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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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XII. Versuch. Ueber die Selbstthätigkeit
genmacht, oder durch eine fremde Kraft, aus innerer
beständiger Naturkraft, oder nur aus einer zufälli-
gen, mitgetheilten,
aus nur erweckter Selbst-
thätigkeit,
oder aus hineingelegter Kraft ent-
springe? dieß ist von jenen äußern unwirksamen Um-
ständen unabhängig.

Der innere zureichende Grund der erfolgenden
Aktion kann aber so in der thätigen Substanz vorhan-
den seyn, daß er ganz allein von dieser selbst, ihrer
Natur, oder ihrem zwar erworbenen aber bestän-
dig fortdaurenden Vermögen
abhänget, und daß,
um sich auf eine solche Art zu äußern, es durchaus kei-
ner neuen Modifikation von einem andern Dinge, und
keines äußern Einflusses einer fremden Ursache, mehr
bedarf. Jn diesem Fall handelt so ein Wesen völlig
unabhängig,
und allein aus Eigenmacht, und
ist ein selbstthätiges Wesen, in dem Zustand betrach-
tet, in dem wir es uns vorstellen, wenn wir über seine
Selbstmacht urtheilen. Dieß Wesen mag unter andre
äußere Umstände gebracht; das Zufällige, was gegen-
wärtig von der Einwirkung fremder Ursachen in ihm
abhängt, mag abgesondert; es selbst mag isoliret wer-
den: so hat es das ganze innere Princip in sich, was
die völlige Ursache der Aktion ist, die aus ihm her-
vorgeht.

So ein Wesen kann das, was es jetzo ist gewor-
den,
seyn, und seine dermaligen Vermögen und Kräfte
erworben haben, solche nicht von Natur, nicht noth-
wendig und nicht unverlierbar besitzen. Aber dennoch
ist dieses innere thätige Princip nun einmal mit seiner
Natur vereiniget und klebt dieser beständig an, unter
welche Beziehungen die Substanz auch gebracht wird.
Jenes Princip ist eine innere Quelle von Aeußerungen
und Wirkungen, die für sich allein sich ergießet, dauer-
haft ist und bestehet in der Maße, daß sie nicht selbst

durch

XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeit
genmacht, oder durch eine fremde Kraft, aus innerer
beſtaͤndiger Naturkraft, oder nur aus einer zufaͤlli-
gen, mitgetheilten,
aus nur erweckter Selbſt-
thaͤtigkeit,
oder aus hineingelegter Kraft ent-
ſpringe? dieß iſt von jenen aͤußern unwirkſamen Um-
ſtaͤnden unabhaͤngig.

Der innere zureichende Grund der erfolgenden
Aktion kann aber ſo in der thaͤtigen Subſtanz vorhan-
den ſeyn, daß er ganz allein von dieſer ſelbſt, ihrer
Natur, oder ihrem zwar erworbenen aber beſtaͤn-
dig fortdaurenden Vermoͤgen
abhaͤnget, und daß,
um ſich auf eine ſolche Art zu aͤußern, es durchaus kei-
ner neuen Modifikation von einem andern Dinge, und
keines aͤußern Einfluſſes einer fremden Urſache, mehr
bedarf. Jn dieſem Fall handelt ſo ein Weſen voͤllig
unabhaͤngig,
und allein aus Eigenmacht, und
iſt ein ſelbſtthaͤtiges Weſen, in dem Zuſtand betrach-
tet, in dem wir es uns vorſtellen, wenn wir uͤber ſeine
Selbſtmacht urtheilen. Dieß Weſen mag unter andre
aͤußere Umſtaͤnde gebracht; das Zufaͤllige, was gegen-
waͤrtig von der Einwirkung fremder Urſachen in ihm
abhaͤngt, mag abgeſondert; es ſelbſt mag iſoliret wer-
den: ſo hat es das ganze innere Princip in ſich, was
die voͤllige Urſache der Aktion iſt, die aus ihm her-
vorgeht.

So ein Weſen kann das, was es jetzo iſt gewor-
den,
ſeyn, und ſeine dermaligen Vermoͤgen und Kraͤfte
erworben haben, ſolche nicht von Natur, nicht noth-
wendig und nicht unverlierbar beſitzen. Aber dennoch
iſt dieſes innere thaͤtige Princip nun einmal mit ſeiner
Natur vereiniget und klebt dieſer beſtaͤndig an, unter
welche Beziehungen die Subſtanz auch gebracht wird.
Jenes Princip iſt eine innere Quelle von Aeußerungen
und Wirkungen, die fuͤr ſich allein ſich ergießet, dauer-
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[54/0084] XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeit genmacht, oder durch eine fremde Kraft, aus innerer beſtaͤndiger Naturkraft, oder nur aus einer zufaͤlli- gen, mitgetheilten, aus nur erweckter Selbſt- thaͤtigkeit, oder aus hineingelegter Kraft ent- ſpringe? dieß iſt von jenen aͤußern unwirkſamen Um- ſtaͤnden unabhaͤngig. Der innere zureichende Grund der erfolgenden Aktion kann aber ſo in der thaͤtigen Subſtanz vorhan- den ſeyn, daß er ganz allein von dieſer ſelbſt, ihrer Natur, oder ihrem zwar erworbenen aber beſtaͤn- dig fortdaurenden Vermoͤgen abhaͤnget, und daß, um ſich auf eine ſolche Art zu aͤußern, es durchaus kei- ner neuen Modifikation von einem andern Dinge, und keines aͤußern Einfluſſes einer fremden Urſache, mehr bedarf. Jn dieſem Fall handelt ſo ein Weſen voͤllig unabhaͤngig, und allein aus Eigenmacht, und iſt ein ſelbſtthaͤtiges Weſen, in dem Zuſtand betrach- tet, in dem wir es uns vorſtellen, wenn wir uͤber ſeine Selbſtmacht urtheilen. Dieß Weſen mag unter andre aͤußere Umſtaͤnde gebracht; das Zufaͤllige, was gegen- waͤrtig von der Einwirkung fremder Urſachen in ihm abhaͤngt, mag abgeſondert; es ſelbſt mag iſoliret wer- den: ſo hat es das ganze innere Princip in ſich, was die voͤllige Urſache der Aktion iſt, die aus ihm her- vorgeht. So ein Weſen kann das, was es jetzo iſt gewor- den, ſeyn, und ſeine dermaligen Vermoͤgen und Kraͤfte erworben haben, ſolche nicht von Natur, nicht noth- wendig und nicht unverlierbar beſitzen. Aber dennoch iſt dieſes innere thaͤtige Princip nun einmal mit ſeiner Natur vereiniget und klebt dieſer beſtaͤndig an, unter welche Beziehungen die Subſtanz auch gebracht wird. Jenes Princip iſt eine innere Quelle von Aeußerungen und Wirkungen, die fuͤr ſich allein ſich ergießet, dauer- haft iſt und beſtehet in der Maße, daß ſie nicht ſelbſt durch

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/84>, abgerufen am 15.05.2024.