Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

und Entwickelung des Menschen.
bracht, und auf verschiedene Arten gelenket und bestim-
met werden, aber durch alle äußere Ursachen nicht hät-
ten hineingelegt werden können, wenn sie nicht von Na-
tur vorhanden wären.

Die Schwierigkeit aber, die Grade und Stufen
der innern Bestimmtheit der Natur in Hinsicht der ver-
schiedenen Vermögen und Neigungen anzugeben, blei-
bet wie sie ist. Denn davon hängt es ab, ob und in
welcher Maße, und durch welchen Grad von äußerer
Einwirkung, das innere Angeborne veränderlich sey.
Als man vor einigen Jahren die Veränderlichkeit der na-
türlichen Neigungen, durch die Veranlassung, welche
die Preisfrage der berliner Akademie gab, untersuchte,
ward diese Materie mit vielem Scharfsinn und Fleiß
behandelt. Das Allgemeine hiebey ist damals schön und
vollständig auseinander gesetzt worden.*) Einige Neigun-
gen sind unauslöschlicher, als andere. Einige sind es
bey einzelnen Personen mehr, als andere. Aber welche
es überhaupt bey allen sind, und in welchen verschiede-
nen Graden sie es sind, und wie weit sie von Umständen
und Erziehung abhangen, darüber ist in jedem Fall
schwerer etwas zu entscheiden, sobald man auf die beson-
dern Unterscheidungsmerkmale der Köpfe und der Gemü-
ther Rücksicht nimmt. Es kann nicht das Objektivische
in den Fähigkeiten und Vermögen seyn, wovon die Re-
de ist, sondern nur das Subjektivische. Die Jdeen
von den Gegenständen und Kenntnissen sind nicht ange-
boren; aber es ist das Formelle in der Art der Thätig-
keit der Kräfte, in der Größe, Lebhaftigkeit, Stärke,
Dauer, womit fie wirken und die ersten Gefühle bear-

beiten,
*) Man sehe die Preisschrift des Hr. Cochius über die
natürlichen Neigungen, nebst den vortreflichen Untersu-
chungen, welche das Accessit erhielten und jenen zugefü-
get sind.

und Entwickelung des Menſchen.
bracht, und auf verſchiedene Arten gelenket und beſtim-
met werden, aber durch alle aͤußere Urſachen nicht haͤt-
ten hineingelegt werden koͤnnen, wenn ſie nicht von Na-
tur vorhanden waͤren.

Die Schwierigkeit aber, die Grade und Stufen
der innern Beſtimmtheit der Natur in Hinſicht der ver-
ſchiedenen Vermoͤgen und Neigungen anzugeben, blei-
bet wie ſie iſt. Denn davon haͤngt es ab, ob und in
welcher Maße, und durch welchen Grad von aͤußerer
Einwirkung, das innere Angeborne veraͤnderlich ſey.
Als man vor einigen Jahren die Veraͤnderlichkeit der na-
tuͤrlichen Neigungen, durch die Veranlaſſung, welche
die Preisfrage der berliner Akademie gab, unterſuchte,
ward dieſe Materie mit vielem Scharfſinn und Fleiß
behandelt. Das Allgemeine hiebey iſt damals ſchoͤn und
vollſtaͤndig auseinander geſetzt worden.*) Einige Neigun-
gen ſind unausloͤſchlicher, als andere. Einige ſind es
bey einzelnen Perſonen mehr, als andere. Aber welche
es uͤberhaupt bey allen ſind, und in welchen verſchiede-
nen Graden ſie es ſind, und wie weit ſie von Umſtaͤnden
und Erziehung abhangen, daruͤber iſt in jedem Fall
ſchwerer etwas zu entſcheiden, ſobald man auf die beſon-
dern Unterſcheidungsmerkmale der Koͤpfe und der Gemuͤ-
ther Ruͤckſicht nimmt. Es kann nicht das Objektiviſche
in den Faͤhigkeiten und Vermoͤgen ſeyn, wovon die Re-
de iſt, ſondern nur das Subjektiviſche. Die Jdeen
von den Gegenſtaͤnden und Kenntniſſen ſind nicht ange-
boren; aber es iſt das Formelle in der Art der Thaͤtig-
keit der Kraͤfte, in der Groͤße, Lebhaftigkeit, Staͤrke,
Dauer, womit fie wirken und die erſten Gefuͤhle bear-

beiten,
*) Man ſehe die Preisſchrift des Hr. Cochius uͤber die
natuͤrlichen Neigungen, nebſt den vortreflichen Unterſu-
chungen, welche das Acceſſit erhielten und jenen zugefuͤ-
get ſind.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0621" n="591"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">und Entwickelung des Men&#x017F;chen.</hi></fw><lb/>
bracht, und auf ver&#x017F;chiedene Arten gelenket und be&#x017F;tim-<lb/>
met werden, aber durch alle a&#x0364;ußere Ur&#x017F;achen nicht ha&#x0364;t-<lb/>
ten hineingelegt werden ko&#x0364;nnen, wenn &#x017F;ie nicht von Na-<lb/>
tur vorhanden wa&#x0364;ren.</p><lb/>
              <p>Die Schwierigkeit aber, die Grade und Stufen<lb/>
der innern Be&#x017F;timmtheit der Natur in Hin&#x017F;icht der ver-<lb/>
&#x017F;chiedenen Vermo&#x0364;gen und Neigungen anzugeben, blei-<lb/>
bet wie &#x017F;ie i&#x017F;t. Denn davon ha&#x0364;ngt es ab, ob und in<lb/>
welcher Maße, und durch welchen Grad von a&#x0364;ußerer<lb/>
Einwirkung, das innere Angeborne vera&#x0364;nderlich &#x017F;ey.<lb/>
Als man vor einigen Jahren die Vera&#x0364;nderlichkeit der na-<lb/>
tu&#x0364;rlichen Neigungen, durch die Veranla&#x017F;&#x017F;ung, welche<lb/>
die Preisfrage der berliner Akademie gab, unter&#x017F;uchte,<lb/>
ward die&#x017F;e Materie mit vielem Scharf&#x017F;inn und Fleiß<lb/>
behandelt. Das Allgemeine hiebey i&#x017F;t damals &#x017F;cho&#x0364;n und<lb/>
voll&#x017F;ta&#x0364;ndig auseinander ge&#x017F;etzt worden.<note place="foot" n="*)">Man &#x017F;ehe die Preis&#x017F;chrift des Hr. <hi rendition="#fr">Cochius</hi> u&#x0364;ber die<lb/>
natu&#x0364;rlichen Neigungen, neb&#x017F;t den vortreflichen Unter&#x017F;u-<lb/>
chungen, welche das Acce&#x017F;&#x017F;it erhielten und jenen zugefu&#x0364;-<lb/>
get &#x017F;ind.</note> Einige Neigun-<lb/>
gen &#x017F;ind unauslo&#x0364;&#x017F;chlicher, als andere. Einige &#x017F;ind es<lb/>
bey einzelnen Per&#x017F;onen mehr, als andere. Aber welche<lb/>
es u&#x0364;berhaupt bey allen &#x017F;ind, und in welchen ver&#x017F;chiede-<lb/>
nen Graden &#x017F;ie es &#x017F;ind, und wie weit &#x017F;ie von Um&#x017F;ta&#x0364;nden<lb/>
und Erziehung abhangen, daru&#x0364;ber i&#x017F;t in jedem Fall<lb/>
&#x017F;chwerer etwas zu ent&#x017F;cheiden, &#x017F;obald man auf die be&#x017F;on-<lb/>
dern Unter&#x017F;cheidungsmerkmale der Ko&#x0364;pfe und der Gemu&#x0364;-<lb/>
ther Ru&#x0364;ck&#x017F;icht nimmt. Es kann nicht das Objektivi&#x017F;che<lb/>
in den Fa&#x0364;higkeiten und Vermo&#x0364;gen &#x017F;eyn, wovon die Re-<lb/>
de i&#x017F;t, &#x017F;ondern nur das Subjektivi&#x017F;che. Die Jdeen<lb/>
von den Gegen&#x017F;ta&#x0364;nden und Kenntni&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ind nicht ange-<lb/>
boren; aber es i&#x017F;t das Formelle in der Art der Tha&#x0364;tig-<lb/>
keit der Kra&#x0364;fte, in der Gro&#x0364;ße, Lebhaftigkeit, Sta&#x0364;rke,<lb/>
Dauer, womit fie wirken und die er&#x017F;ten Gefu&#x0364;hle bear-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">beiten,</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[591/0621] und Entwickelung des Menſchen. bracht, und auf verſchiedene Arten gelenket und beſtim- met werden, aber durch alle aͤußere Urſachen nicht haͤt- ten hineingelegt werden koͤnnen, wenn ſie nicht von Na- tur vorhanden waͤren. Die Schwierigkeit aber, die Grade und Stufen der innern Beſtimmtheit der Natur in Hinſicht der ver- ſchiedenen Vermoͤgen und Neigungen anzugeben, blei- bet wie ſie iſt. Denn davon haͤngt es ab, ob und in welcher Maße, und durch welchen Grad von aͤußerer Einwirkung, das innere Angeborne veraͤnderlich ſey. Als man vor einigen Jahren die Veraͤnderlichkeit der na- tuͤrlichen Neigungen, durch die Veranlaſſung, welche die Preisfrage der berliner Akademie gab, unterſuchte, ward dieſe Materie mit vielem Scharfſinn und Fleiß behandelt. Das Allgemeine hiebey iſt damals ſchoͤn und vollſtaͤndig auseinander geſetzt worden. *) Einige Neigun- gen ſind unausloͤſchlicher, als andere. Einige ſind es bey einzelnen Perſonen mehr, als andere. Aber welche es uͤberhaupt bey allen ſind, und in welchen verſchiede- nen Graden ſie es ſind, und wie weit ſie von Umſtaͤnden und Erziehung abhangen, daruͤber iſt in jedem Fall ſchwerer etwas zu entſcheiden, ſobald man auf die beſon- dern Unterſcheidungsmerkmale der Koͤpfe und der Gemuͤ- ther Ruͤckſicht nimmt. Es kann nicht das Objektiviſche in den Faͤhigkeiten und Vermoͤgen ſeyn, wovon die Re- de iſt, ſondern nur das Subjektiviſche. Die Jdeen von den Gegenſtaͤnden und Kenntniſſen ſind nicht ange- boren; aber es iſt das Formelle in der Art der Thaͤtig- keit der Kraͤfte, in der Groͤße, Lebhaftigkeit, Staͤrke, Dauer, womit fie wirken und die erſten Gefuͤhle bear- beiten, *) Man ſehe die Preisſchrift des Hr. Cochius uͤber die natuͤrlichen Neigungen, nebſt den vortreflichen Unterſu- chungen, welche das Acceſſit erhielten und jenen zugefuͤ- get ſind.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/621
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 591. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/621>, abgerufen am 05.05.2024.