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Tewes, Hermann: Menschenrassen und Völkertypen. Bd. 2. 2. Aufl. Leipzig, 1913.

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Die Patagonier essen nie regelmäßig, sondern nur, wenn der Appetit
sie mahnt; wenn sie dann viel haben, verzehren sie auch viel.
Seit sie mit Europäern Bekanntschaft gemacht haben, genießen sie
auch Fische und Muscheln, neuerdings auch europäisches Getreide
und vor allem Branntwein. Vom Fischfang selbst verstehen sie
nichts, und Kähne werden von ihnen nirgends benutzt. Die Pata-
gonier kennen auch den Tabak; sie rauchen sogar leidenschaftlich
und zwar aus kurzen Pfeifen mit dickem, hölzernem Kopf und
metallenem Rohr.

Die Lebensweise der Patagonier schließt den Bau fester
Wohnungen aus. Sie sind hordenweise über die weiten Ebenen
ihres Heimatlandes zerstreut, ziehen nomadisierend umher und
wandern schnell. Sie kommen bis an die südliche Meerenge und
sind wenige Monate darauf schon wieder an den Ufern des Rio
Negro
, der 220 geographische Meilen von der Südgrenze ihres Landes
entfernt ist. Eine Horde zählt nicht viel über 30 bis 40 Familien,
von denen jede ihr eigenes Zelt hat. Dasselbe wird aus drei Reihen
verschieden hoher Stangen, die mit Querstäben verbunden sind, her-
gestellt und auf der Rückwand mit einer aus 40 bis 50 Guanako-
fellen zusammengenähten Decke überzogen. Ein solches Zelt, Toldo
genannt, ist auf drei Seiten geschlossen, an der vorderen, gewöhn-
lich nach Osten gekehrten Seite, offen und im Innern durch Häute
in einzelne Schlafplätze abgeteilt. Polster aus wollenen Decken,
mit Guanakowolle ausgestopft und mit Sehnen vom Strauß oder
Guanako zusammengenäht, bilden die Lagerstatt. Mehrere Zelte
sind meist zu einem Zeltlager vereinigt, und große Zelte, sogenannte
Tolderinos, dienen dazu, die Pferde aufzunehmen.

Die technischen Fertigkeiten der Patagonier beschränken sich
auf Herstellung von Wohnung, Kleidung und Schmuckgegenständen,
sowie der wenigen Hausgeräte, die sie bei ihrer wandernden Lebens-
weise bedürfen. Die erforderlichen Arbeiten werden fast ausnahms-
los von Frauen besorgt. Diese säubern mit einfachen Messern,
deren Klinge in einem zusammengebogenen Aststück steckt, die
Felle der erlegten Guanakos und gerben diese mit Fett und Leber;
sie nähen Mäntel aus den zugerichteten Fellen und Decken für die
Toldos, fertigen Kopfbinden, Schärpen, Stiefel und Polster und
stellen Schmuckgegenstände her, indem sie geschickt Dollarstücke
mit einfachen, früher nur steinernen Werkzeugen bearbeiten.

Eine feste Regierungsform fehlt den patagonischen Reiterstämmen

Die Patagonier essen nie regelmäßig, sondern nur, wenn der Appetit
sie mahnt; wenn sie dann viel haben, verzehren sie auch viel.
Seit sie mit Europäern Bekanntschaft gemacht haben, genießen sie
auch Fische und Muscheln, neuerdings auch europäisches Getreide
und vor allem Branntwein. Vom Fischfang selbst verstehen sie
nichts, und Kähne werden von ihnen nirgends benutzt. Die Pata-
gonier kennen auch den Tabak; sie rauchen sogar leidenschaftlich
und zwar aus kurzen Pfeifen mit dickem, hölzernem Kopf und
metallenem Rohr.

Die Lebensweise der Patagonier schließt den Bau fester
Wohnungen aus. Sie sind hordenweise über die weiten Ebenen
ihres Heimatlandes zerstreut, ziehen nomadisierend umher und
wandern schnell. Sie kommen bis an die südliche Meerenge und
sind wenige Monate darauf schon wieder an den Ufern des Rio
Negro
, der 220 geographische Meilen von der Südgrenze ihres Landes
entfernt ist. Eine Horde zählt nicht viel über 30 bis 40 Familien,
von denen jede ihr eigenes Zelt hat. Dasselbe wird aus drei Reihen
verschieden hoher Stangen, die mit Querstäben verbunden sind, her-
gestellt und auf der Rückwand mit einer aus 40 bis 50 Guanako-
fellen zusammengenähten Decke überzogen. Ein solches Zelt, Toldo
genannt, ist auf drei Seiten geschlossen, an der vorderen, gewöhn-
lich nach Osten gekehrten Seite, offen und im Innern durch Häute
in einzelne Schlafplätze abgeteilt. Polster aus wollenen Decken,
mit Guanakowolle ausgestopft und mit Sehnen vom Strauß oder
Guanako zusammengenäht, bilden die Lagerstatt. Mehrere Zelte
sind meist zu einem Zeltlager vereinigt, und große Zelte, sogenannte
Tolderinos, dienen dazu, die Pferde aufzunehmen.

Die technischen Fertigkeiten der Patagonier beschränken sich
auf Herstellung von Wohnung, Kleidung und Schmuckgegenständen,
sowie der wenigen Hausgeräte, die sie bei ihrer wandernden Lebens-
weise bedürfen. Die erforderlichen Arbeiten werden fast ausnahms-
los von Frauen besorgt. Diese säubern mit einfachen Messern,
deren Klinge in einem zusammengebogenen Aststück steckt, die
Felle der erlegten Guanakos und gerben diese mit Fett und Leber;
sie nähen Mäntel aus den zugerichteten Fellen und Decken für die
Toldos, fertigen Kopfbinden, Schärpen, Stiefel und Polster und
stellen Schmuckgegenstände her, indem sie geschickt Dollarstücke
mit einfachen, früher nur steinernen Werkzeugen bearbeiten.

Eine feste Regierungsform fehlt den patagonischen Reiterstämmen

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[— 45 —/0049] Die Patagonier essen nie regelmäßig, sondern nur, wenn der Appetit sie mahnt; wenn sie dann viel haben, verzehren sie auch viel. Seit sie mit Europäern Bekanntschaft gemacht haben, genießen sie auch Fische und Muscheln, neuerdings auch europäisches Getreide und vor allem Branntwein. Vom Fischfang selbst verstehen sie nichts, und Kähne werden von ihnen nirgends benutzt. Die Pata- gonier kennen auch den Tabak; sie rauchen sogar leidenschaftlich und zwar aus kurzen Pfeifen mit dickem, hölzernem Kopf und metallenem Rohr. Die Lebensweise der Patagonier schließt den Bau fester Wohnungen aus. Sie sind hordenweise über die weiten Ebenen ihres Heimatlandes zerstreut, ziehen nomadisierend umher und wandern schnell. Sie kommen bis an die südliche Meerenge und sind wenige Monate darauf schon wieder an den Ufern des Rio Negro, der 220 geographische Meilen von der Südgrenze ihres Landes entfernt ist. Eine Horde zählt nicht viel über 30 bis 40 Familien, von denen jede ihr eigenes Zelt hat. Dasselbe wird aus drei Reihen verschieden hoher Stangen, die mit Querstäben verbunden sind, her- gestellt und auf der Rückwand mit einer aus 40 bis 50 Guanako- fellen zusammengenähten Decke überzogen. Ein solches Zelt, Toldo genannt, ist auf drei Seiten geschlossen, an der vorderen, gewöhn- lich nach Osten gekehrten Seite, offen und im Innern durch Häute in einzelne Schlafplätze abgeteilt. Polster aus wollenen Decken, mit Guanakowolle ausgestopft und mit Sehnen vom Strauß oder Guanako zusammengenäht, bilden die Lagerstatt. Mehrere Zelte sind meist zu einem Zeltlager vereinigt, und große Zelte, sogenannte Tolderinos, dienen dazu, die Pferde aufzunehmen. Die technischen Fertigkeiten der Patagonier beschränken sich auf Herstellung von Wohnung, Kleidung und Schmuckgegenständen, sowie der wenigen Hausgeräte, die sie bei ihrer wandernden Lebens- weise bedürfen. Die erforderlichen Arbeiten werden fast ausnahms- los von Frauen besorgt. Diese säubern mit einfachen Messern, deren Klinge in einem zusammengebogenen Aststück steckt, die Felle der erlegten Guanakos und gerben diese mit Fett und Leber; sie nähen Mäntel aus den zugerichteten Fellen und Decken für die Toldos, fertigen Kopfbinden, Schärpen, Stiefel und Polster und stellen Schmuckgegenstände her, indem sie geschickt Dollarstücke mit einfachen, früher nur steinernen Werkzeugen bearbeiten. Eine feste Regierungsform fehlt den patagonischen Reiterstämmen

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Zitationshilfe: Tewes, Hermann: Menschenrassen und Völkertypen. Bd. 2. 2. Aufl. Leipzig, 1913, S. — 45 —. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tewes_menschenrassen_1913/49>, abgerufen am 25.04.2024.