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Tewes, Hermann: Menschenrassen und Völkertypen. Bd. 2. 2. Aufl. Leipzig, 1913.

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liche und darum gewissermaßen Staatsreligion ist der Shintoismus
mit dem Mikado als Oberhaupt an der Spitze. Sie kennt ein un-
sichtbares oberstes Wesen, das über den Wolken thront, aber zu er-
haben ist, um in Tempeln oder unter einem Bilde verehrt zu werden.
Ihm sind zahllose Götter untergeordnet, die teils eigentliche Götter,
teils Geister berühmter Helden, Fürsten oder Gelehrten sind. Man
nennt sie Kami. Ihrer Vermittlung bedient sich der Mensch, und
ihnen wird in Tempeln göttliche Verehrung zuteil, die im Gebet
und Opfer besteht. Menschen, die sich durch Tapferkeit, Gehorsam
und Wohltätigkeit auszeichnen, werden nach ihrem Tode unter die
Kami versetzt, unter denen sie einen bestimmten, vom Mikado be-
zeichneten Rang einnehmen. Die Verehrung derselben erinnert an
den Ahnenkultus, der in China heimisch ist. Neben der Shinto-
religion kam im 3. Jahrhundert nach Christus die Sittenlehre des Konfutse
in Aufnahme, zu der sich besonders die Gelehrten bekennen. End-
lich hat der Buddhismus von China aus Verbreitung gefunden,
namentlich im gewöhnlichen Volk, als dessen eigentliche Religion
er gelten kann. Seine Bekenner zerfallen in viele Sekten, die mehr
oder weniger vom Shintokultus in sich aufgenommen haben. Über-
haupt findet zwischen Buddhismus und Shintoismus, die sich gegen-
seitig stark beeinflußt haben, keine strenge Scheidung statt. Beide
Bekenntnisse haben zahlreiche Tempel, die klein und einfach sind.
In den buddhistischen Gotteshäusern finden sich Statuen des Buddha,
in den Shintotempeln auf einem Tischchen ein Spiegel aus gegossenem
Metall und das Gohei, weiße, aus einem Stücke Papier zusammen-
hängend geschnittene, an den Rändern vergoldete Streifen, die Sinn-
bilder des Glanzes und der Reinheit. Vor ihnen verrichtet der
Andächtige sein Gebet und legt seine Opfer nieder; aber niemand
betritt den Tempel, ohne vorher gebadet und Festkleidung angelegt
zu haben. Eine bestimmte Sittenlehre kennt der Shintoismus nicht;
eine solche hat derselbe aus der Moralphilosophie des Konfutse über-
nommen, die Sitte, nach heiligen Orten zu wallfahrten, aber den
Anhängern des Buddha nachgeahmt.

Nach der Entdeckung Japans durch die Portugiesen im 16. Jahr-
hundert wurde das Christentum durch die Jesuiten hierher ver-
pflanzt; es verbreitete sich so schnell, daß nach 30 Jahren bereits
150000 Bekenner desselben mit 200 Kirchen vorhanden waren. Im
17. Jahrhundert aber wurden die christlichen Gemeinden gänzlich
ausgerottet und das Christentum bei Strafe verboten. Die blutige

liche und darum gewissermaßen Staatsreligion ist der Shintoismus
mit dem Mikado als Oberhaupt an der Spitze. Sie kennt ein un-
sichtbares oberstes Wesen, das über den Wolken thront, aber zu er-
haben ist, um in Tempeln oder unter einem Bilde verehrt zu werden.
Ihm sind zahllose Götter untergeordnet, die teils eigentliche Götter,
teils Geister berühmter Helden, Fürsten oder Gelehrten sind. Man
nennt sie Kami. Ihrer Vermittlung bedient sich der Mensch, und
ihnen wird in Tempeln göttliche Verehrung zuteil, die im Gebet
und Opfer besteht. Menschen, die sich durch Tapferkeit, Gehorsam
und Wohltätigkeit auszeichnen, werden nach ihrem Tode unter die
Kami versetzt, unter denen sie einen bestimmten, vom Mikado be-
zeichneten Rang einnehmen. Die Verehrung derselben erinnert an
den Ahnenkultus, der in China heimisch ist. Neben der Shinto-
religion kam im 3. Jahrhundert nach Christus die Sittenlehre des Konfutse
in Aufnahme, zu der sich besonders die Gelehrten bekennen. End-
lich hat der Buddhismus von China aus Verbreitung gefunden,
namentlich im gewöhnlichen Volk, als dessen eigentliche Religion
er gelten kann. Seine Bekenner zerfallen in viele Sekten, die mehr
oder weniger vom Shintokultus in sich aufgenommen haben. Über-
haupt findet zwischen Buddhismus und Shintoismus, die sich gegen-
seitig stark beeinflußt haben, keine strenge Scheidung statt. Beide
Bekenntnisse haben zahlreiche Tempel, die klein und einfach sind.
In den buddhistischen Gotteshäusern finden sich Statuen des Buddha,
in den Shintotempeln auf einem Tischchen ein Spiegel aus gegossenem
Metall und das Gohei, weiße, aus einem Stücke Papier zusammen-
hängend geschnittene, an den Rändern vergoldete Streifen, die Sinn-
bilder des Glanzes und der Reinheit. Vor ihnen verrichtet der
Andächtige sein Gebet und legt seine Opfer nieder; aber niemand
betritt den Tempel, ohne vorher gebadet und Festkleidung angelegt
zu haben. Eine bestimmte Sittenlehre kennt der Shintoismus nicht;
eine solche hat derselbe aus der Moralphilosophie des Konfutse über-
nommen, die Sitte, nach heiligen Orten zu wallfahrten, aber den
Anhängern des Buddha nachgeahmt.

Nach der Entdeckung Japans durch die Portugiesen im 16. Jahr-
hundert wurde das Christentum durch die Jesuiten hierher ver-
pflanzt; es verbreitete sich so schnell, daß nach 30 Jahren bereits
150000 Bekenner desselben mit 200 Kirchen vorhanden waren. Im
17. Jahrhundert aber wurden die christlichen Gemeinden gänzlich
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[— 26 —/0030] liche und darum gewissermaßen Staatsreligion ist der Shintoismus mit dem Mikado als Oberhaupt an der Spitze. Sie kennt ein un- sichtbares oberstes Wesen, das über den Wolken thront, aber zu er- haben ist, um in Tempeln oder unter einem Bilde verehrt zu werden. Ihm sind zahllose Götter untergeordnet, die teils eigentliche Götter, teils Geister berühmter Helden, Fürsten oder Gelehrten sind. Man nennt sie Kami. Ihrer Vermittlung bedient sich der Mensch, und ihnen wird in Tempeln göttliche Verehrung zuteil, die im Gebet und Opfer besteht. Menschen, die sich durch Tapferkeit, Gehorsam und Wohltätigkeit auszeichnen, werden nach ihrem Tode unter die Kami versetzt, unter denen sie einen bestimmten, vom Mikado be- zeichneten Rang einnehmen. Die Verehrung derselben erinnert an den Ahnenkultus, der in China heimisch ist. Neben der Shinto- religion kam im 3. Jahrhundert n. Chr. die Sittenlehre des Konfutse in Aufnahme, zu der sich besonders die Gelehrten bekennen. End- lich hat der Buddhismus von China aus Verbreitung gefunden, namentlich im gewöhnlichen Volk, als dessen eigentliche Religion er gelten kann. Seine Bekenner zerfallen in viele Sekten, die mehr oder weniger vom Shintokultus in sich aufgenommen haben. Über- haupt findet zwischen Buddhismus und Shintoismus, die sich gegen- seitig stark beeinflußt haben, keine strenge Scheidung statt. Beide Bekenntnisse haben zahlreiche Tempel, die klein und einfach sind. In den buddhistischen Gotteshäusern finden sich Statuen des Buddha, in den Shintotempeln auf einem Tischchen ein Spiegel aus gegossenem Metall und das Gohei, weiße, aus einem Stücke Papier zusammen- hängend geschnittene, an den Rändern vergoldete Streifen, die Sinn- bilder des Glanzes und der Reinheit. Vor ihnen verrichtet der Andächtige sein Gebet und legt seine Opfer nieder; aber niemand betritt den Tempel, ohne vorher gebadet und Festkleidung angelegt zu haben. Eine bestimmte Sittenlehre kennt der Shintoismus nicht; eine solche hat derselbe aus der Moralphilosophie des Konfutse über- nommen, die Sitte, nach heiligen Orten zu wallfahrten, aber den Anhängern des Buddha nachgeahmt. Nach der Entdeckung Japans durch die Portugiesen im 16. Jahr- hundert wurde das Christentum durch die Jesuiten hierher ver- pflanzt; es verbreitete sich so schnell, daß nach 30 Jahren bereits 150000 Bekenner desselben mit 200 Kirchen vorhanden waren. Im 17. Jahrhundert aber wurden die christlichen Gemeinden gänzlich ausgerottet und das Christentum bei Strafe verboten. Die blutige

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Zitationshilfe: Tewes, Hermann: Menschenrassen und Völkertypen. Bd. 2. 2. Aufl. Leipzig, 1913, S. — 26 —. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tewes_menschenrassen_1913/30>, abgerufen am 16.04.2024.