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Tewes, Hermann: Menschenrassen und Völkertypen. Bd. 2. 2. Aufl. Leipzig, 1913.

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den Männern an Größe wenig nach. Alle besitzen eine gewaltige
Muskelkraft und eine Marschierfähigkeit, die Staunen erregt. Die
Männer sind imstande, die Straußenbola (Wurfkugeln an Leder-
riemen), eine charakteristische Waffe der Patagonier, 40 bis 50 Meter
weit zu schleudern. Diese Körpergröße und Körperkraft findet sich
nicht selten bei Völkern mit gleicher Lebensweise und zeichnet den
Nomaden gegenüber dem Ackerbauer aus.

Die Männer tragen einen Lendenschurz, der die Hüften und
teilweise die Beine verdeckt, die Frauen ein sackartiges Gewand
ohne Ärmel, das bis an die Knöchel reicht; es ist eine Art Hemd
aus gewebten Stoffen, Baumwolle oder Leinen, die die Tehueltsche
gegen Felle an den Küstenplätzen ihres von den Europäern wenig
besuchten Landes eintauschen. Außerdem haben alle, Männer wie
Frauen, einen warmen, weichen Mantel aus den Fellen junger
Guanakos, der mit der haarigen Seite nach innen getragen wird,
außen aber mit rotem Ocker gefärbt und mit allerlei Figuren in
verschiedenen Farben, schwarz, weiß und blau, bemalt ist. Der
Tehueltsche auf unserm Bilde, der sich ohne Zweifel an der Jagd
beteiligen will, die sich unweit des Zeltlagers entwickelt hat, ist
ohne diesen Mantel dargestellt. Die Männer benutzen hohe lederne
Stiefel, die sehr einfach aus dem Hautstück an der Kniekehle des
Pferdes oder aus dem Fell eines großen Pumafußes zugeschnitten
werden. Von diesen Stiefeln rührt die Bezeichnung Patagonier her.
Patagon heißt Großpfote, und groß sind allerdings die Fußtapfen,
die diese Stiefel hinterlassen. Das volle Haar wird mit einem
farbigen Netz oder mit einer gewebten wollenen Binde zusammen-
gehalten. Während früher Tonsuren üblich waren, achten die
Männer jetzt sehr auf ihr schönes Haupthaar, das sie sich gern
von den Weibern mit einer Bürste aus den Haaren des Ameisen-
bären ausbürsten lassen. Die Frauen tragen das Haar in einem
umwickelten Zopf und benutzen als Schmuck Glasperlen, silberne
Ohrringe und Nadeln. Letztere sind sehr groß und haben einen
scheibenförmigen Kopf von über 10 Zentimeter Durchmesser; sie dienen
dazu, den Rock auf der Brust zusammenzustecken, wie wir das an
der einen der vor dem Zelt sitzenden Frauen bemerken. An der-
selben Frau nehmen wir auch den am meisten beliebten Schmuck
wahr, der aus großen und breiten Ohrgehängen in Form von dünnen,
mattweißen Silberplatten besteht. Neben den beiden Frauen sehen
wir auf unserm Bilde ein eigentümlich gebettetes kleines Kind.

den Männern an Größe wenig nach. Alle besitzen eine gewaltige
Muskelkraft und eine Marschierfähigkeit, die Staunen erregt. Die
Männer sind imstande, die Straußenbola (Wurfkugeln an Leder-
riemen), eine charakteristische Waffe der Patagonier, 40 bis 50 Meter
weit zu schleudern. Diese Körpergröße und Körperkraft findet sich
nicht selten bei Völkern mit gleicher Lebensweise und zeichnet den
Nomaden gegenüber dem Ackerbauer aus.

Die Männer tragen einen Lendenschurz, der die Hüften und
teilweise die Beine verdeckt, die Frauen ein sackartiges Gewand
ohne Ärmel, das bis an die Knöchel reicht; es ist eine Art Hemd
aus gewebten Stoffen, Baumwolle oder Leinen, die die Tehueltsche
gegen Felle an den Küstenplätzen ihres von den Europäern wenig
besuchten Landes eintauschen. Außerdem haben alle, Männer wie
Frauen, einen warmen, weichen Mantel aus den Fellen junger
Guanakos, der mit der haarigen Seite nach innen getragen wird,
außen aber mit rotem Ocker gefärbt und mit allerlei Figuren in
verschiedenen Farben, schwarz, weiß und blau, bemalt ist. Der
Tehueltsche auf unserm Bilde, der sich ohne Zweifel an der Jagd
beteiligen will, die sich unweit des Zeltlagers entwickelt hat, ist
ohne diesen Mantel dargestellt. Die Männer benutzen hohe lederne
Stiefel, die sehr einfach aus dem Hautstück an der Kniekehle des
Pferdes oder aus dem Fell eines großen Pumafußes zugeschnitten
werden. Von diesen Stiefeln rührt die Bezeichnung Patagonier her.
Patagon heißt Großpfote, und groß sind allerdings die Fußtapfen,
die diese Stiefel hinterlassen. Das volle Haar wird mit einem
farbigen Netz oder mit einer gewebten wollenen Binde zusammen-
gehalten. Während früher Tonsuren üblich waren, achten die
Männer jetzt sehr auf ihr schönes Haupthaar, das sie sich gern
von den Weibern mit einer Bürste aus den Haaren des Ameisen-
bären ausbürsten lassen. Die Frauen tragen das Haar in einem
umwickelten Zopf und benutzen als Schmuck Glasperlen, silberne
Ohrringe und Nadeln. Letztere sind sehr groß und haben einen
scheibenförmigen Kopf von über 10 Zentimeter Durchmesser; sie dienen
dazu, den Rock auf der Brust zusammenzustecken, wie wir das an
der einen der vor dem Zelt sitzenden Frauen bemerken. An der-
selben Frau nehmen wir auch den am meisten beliebten Schmuck
wahr, der aus großen und breiten Ohrgehängen in Form von dünnen,
mattweißen Silberplatten besteht. Neben den beiden Frauen sehen
wir auf unserm Bilde ein eigentümlich gebettetes kleines Kind.

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Zitationshilfe: Tewes, Hermann: Menschenrassen und Völkertypen. Bd. 2. 2. Aufl. Leipzig, 1913, S. — 41 —. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tewes_menschenrassen_1913/45>, abgerufen am 19.04.2024.