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[Thümmel, Moritz August von]: Wilhelmine oder der vermählte Pedant. [s. l.], 1764.

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ihr unschuldiges Gesicht zu unserer Erdku-
gel. Ein Heer vorausbezahlter Gratulanten
jauchzt ihr entgegen; andere -- unglückli-
cher, zerrissen das Neujahrsgedicht, seit dem
frostigen September geschmiedet; denn ihr
alter Mäcen ist den heiligen Abend vorher
gestorben, und hinterläßt geitzige Erben, die
den Apoll samt den Musen verachten und un-
geheißene Arbeiten niemals großmüthig be-
lohnen. Verjährte Rechte, drohende Wech-
selbriefe, erfüllte Hoffnungen und erseufzte
Majorennitäten drängten sich auf den Strah-
len des neuen Lichts in das beunruhigte Herz
der erwachten Sterblichen. Aber friedliebend
und sanft wirkt sie, die mächtige Sonne,
auf die Felsenherzen der Großen und in die
morschen Gebeine der Helden, die itzt voller
Neigung zur Ruhe sich beschwerlich von ih-
ren Lagern erheben, um ihre Wunden ver-
binden und die Merkmaale ihrer Tapferkeit
vernähen zu lassen. Stolz auf ihr Elend be-

hän-

ihr unſchuldiges Geſicht zu unſerer Erdku-
gel. Ein Heer vorausbezahlter Gratulanten
jauchzt ihr entgegen; andere — ungluͤckli-
cher, zerriſſen das Neujahrsgedicht, ſeit dem
froſtigen September geſchmiedet; denn ihr
alter Maͤcen iſt den heiligen Abend vorher
geſtorben, und hinterlaͤßt geitzige Erben, die
den Apoll ſamt den Muſen verachten und un-
geheißene Arbeiten niemals großmuͤthig be-
lohnen. Verjaͤhrte Rechte, drohende Wech-
ſelbriefe, erfuͤllte Hoffnungen und erſeufzte
Majorennitaͤten draͤngten ſich auf den Strah-
len des neuen Lichts in das beunruhigte Herz
der erwachten Sterblichen. Aber friedliebend
und ſanft wirkt ſie, die maͤchtige Sonne,
auf die Felſenherzen der Großen und in die
morſchen Gebeine der Helden, die itzt voller
Neigung zur Ruhe ſich beſchwerlich von ih-
ren Lagern erheben, um ihre Wunden ver-
binden und die Merkmaale ihrer Tapferkeit
vernaͤhen zu laſſen. Stolz auf ihr Elend be-

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[24/0028] ihr unſchuldiges Geſicht zu unſerer Erdku- gel. Ein Heer vorausbezahlter Gratulanten jauchzt ihr entgegen; andere — ungluͤckli- cher, zerriſſen das Neujahrsgedicht, ſeit dem froſtigen September geſchmiedet; denn ihr alter Maͤcen iſt den heiligen Abend vorher geſtorben, und hinterlaͤßt geitzige Erben, die den Apoll ſamt den Muſen verachten und un- geheißene Arbeiten niemals großmuͤthig be- lohnen. Verjaͤhrte Rechte, drohende Wech- ſelbriefe, erfuͤllte Hoffnungen und erſeufzte Majorennitaͤten draͤngten ſich auf den Strah- len des neuen Lichts in das beunruhigte Herz der erwachten Sterblichen. Aber friedliebend und ſanft wirkt ſie, die maͤchtige Sonne, auf die Felſenherzen der Großen und in die morſchen Gebeine der Helden, die itzt voller Neigung zur Ruhe ſich beſchwerlich von ih- ren Lagern erheben, um ihre Wunden ver- binden und die Merkmaale ihrer Tapferkeit vernaͤhen zu laſſen. Stolz auf ihr Elend be- haͤn-

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Zitationshilfe: [Thümmel, Moritz August von]: Wilhelmine oder der vermählte Pedant. [s. l.], 1764, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thuemmel_wilhelmine_1764/28>, abgerufen am 29.03.2024.