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Thomasius, Christian: Discours Welcher Gestalt man denen Frantzosen im gemeinen Leben und Wandel nachahmen solle. [Leipzig], [1690].

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stractiones Metaphysicas derer Schullehrer befleißigen/
(durch welche man weder dem gemeinen besten was nutzet/ noch
seiner Seelen Seeligkeit befördert/ und bey weltklugen Leuten
mehr verhast als beliebt sich machet/) oder die nöthigen Wissen-
schafften nur obenhin und ohne gründlichen Verstand wie die
Nonnen den Psalter lernen/ und ist nichts neues/ daß wenn zum
Exempel ein gut Ingenium an statt der Trebern seinen Ver-
stand mit vernünfftigen Speisen nehren/ und den Durandum
de S. Porciano &c.
nicht für einen Heiligen passiren lassen/
oder dem was ihm in der Jugend fürgesungen worden/ nicht
nach pfeiffen will/ selbiges in ja so scharffe Inqvisitiones fält/ als
Petrus Ramus zu seiner Zeit/ der sich für Königlichen Com-
missariis
nachdrücklich defendiren muste/ daß er gelehrt/ man
müste die Logic definiren/ und doch mit Mühe und Angst von
derselben Inquisition erlediget wurde; oder wohl gar verketzert
und aus heiligem iedoch unzeitigem Eyfer mit denen schimpfflich-
sten Scheltworten beleget wird/ wie etwann ein Geistlicher in
Franckreich zu gedachten Rami Zeiten/ der nach des Rami Leh-
re an statt Kiskis, Kankam, mischi; quisquis, qvanqvam,
mihi &c. pronuncirte,
von der Sorbone zu Pariß als ei-
ner der eine Grammaticalische Ketzerey begangen hätte/ seiner
beneficien beraubet wurde. So ist auch offenbahr/ daß wir
in Deutschland unsere Sprache bey weiten so hoch nicht halten
als die Franvosen die ihrige. Denn an statt/ daß wir uns be-
fleissigen solten die guten Wissenschafften in deutscher Sprache
geschickt zuschreiben/ so fallen wir entweder auff die eine Seite
aus/ und bemühen uns die Lateinischen oder Griechischen Ter-
minos technicos
mit dunckeln und lächerlichen Worten zu
verhuntzen/ oder aber wir kommen in die andere Ecke/ und bilden
uns ein/ unsere Sprache sey nur zu denen Handlungen in gemei-
nen Leben nützlich/ oder schicke sich/ wenn es auffs höchste kömmt/

zu

ſtractiones Metaphyſicas derer Schullehrer befleißigen/
(durch welche man weder dem gemeinen beſten was nutzet/ noch
ſeiner Seelen Seeligkeit befoͤrdert/ und bey weltklugen Leuten
mehr verhaſt als beliebt ſich machet/) oder die noͤthigen Wiſſen-
ſchafften nur obenhin und ohne gruͤndlichen Verſtand wie die
Nonnen den Pſalter lernen/ und iſt nichts neues/ daß wenn zum
Exempel ein gut Ingenium an ſtatt der Trebern ſeinen Ver-
ſtand mit vernuͤnfftigen Speiſen nehren/ und den Durandum
de S. Porciano &c.
nicht fuͤr einen Heiligen paſſiren laſſen/
oder dem was ihm in der Jugend fuͤrgeſungen worden/ nicht
nach pfeiffen will/ ſelbiges in ja ſo ſcharffe Inqviſitiones faͤlt/ als
Petrus Ramus zu ſeiner Zeit/ der ſich fuͤr Koͤniglichen Com-
miſſariis
nachdruͤcklich defendiren muſte/ daß er gelehrt/ man
muͤſte die Logic definiren/ und doch mit Muͤhe und Angſt von
derſelben Inquiſition erlediget wurde; oder wohl gar verketzert
und aus heiligem iedoch unzeitigem Eyfer mit denen ſchimpfflich-
ſten Scheltworten beleget wird/ wie etwann ein Geiſtlicher in
Franckreich zu gedachten Rami Zeiten/ der nach des Rami Leh-
re an ſtatt Kiskis, Kankam, miſchi; quisquis, qvanqvam,
mihi &c. pronuncirte,
von der Sorbone zu Pariß als ei-
ner der eine Grammaticaliſche Ketzerey begangen haͤtte/ ſeiner
beneficien beraubet wurde. So iſt auch offenbahr/ daß wir
in Deutſchland unſere Sprache bey weiten ſo hoch nicht halten
als die Franvoſen die ihrige. Denn an ſtatt/ daß wir uns be-
fleiſſigen ſolten die guten Wiſſenſchafften in deutſcher Sprache
geſchickt zuſchreiben/ ſo fallen wir entweder auff die eine Seite
aus/ und bemuͤhen uns die Lateiniſchen oder Griechiſchen Ter-
minos technicos
mit dunckeln und laͤcherlichen Worten zu
verhuntzen/ oder aber wir kommen in die andere Ecke/ und bilden
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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Discours Welcher Gestalt man denen Frantzosen im gemeinen Leben und Wandel nachahmen solle. [Leipzig], [1690], S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_discours_1690/18>, abgerufen am 29.03.2024.