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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Sin
nun Denkmäler zum Andenken merkwürdiger Per-
sonen, oder Sachen gesezt werden, über deren be-
sondere und seltene Beschaffenheit insgemein eine
kurze Aufschrift die nöthige Auskunft giebt; so ist
das Sinngedicht ein ähnliches poetisches Monument,
das wir mit einem einzigen Blik übersehen. Das
bekannte Distichon:

Infelix Dido! nulli bene nupta marito:
Hoc pereunte fugis; hoc fugiente peris.

bringt uns die berühmte Dido, als ein außeror-
dentliches Beyspiehl einer durch Heyrath unglüklichen
Person vor Augen, und zeiget in ein paar Worten,
worin das Seltene ihres Schiksals bestanden habe.
Der erste Vers ist gleichsam die Statue, oder das
Denkmal, das uns die Person in merkwürdiger
Stellung vor das Gesichte bringt, und der zweyte
Vers ist wie die Aufschrift derselben, die uns die
Sach in zwey Worten erkläret. Dieses ist der ei-
gentliche Charakter des Sinngedichtes.

Es hat diesem zufolge, wenn es vollkommen seyn
soll, zwey Theile, die der angeführte Kunstrichter Er-
wartung
und Aufschlus nennt, und die wir mit
dem Monument und seiner Aufschrift vergliechen
haben. Nur denn ist es vollkommen, wenn es
diese beyden Theile hat, die man auch in der Spra-
che der philosophischen Schule das Subjekt und das
Prädicat nennen könnte, und wenn jeder genau,
nachdrüklich und kurz gezeichnet ist.

Jndessen nihmt man die Sache nicht immer so sehr
genau, daß man nicht auch solche kleine Gedichte,
die eigentlich nur die Hälfte des vollkommenen
Sinngedichtes ausmachen, mit unter diese Art
zählte. Bisweilen besteht es blos aus dem zwey-
ten Theil, da der erste durch die Ueberschrift ange-
zeiget wird. Man findet z. B. in den sogenannten
Menagianis folgendes:

Ueber ein kleines Lustwäldchen das mit Wasser
umgeben ist.

Hic Cytherea tuo poteras cum Marte jacere,
Vulcanus prohibetur aquis, sol pellitur umbris.

Diese zwey Verse sind eigentlich nur die Aufschrift;
das Denkmal, oder die Sache selbst wird durch die
Ueberschrift angezeiget. Das Sinngedicht wäre
vollständig, wenn in ein paar vorhergehenden Ver-
sen gesagt würde: Dieses Wäldchen ist mit Wasser
umgeben und dichte mit Bäumen bepflanzt, und

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Sin
der Venus geweyht. Von dieser Art ist auch fol-
gendes aus der Anthologie:

Ek zoes me theoi theuxan lithon. Ek de lithoio
Zoen Praxiteles empalin eirgasato.

Es ist blos die Aufschrift auf die Statue der Niobe
von Praxiteles. Der erste Theil fehlt ihm. An-
dern fehlet der zweyte Theil; sie zeigen uns blos
die Sache, und überlassen uns, eine anständige
Aufschrift darauf zu machen. Von dieser Art ist
folgendes, von unserm Kleist:

Als Pätus auf Befehl des Kaysers sterben sollte,
Und ungern einen Tod sich selber wählen wollte:
Durchstach sich Arria. Mit heiterem Gesicht
Gab sie den Dolch dem Mann und sprach: Es schmer-
zet nicht.

Etwas mehr ist folgendes, denn ob es gleich scheinet,
als stellte es nur das Subjekt vor, so empfindet
man doch besonders bey den zwey lezten Worten,
daß es das Prädicat, oder die Aufschrift schon in
sich schließet:

Doulos Epiktetos genomen, kai somati peros,
Kai penien Iros, kai philos Athanatois.

So viel sey von dem Charakter und der Form dieses
Gedichts gesagt.

Der Dichter hat dabey nicht allemal einerley Ab-
sicht; so wie auch die Denkmäler selbst nicht allemal
einerley Endzwek haben. Einige dienen blos das
Andenken würklich außerordentlicher Begebenheiten,
Glüks- und Unglüksfälle im Andenken zu erhalten;
andere haben Lob und noch andere Schande zur Ab-
sicht, und eben dieses hat auch bey dem Sinnge-
dichte statt. Und da diese Denkmäler wenig Auf-
wand erfodern, so beehret man auch bloße Thoren
damit, um den Klügern die Lust zu machen über
sie zu lachen. So ziehlt folgendes blos ab das An-
denken einer ganz besonderen und außerordentlichen
Begebenheit zu erhalten.

Una dies Fabios ad bellum miserat omnes,
Ad bellum missos perdidit una dies.

Jn diese Classe rechnen wir alle, die blos über-
raschen, die durch das Seltsame der Sach Verwun-
drung, oder durch das Ungereimte und Närrische,
Lachen erweken.

Man sieht aber, ohne mein Erinnern, daß die,
welche ein feines, zur Nacheyferung reizendes Lob,
oder einen recht beißenden Spott und empfindlichen
Tadel zur Absicht haben, die wichtigern sind. Von

dieser

[Spaltenumbruch]

Sin
nun Denkmaͤler zum Andenken merkwuͤrdiger Per-
ſonen, oder Sachen geſezt werden, uͤber deren be-
ſondere und ſeltene Beſchaffenheit insgemein eine
kurze Aufſchrift die noͤthige Auskunft giebt; ſo iſt
das Sinngedicht ein aͤhnliches poetiſches Monument,
das wir mit einem einzigen Blik uͤberſehen. Das
bekannte Diſtichon:

Infelix Dido! nulli bene nupta marito:
Hoc pereunte fugis; hoc fugiente peris.

bringt uns die beruͤhmte Dido, als ein außeror-
dentliches Beyſpiehl einer durch Heyrath ungluͤklichen
Perſon vor Augen, und zeiget in ein paar Worten,
worin das Seltene ihres Schikſals beſtanden habe.
Der erſte Vers iſt gleichſam die Statue, oder das
Denkmal, das uns die Perſon in merkwuͤrdiger
Stellung vor das Geſichte bringt, und der zweyte
Vers iſt wie die Aufſchrift derſelben, die uns die
Sach in zwey Worten erklaͤret. Dieſes iſt der ei-
gentliche Charakter des Sinngedichtes.

Es hat dieſem zufolge, wenn es vollkommen ſeyn
ſoll, zwey Theile, die der angefuͤhrte Kunſtrichter Er-
wartung
und Aufſchlus nennt, und die wir mit
dem Monument und ſeiner Aufſchrift vergliechen
haben. Nur denn iſt es vollkommen, wenn es
dieſe beyden Theile hat, die man auch in der Spra-
che der philoſophiſchen Schule das Subjekt und das
Praͤdicat nennen koͤnnte, und wenn jeder genau,
nachdruͤklich und kurz gezeichnet iſt.

Jndeſſen nihmt man die Sache nicht immer ſo ſehr
genau, daß man nicht auch ſolche kleine Gedichte,
die eigentlich nur die Haͤlfte des vollkommenen
Sinngedichtes ausmachen, mit unter dieſe Art
zaͤhlte. Bisweilen beſteht es blos aus dem zwey-
ten Theil, da der erſte durch die Ueberſchrift ange-
zeiget wird. Man findet z. B. in den ſogenannten
Menagianis folgendes:

Ueber ein kleines Luſtwaͤldchen das mit Waſſer
umgeben iſt.

Hic Cytherea tuo poteras cum Marte jacere,
Vulcanus prohibetur aquis, ſol pellitur umbris.

Dieſe zwey Verſe ſind eigentlich nur die Aufſchrift;
das Denkmal, oder die Sache ſelbſt wird durch die
Ueberſchrift angezeiget. Das Sinngedicht waͤre
vollſtaͤndig, wenn in ein paar vorhergehenden Ver-
ſen geſagt wuͤrde: Dieſes Waͤldchen iſt mit Waſſer
umgeben und dichte mit Baͤumen bepflanzt, und

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Sin
der Venus geweyht. Von dieſer Art iſt auch fol-
gendes aus der Anthologie:

Ἐκ ζωης με θεοι ϑευξαν λιθον. Ἐκ δε λιθοιο
Ζωην Πραξιτελης ἐμπαλιν ἐιργασατο.

Es iſt blos die Aufſchrift auf die Statue der Niobe
von Praxiteles. Der erſte Theil fehlt ihm. An-
dern fehlet der zweyte Theil; ſie zeigen uns blos
die Sache, und uͤberlaſſen uns, eine anſtaͤndige
Aufſchrift darauf zu machen. Von dieſer Art iſt
folgendes, von unſerm Kleiſt:

Als Paͤtus auf Befehl des Kayſers ſterben ſollte,
Und ungern einen Tod ſich ſelber waͤhlen wollte:
Durchſtach ſich Arria. Mit heiterem Geſicht
Gab ſie den Dolch dem Mann und ſprach: Es ſchmer-
zet nicht.

Etwas mehr iſt folgendes, denn ob es gleich ſcheinet,
als ſtellte es nur das Subjekt vor, ſo empfindet
man doch beſonders bey den zwey lezten Worten,
daß es das Praͤdicat, oder die Aufſchrift ſchon in
ſich ſchließet:

Δουλος Επικτητος γενομεν, και σωματι πηρος,
Και πενιην Ἰρος, και φιλος Ἀϑανατοις.

So viel ſey von dem Charakter und der Form dieſes
Gedichts geſagt.

Der Dichter hat dabey nicht allemal einerley Ab-
ſicht; ſo wie auch die Denkmaͤler ſelbſt nicht allemal
einerley Endzwek haben. Einige dienen blos das
Andenken wuͤrklich außerordentlicher Begebenheiten,
Gluͤks- und Ungluͤksfaͤlle im Andenken zu erhalten;
andere haben Lob und noch andere Schande zur Ab-
ſicht, und eben dieſes hat auch bey dem Sinnge-
dichte ſtatt. Und da dieſe Denkmaͤler wenig Auf-
wand erfodern, ſo beehret man auch bloße Thoren
damit, um den Kluͤgern die Luſt zu machen uͤber
ſie zu lachen. So ziehlt folgendes blos ab das An-
denken einer ganz beſonderen und außerordentlichen
Begebenheit zu erhalten.

Una dies Fabios ad bellum miſerat omnes,
Ad bellum miſſos perdidit una dies.

Jn dieſe Claſſe rechnen wir alle, die blos uͤber-
raſchen, die durch das Seltſame der Sach Verwun-
drung, oder durch das Ungereimte und Naͤrriſche,
Lachen erweken.

Man ſieht aber, ohne mein Erinnern, daß die,
welche ein feines, zur Nacheyferung reizendes Lob,
oder einen recht beißenden Spott und empfindlichen
Tadel zur Abſicht haben, die wichtigern ſind. Von

dieſer
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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 1082[1064]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/511>, abgerufen am 16.05.2024.