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[Thümmel, Moritz August von]: Wilhelmine oder der vermählte Pedant. [s. l.], 1764.

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ängstlich erwartet sie nun den Verlauf der
verkauften Stunde. Die geschicktesten Jüng-
linge zittern bey dem Anblicke der unverhüll-
ten schönen Natur, und ihre sonst gewisse
Hand zeichnet Fehler auf das gespannte Pa-
pier. Der minderjährige Knabe allein über-
trifft hier seinen Meister; denn in seinem klei-
nen noch fühllosen Herzen liegen jene sympa-
thetischen Trieb' unentwickelt, und seine Hand
lernt' eher der Kunst, als jenes der Liebe ge-
horchen. Und der hoffende Pfarrherr gieng
in der Frühe zu Niklas, dem Verwalter,
wünschte ihm ein fröhliches Neuesjahr und
ließ sich wieder eins wünschen; dann erzähl-
te er ihm seinen nächtlichen Traum bündig
und kürzlich -- denn die gebiethenden Glocken
hatten schon zum drittenmale geläutet, und die
geputzte Gemeinde sah sehnlich ihrem Herrn
Pastor mit seinem Neujahrswunsche entgegen.
Ach wie fröhlich klopfte nicht Niklas dem
Herrn Magister die Achsel, und zweifelte gar

nicht

aͤngſtlich erwartet ſie nun den Verlauf der
verkauften Stunde. Die geſchickteſten Juͤng-
linge zittern bey dem Anblicke der unverhuͤll-
ten ſchoͤnen Natur, und ihre ſonſt gewiſſe
Hand zeichnet Fehler auf das geſpannte Pa-
pier. Der minderjaͤhrige Knabe allein uͤber-
trifft hier ſeinen Meiſter; denn in ſeinem klei-
nen noch fuͤhlloſen Herzen liegen jene ſympa-
thetiſchen Trieb’ unentwickelt, und ſeine Hand
lernt’ eher der Kunſt, als jenes der Liebe ge-
horchen. Und der hoffende Pfarrherr gieng
in der Fruͤhe zu Niklas, dem Verwalter,
wuͤnſchte ihm ein froͤhliches Neuesjahr und
ließ ſich wieder eins wuͤnſchen; dann erzaͤhl-
te er ihm ſeinen naͤchtlichen Traum buͤndig
und kuͤrzlich — denn die gebiethenden Glocken
hatten ſchon zum drittenmale gelaͤutet, und die
geputzte Gemeinde ſah ſehnlich ihrem Herrn
Paſtor mit ſeinem Neujahrswunſche entgegen.
Ach wie froͤhlich klopfte nicht Niklas dem
Herrn Magiſter die Achſel, und zweifelte gar

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[26/0030] aͤngſtlich erwartet ſie nun den Verlauf der verkauften Stunde. Die geſchickteſten Juͤng- linge zittern bey dem Anblicke der unverhuͤll- ten ſchoͤnen Natur, und ihre ſonſt gewiſſe Hand zeichnet Fehler auf das geſpannte Pa- pier. Der minderjaͤhrige Knabe allein uͤber- trifft hier ſeinen Meiſter; denn in ſeinem klei- nen noch fuͤhlloſen Herzen liegen jene ſympa- thetiſchen Trieb’ unentwickelt, und ſeine Hand lernt’ eher der Kunſt, als jenes der Liebe ge- horchen. Und der hoffende Pfarrherr gieng in der Fruͤhe zu Niklas, dem Verwalter, wuͤnſchte ihm ein froͤhliches Neuesjahr und ließ ſich wieder eins wuͤnſchen; dann erzaͤhl- te er ihm ſeinen naͤchtlichen Traum buͤndig und kuͤrzlich — denn die gebiethenden Glocken hatten ſchon zum drittenmale gelaͤutet, und die geputzte Gemeinde ſah ſehnlich ihrem Herrn Paſtor mit ſeinem Neujahrswunſche entgegen. Ach wie froͤhlich klopfte nicht Niklas dem Herrn Magiſter die Achſel, und zweifelte gar nicht

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Zitationshilfe: [Thümmel, Moritz August von]: Wilhelmine oder der vermählte Pedant. [s. l.], 1764, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thuemmel_wilhelmine_1764/30>, abgerufen am 25.04.2024.