und ſeine beyden Nachfolger beybehalten haben. Auch Ennius, Pa- cuvius, Varro und andre haben Gedichte geſchrie- ben, die den Namen Satiræ trugen, aber von einer andern Art waren. Der ausdruͤklichen Zeugniſſe, die wir ſo eben angefuͤhrt haben, ungeachtet, halten einige Neuere, die Satire fuͤr griechiſchen Urſprungs. Wem mit einer ausfuͤhrlichen Unterſuchung hieruͤber gedient ſeyn mag, den verweiſen wir auf Drydens Abhandlung von dem Urſprung und Fortgang der Satire. (††)
Wir wollen die critiſche Unterſuchung dieſer Sa- che den Gelehrten uͤberlaſſen, und hier nur einige Beobachtungen beybringen, die uns auf Entdekung der eigentlichen Quelle, aus der dieſes Gedicht ent- ſpringet, fuͤhren werden.
Jch habe bereits anderswo (*) erinnert, es ſey bey gewiſſen Feſten und Feyerlichkeiten der Griechen und Roͤmer eine alte Gewohnheit geweſen, die Zu- ſchauer mit allerhand Schimpf- und Spottreden zu beluſtigen. Die Sache ſelbſt ſcheinet mir etwas ſo merkwuͤrdiges zu haben, daß ſie ein gruͤndliches Nach- forſchen ihres Urſprunges wol werth waͤre. Meine Kenntnis reicht dazu nicht hin; indeſſen will ich das Wenige, was ich hieruͤber zu ſagen im Stande bin, anfuͤhren. Lucian ſagt ausdruͤklich, daß die Schimpf- reden einen Theil der Feyerlichkeiten der Bacchus- feſte ausgemacht haben. Es ſcheinet aber, daß dergleichen bey mehrern Feſten vorgekommen ſeyen.
Hero-
(†)[Spaltenumbruch] Horaz ſagt vom Lucllius, — fuerit limatior quam rudis et Græcis intacti carminis auctor, und bezeichnet ver- muthlich den Ennius dadurch. Quintilian ſagt: Satira quidem tota noſtra eſt. Inſt. L. X. c. 1. und Diemedes ſchreibet davon: Satira eſt carmen apud Romanos, non qui- dem apud Græcos, maledicum et ad carpenda hominum vi- tia, archææ Comœdiæ caractere compoſitum; quale ſcrip- [Spaltenumbruch]
ſerunt Lucilius et Horatius et Perſius. Sed olim carmen quod ex variis poematibus conſtabat Satira dicebatur, quale ſcripſerunt Pacuvius et Ennius. Diom. L. III.
(††) Sie iſt in der Sammlung vermiſchter Schriften zur Befoͤrderung der ſchoͤnen Wiſſenſchaften und freyen Kuͤnſte die in Berlin bey Nicolai herausgekommen iſt, in dem V Theile, deutſch zu finden.
(*) S. Ariſtopha- nes; Co- moͤdie.
Zweyter Theil. H h h h h h
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[995[977]/0424]
S.
Sarabande.
(Muſik. Tanz.)
Ein kleines Tonſtuͤk zum Tanzen. Es iſt von un-
geradem Takt ¾ oder [FORMEL]; faͤngt mit dem Niederſchlag
an, und hat zwey Theile, jeden gemeiniglich von
acht Takten. Die Bewegung iſt langſam, und der
Vortrag muß wie in einem ausgeziehrten Adagio
geſchehen: uͤbrigens vertraͤgt es alle Gattungen von
Noten. Es gehoͤret zum Charakter der Sarabande,
daß die Modulation in Toͤne fuͤhre, die der Haupt-
tonart etwas fremd ſind; doch muß der Geſang
natuͤrlich bleiben. Deswegen erfodert dies Stuͤk
ſchon einen erfahrnen Tonſezer. Der Ausdruk muß
Wuͤrde haben, und alles kleine, niedliche muß da-
bey vermieden werden.
Der Tanz, der ſpaniſchen Urſprunges ſcheinet,
iſt ernſthafter, als die Menuet; kann alſo zu den
ernſthaften Charakteren, die mit großer Wuͤrde, oder
mit Majeſtaͤt verbunden ſind, gebraucht werden.
Satire.
(Redende Kuͤnſte.)
Da die Neuern den Namen der Sache, wovon
hier die Rede ſeyn ſoll, den Roͤmern abgeborget,
ſeine Bedeutung aber ſo weit ausgedaͤhnet haben,
daß ſie etwas unbeſtimmtes bekommen hat; ſo wer-
den wir am beſten thun, wenn wir erſt auf die alte
Bedeutung zuruͤke gehen, und hernach aus derſelben
den Begriff feſtſezen, den wir gegenwaͤrtig durch die-
ſen Namen ausdruͤken. Ohne auf die zweifelhafte
Etymologie zuruͤke zu gehen, begnuͤgen wir uns an-
zumerken, daß die Roͤmer gewiſſen Gedichten, darin
die Thorheiten und Laſter einzeler Perſonen und gan-
zer Staͤnde ſcharf, beißend oder ſpoͤttiſch durchgezo-
gen, und mit einiger Ausfuͤhrlichkeit in ihr haͤßli-
ches Licht geſezt worden, den Namen der Satiren
gegeben. Die Satiren des Horaz, Juvenalis und
Perſius ſind jederman bekannt, und koͤnnen hier
als Beyſpiehle der roͤmiſchen Satire angefuͤhrt wer-
den. Die Roͤmer geben ſich fuͤr die Erfinder dieſer
Art des Gedichtes aus. (†) Da aber die Namen
Satyra, Satura oder Satira weit aͤlter ſind, als Lu-
cilius, ſo erhellet daraus, daß Horaz nur von der
Form der Satire ſpricht, die er und ſeine beyden
Nachfolger beybehalten haben. Auch Ennius, Pa-
cuvius, Varro und andre haben Gedichte geſchrie-
ben, die den Namen Satiræ trugen, aber von einer
andern Art waren. Der ausdruͤklichen Zeugniſſe,
die wir ſo eben angefuͤhrt haben, ungeachtet, halten
einige Neuere, die Satire fuͤr griechiſchen Urſprungs.
Wem mit einer ausfuͤhrlichen Unterſuchung hieruͤber
gedient ſeyn mag, den verweiſen wir auf Drydens
Abhandlung von dem Urſprung und Fortgang der
Satire. (††)
Wir wollen die critiſche Unterſuchung dieſer Sa-
che den Gelehrten uͤberlaſſen, und hier nur einige
Beobachtungen beybringen, die uns auf Entdekung
der eigentlichen Quelle, aus der dieſes Gedicht ent-
ſpringet, fuͤhren werden.
Jch habe bereits anderswo (*) erinnert, es ſey
bey gewiſſen Feſten und Feyerlichkeiten der Griechen
und Roͤmer eine alte Gewohnheit geweſen, die Zu-
ſchauer mit allerhand Schimpf- und Spottreden zu
beluſtigen. Die Sache ſelbſt ſcheinet mir etwas ſo
merkwuͤrdiges zu haben, daß ſie ein gruͤndliches Nach-
forſchen ihres Urſprunges wol werth waͤre. Meine
Kenntnis reicht dazu nicht hin; indeſſen will ich das
Wenige, was ich hieruͤber zu ſagen im Stande bin,
anfuͤhren. Lucian ſagt ausdruͤklich, daß die Schimpf-
reden einen Theil der Feyerlichkeiten der Bacchus-
feſte ausgemacht haben. Es ſcheinet aber, daß
dergleichen bey mehrern Feſten vorgekommen ſeyen.
Hero-
(†)
Horaz ſagt vom Lucllius, — fuerit limatior quam
rudis et Græcis intacti carminis auctor, und bezeichnet ver-
muthlich den Ennius dadurch. Quintilian ſagt: Satira
quidem tota noſtra eſt. Inſt. L. X. c. 1. und Diemedes
ſchreibet davon: Satira eſt carmen apud Romanos, non qui-
dem apud Græcos, maledicum et ad carpenda hominum vi-
tia, archææ Comœdiæ caractere compoſitum; quale ſcrip-
ſerunt Lucilius et Horatius et Perſius. Sed olim carmen
quod ex variis poematibus conſtabat Satira dicebatur, quale
ſcripſerunt Pacuvius et Ennius. Diom. L. III.
(††) Sie iſt in der Sammlung vermiſchter Schriften
zur Befoͤrderung der ſchoͤnen Wiſſenſchaften und freyen
Kuͤnſte die in Berlin bey Nicolai herausgekommen iſt,
in dem V Theile, deutſch zu finden.
(*) S.
Ariſtopha-
nes; Co-
moͤdie.
Zweyter Theil. H h h h h h
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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 995[977]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/424>, abgerufen am 08.11.2024.
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