gern Poußin, von Salvator Rosa, von Everdingen, die etwas so großes haben, daß sie Bewundrung und einen Schauder erweken, die der Würkung des Erhabenen ganz nahe kommen.
Diese Betrachtungen können uns die Grundsäze zur Beurtheilung der innern Vollkommenheit der Landschaft an die Hand geben, die von dem Werth des gemahlten Gegenstandes herkommt. Wie jedes historische Gemähld in seiner Art gut ist, wenn es eine Scene aus der sittlichen Welt vorstellt, die auf eine merklich lebhafte Weise heilsame Empfin- dungen erweket, und sittliche Begriffe nachdrüklich in uns veranlaßet, oder erneuert; so ist auch die Landschaft in ihrer Art gut, die ähnliche Scenen der leblosen Natur vorstellt; fürnehmlich alsdenn, wenn dieselben noch mit übereinstimmenden Gegen- ständen aus der sittlichen Welt erhöhet werden. Wie man in der menschlichen Bildung nicht blos todte Formen verschiedentlich abgeändert, und in ein gefälliges Ebenmaas angeordnet, siehet, sondern innere Kräfte, eine nach Grundsäzen handelnde, und von verschiedenen Neigungen belebte Seel' empfin- det; so muß man auch in der Landschaft mehr als todten Stoff sehen. Es muß etwas darin seyn, das nicht blos dem Auge schmeichelt, sondern Gedanken erweket, Neigungen rege macht, und Empfindun- gen hervorloket; denn eben in dieser Absicht hat die Natur die rohe Materie mit so mannigfaltigen Far- ben und Formen bekleidet, aus denen eine zwar stumme, aber empfindsamen Seelen doch ver- ständliche Sprach entsteht, in welcher sie den Menschen unterrichtet, und bildet. Einige Wörter dieser Sprache müssen wir in jeder Landschaft lesen, wenn wir ihr einen Werth beylegen sollen. Sollte der Mensch, dem Himmel und Erde, wie um die Wette sich bemühen, sein Wesen zu erheben, und seine Seele zu erheitern; sollt er sich enthalten kön- nen, bey dem allgemeinen lieblichen Lächeln der Na- tur empfindlich zu seyn? Sollten wilde Leiden- schaften an seiner Brust nagen können, da vor ihm [Spaltenumbruch]
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alles Ruhe und Friede haucht, und aus jedem Busch liebliche Gesänge in sein Ohr kommen (+)? An solchen redenden Scenen ist die Natur uner- schöpflich, und der Landschaftmahler muß sie für uns aufsuchen. Bald muß er uns zu betrachten- den Ernst einladen, bald zur Fröhlichkeit ermun- tern: izt aus dem Getümmel der Welt in die Ein- samkeit loken, denn uns einer schläfrigen Trägheit entziehen, und durch die allgemeine Würksamkeit der immer beschäftigten Natur, zum Mitwürken für das allgemeine Beste anspornen. Der Mahler, dem die Sprache der Natur nicht verständlich ist, der uns blos durch Mannigfaltigkeit der Farben und Formen ergözen will, kennet die Kraft seiner Kunst nicht. Wann er nicht wie Haller, Thomson und Kleist, durch die Betrachtung der Natur in alle Gegenden der sittlichen Welt geführt wird, so richtet er durch Zeichnung und Farben nichts aus.
Hat er aber Verstand und Empsindung genug, den Geist und die Seele, der vor ihm liegenden Materie zu empfinden, so wird er ohne Mühe, um sie auch uns desto lebhafter fühlen zu lassen, sittliche Gegenstände seiner eigenen Erfindung einmischen können. Es ist in dem ganzen Umfange der Künste kein weiteres Feld, Talente, Kenntnis und Empfin- dung mannigfaltiger anzuwenden, als hier. Jch wünschte es zu erleben, daß die Kupferstecherkunst von der Mahlerey unterstüzet, nach der Art der Aberlischen Landschaften (++), den Liebhabern der Kunst das mannigfaltige Genie der Natur aus jedem Himmelsstrich, in ausgesuchten Scenen vor Augen legte. So könnte man alles, was die leblose Natur unterrichtendes und rührendes hat, aus allen Thei- len der Welt in ein Zimmer zusammenbringen. Würde man noch jeder Landschaft Auftritte aus der thierischen und sittlichen Welt, die sich dazu schiken, beyfügen, so würde eine solche Sammlung für den Verstand und das Gemüth eine höchst nüzliche Schule des Unterrichts seyn. Das Merkwürdigste von dem Genie, der Lebensart, den Geschäften und den Sit-
ten
(+)When Heaven and Earth, as is contending, vye To raise his Being, and serene his soul; Can he sorbear to join the general Smile. Of Nature? Can fierce passions vex his Breast While every Gale is Peace, and every Grove Is Melody? -- Thomsons spring. vs. 861 f. f.
(++) Hr. Aberli ein schweizerischer Landschastmahler, der in Bern lebt, giebt seit einiger Zeit Landschaften her- aus, darin das vornehmste der Zeichnung, zum Theil blos in flüchtigen Umrissen in Kupfer geäzt, das übrige mit Wasserfarben ausgeführt ist. Ein sehr glüklicher Einfall der die Aufmunterung der Liebhaber, und das fernere Nach- denken des Künstlers vorzüglich verdienet.
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gern Poußin, von Salvator Roſa, von Everdingen, die etwas ſo großes haben, daß ſie Bewundrung und einen Schauder erweken, die der Wuͤrkung des Erhabenen ganz nahe kommen.
Dieſe Betrachtungen koͤnnen uns die Grundſaͤze zur Beurtheilung der innern Vollkommenheit der Landſchaft an die Hand geben, die von dem Werth des gemahlten Gegenſtandes herkommt. Wie jedes hiſtoriſche Gemaͤhld in ſeiner Art gut iſt, wenn es eine Scene aus der ſittlichen Welt vorſtellt, die auf eine merklich lebhafte Weiſe heilſame Empfin- dungen erweket, und ſittliche Begriffe nachdruͤklich in uns veranlaßet, oder erneuert; ſo iſt auch die Landſchaft in ihrer Art gut, die aͤhnliche Scenen der lebloſen Natur vorſtellt; fuͤrnehmlich alsdenn, wenn dieſelben noch mit uͤbereinſtimmenden Gegen- ſtaͤnden aus der ſittlichen Welt erhoͤhet werden. Wie man in der menſchlichen Bildung nicht blos todte Formen verſchiedentlich abgeaͤndert, und in ein gefaͤlliges Ebenmaas angeordnet, ſiehet, ſondern innere Kraͤfte, eine nach Grundſaͤzen handelnde, und von verſchiedenen Neigungen belebte Seel’ empfin- det; ſo muß man auch in der Landſchaft mehr als todten Stoff ſehen. Es muß etwas darin ſeyn, das nicht blos dem Auge ſchmeichelt, ſondern Gedanken erweket, Neigungen rege macht, und Empfindun- gen hervorloket; denn eben in dieſer Abſicht hat die Natur die rohe Materie mit ſo mannigfaltigen Far- ben und Formen bekleidet, aus denen eine zwar ſtumme, aber empfindſamen Seelen doch ver- ſtaͤndliche Sprach entſteht, in welcher ſie den Menſchen unterrichtet, und bildet. Einige Woͤrter dieſer Sprache muͤſſen wir in jeder Landſchaft leſen, wenn wir ihr einen Werth beylegen ſollen. Sollte der Menſch, dem Himmel und Erde, wie um die Wette ſich bemuͤhen, ſein Weſen zu erheben, und ſeine Seele zu erheitern; ſollt er ſich enthalten koͤn- nen, bey dem allgemeinen lieblichen Laͤcheln der Na- tur empfindlich zu ſeyn? Sollten wilde Leiden- ſchaften an ſeiner Bruſt nagen koͤnnen, da vor ihm [Spaltenumbruch]
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alles Ruhe und Friede haucht, und aus jedem Buſch liebliche Geſaͤnge in ſein Ohr kommen (†)? An ſolchen redenden Scenen iſt die Natur uner- ſchoͤpflich, und der Landſchaftmahler muß ſie fuͤr uns aufſuchen. Bald muß er uns zu betrachten- den Ernſt einladen, bald zur Froͤhlichkeit ermun- tern: izt aus dem Getuͤmmel der Welt in die Ein- ſamkeit loken, denn uns einer ſchlaͤfrigen Traͤgheit entziehen, und durch die allgemeine Wuͤrkſamkeit der immer beſchaͤftigten Natur, zum Mitwuͤrken fuͤr das allgemeine Beſte anſpornen. Der Mahler, dem die Sprache der Natur nicht verſtaͤndlich iſt, der uns blos durch Mannigfaltigkeit der Farben und Formen ergoͤzen will, kennet die Kraft ſeiner Kunſt nicht. Wann er nicht wie Haller, Thomſon und Kleiſt, durch die Betrachtung der Natur in alle Gegenden der ſittlichen Welt gefuͤhrt wird, ſo richtet er durch Zeichnung und Farben nichts aus.
Hat er aber Verſtand und Empſindung genug, den Geiſt und die Seele, der vor ihm liegenden Materie zu empfinden, ſo wird er ohne Muͤhe, um ſie auch uns deſto lebhafter fuͤhlen zu laſſen, ſittliche Gegenſtaͤnde ſeiner eigenen Erfindung einmiſchen koͤnnen. Es iſt in dem ganzen Umfange der Kuͤnſte kein weiteres Feld, Talente, Kenntnis und Empfin- dung mannigfaltiger anzuwenden, als hier. Jch wuͤnſchte es zu erleben, daß die Kupferſtecherkunſt von der Mahlerey unterſtuͤzet, nach der Art der Aberliſchen Landſchaften (††), den Liebhabern der Kunſt das mannigfaltige Genie der Natur aus jedem Himmelsſtrich, in ausgeſuchten Scenen vor Augen legte. So koͤnnte man alles, was die lebloſe Natur unterrichtendes und ruͤhrendes hat, aus allen Thei- len der Welt in ein Zimmer zuſammenbringen. Wuͤrde man noch jeder Landſchaft Auftritte aus der thieriſchen und ſittlichen Welt, die ſich dazu ſchiken, beyfuͤgen, ſo wuͤrde eine ſolche Sammlung fuͤr den Verſtand und das Gemuͤth eine hoͤchſt nuͤzliche Schule des Unterrichts ſeyn. Das Merkwuͤrdigſte von dem Genie, der Lebensart, den Geſchaͤften und den Sit-
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(†)When Heaven and Earth, as iſ contending, vye To raiſe his Being, and ſerene his ſoul; Can he ſorbear to join the general Smile. Of Nature? Can fierce paſſions vex his Breaſt While every Gale is Peace, and every Grove Is Melody? — Thomſons ſpring. vs. 861 f. f.
(††) Hr. Aberli ein ſchweizeriſcher Landſchaſtmahler, der in Bern lebt, giebt ſeit einiger Zeit Landſchaften her- aus, darin das vornehmſte der Zeichnung, zum Theil blos in fluͤchtigen Umriſſen in Kupfer geaͤzt, das uͤbrige mit Waſſerfarben ausgefuͤhrt iſt. Ein ſehr gluͤklicher Einfall der die Aufmunterung der Liebhaber, und das fernere Nach- denken des Kuͤnſtlers vorzuͤglich verdienet.
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[655/0090]
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gern Poußin, von Salvator Roſa, von Everdingen,
die etwas ſo großes haben, daß ſie Bewundrung
und einen Schauder erweken, die der Wuͤrkung des
Erhabenen ganz nahe kommen.
Dieſe Betrachtungen koͤnnen uns die Grundſaͤze
zur Beurtheilung der innern Vollkommenheit der
Landſchaft an die Hand geben, die von dem Werth
des gemahlten Gegenſtandes herkommt. Wie jedes
hiſtoriſche Gemaͤhld in ſeiner Art gut iſt, wenn es
eine Scene aus der ſittlichen Welt vorſtellt, die
auf eine merklich lebhafte Weiſe heilſame Empfin-
dungen erweket, und ſittliche Begriffe nachdruͤklich
in uns veranlaßet, oder erneuert; ſo iſt auch die
Landſchaft in ihrer Art gut, die aͤhnliche Scenen
der lebloſen Natur vorſtellt; fuͤrnehmlich alsdenn,
wenn dieſelben noch mit uͤbereinſtimmenden Gegen-
ſtaͤnden aus der ſittlichen Welt erhoͤhet werden.
Wie man in der menſchlichen Bildung nicht blos
todte Formen verſchiedentlich abgeaͤndert, und in ein
gefaͤlliges Ebenmaas angeordnet, ſiehet, ſondern
innere Kraͤfte, eine nach Grundſaͤzen handelnde, und
von verſchiedenen Neigungen belebte Seel’ empfin-
det; ſo muß man auch in der Landſchaft mehr als
todten Stoff ſehen. Es muß etwas darin ſeyn, das
nicht blos dem Auge ſchmeichelt, ſondern Gedanken
erweket, Neigungen rege macht, und Empfindun-
gen hervorloket; denn eben in dieſer Abſicht hat die
Natur die rohe Materie mit ſo mannigfaltigen Far-
ben und Formen bekleidet, aus denen eine zwar
ſtumme, aber empfindſamen Seelen doch ver-
ſtaͤndliche Sprach entſteht, in welcher ſie den
Menſchen unterrichtet, und bildet. Einige Woͤrter
dieſer Sprache muͤſſen wir in jeder Landſchaft leſen,
wenn wir ihr einen Werth beylegen ſollen. Sollte
der Menſch, dem Himmel und Erde, wie um die
Wette ſich bemuͤhen, ſein Weſen zu erheben, und
ſeine Seele zu erheitern; ſollt er ſich enthalten koͤn-
nen, bey dem allgemeinen lieblichen Laͤcheln der Na-
tur empfindlich zu ſeyn? Sollten wilde Leiden-
ſchaften an ſeiner Bruſt nagen koͤnnen, da vor ihm
alles Ruhe und Friede haucht, und aus jedem
Buſch liebliche Geſaͤnge in ſein Ohr kommen (†)?
An ſolchen redenden Scenen iſt die Natur uner-
ſchoͤpflich, und der Landſchaftmahler muß ſie fuͤr
uns aufſuchen. Bald muß er uns zu betrachten-
den Ernſt einladen, bald zur Froͤhlichkeit ermun-
tern: izt aus dem Getuͤmmel der Welt in die Ein-
ſamkeit loken, denn uns einer ſchlaͤfrigen Traͤgheit
entziehen, und durch die allgemeine Wuͤrkſamkeit
der immer beſchaͤftigten Natur, zum Mitwuͤrken
fuͤr das allgemeine Beſte anſpornen. Der Mahler,
dem die Sprache der Natur nicht verſtaͤndlich iſt,
der uns blos durch Mannigfaltigkeit der Farben und
Formen ergoͤzen will, kennet die Kraft ſeiner Kunſt
nicht. Wann er nicht wie Haller, Thomſon und
Kleiſt, durch die Betrachtung der Natur in alle
Gegenden der ſittlichen Welt gefuͤhrt wird, ſo richtet
er durch Zeichnung und Farben nichts aus.
Hat er aber Verſtand und Empſindung genug,
den Geiſt und die Seele, der vor ihm liegenden
Materie zu empfinden, ſo wird er ohne Muͤhe, um
ſie auch uns deſto lebhafter fuͤhlen zu laſſen, ſittliche
Gegenſtaͤnde ſeiner eigenen Erfindung einmiſchen
koͤnnen. Es iſt in dem ganzen Umfange der Kuͤnſte
kein weiteres Feld, Talente, Kenntnis und Empfin-
dung mannigfaltiger anzuwenden, als hier. Jch
wuͤnſchte es zu erleben, daß die Kupferſtecherkunſt
von der Mahlerey unterſtuͤzet, nach der Art der
Aberliſchen Landſchaften (††), den Liebhabern der
Kunſt das mannigfaltige Genie der Natur aus jedem
Himmelsſtrich, in ausgeſuchten Scenen vor Augen
legte. So koͤnnte man alles, was die lebloſe Natur
unterrichtendes und ruͤhrendes hat, aus allen Thei-
len der Welt in ein Zimmer zuſammenbringen.
Wuͤrde man noch jeder Landſchaft Auftritte aus der
thieriſchen und ſittlichen Welt, die ſich dazu ſchiken,
beyfuͤgen, ſo wuͤrde eine ſolche Sammlung fuͤr den
Verſtand und das Gemuͤth eine hoͤchſt nuͤzliche Schule
des Unterrichts ſeyn. Das Merkwuͤrdigſte von dem
Genie, der Lebensart, den Geſchaͤften und den Sit-
ten
(†) When Heaven and Earth, as iſ contending, vye
To raiſe his Being, and ſerene his ſoul;
Can he ſorbear to join the general Smile.
Of Nature? Can fierce paſſions vex his Breaſt
While every Gale is Peace, and every Grove
Is Melody? — Thomſons ſpring. vs. 861 f. f.
(††) Hr. Aberli ein ſchweizeriſcher Landſchaſtmahler,
der in Bern lebt, giebt ſeit einiger Zeit Landſchaften her-
aus, darin das vornehmſte der Zeichnung, zum Theil blos
in fluͤchtigen Umriſſen in Kupfer geaͤzt, das uͤbrige mit
Waſſerfarben ausgefuͤhrt iſt. Ein ſehr gluͤklicher Einfall
der die Aufmunterung der Liebhaber, und das fernere Nach-
denken des Kuͤnſtlers vorzuͤglich verdienet.
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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 655. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/90>, abgerufen am 17.06.2024.
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