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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795.

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mir abtrünnig geworden, aber die Vaterfreuden
werden bei mir aushalten. Dein Glück ist itzt
die einzige Hofnung, die mich an diese Welt
fesselt, in ihrer Erfüllung will ich am Abende
meiner Tage von allen Beschwerden und Müh-
seeligkeiten der Reise ruhen. -- Ich habe viel
erlitten, o William; lerne die Menschen kennen,
wenn sie Dich nicht elend machen sollen: begeg-
ne nicht jedem mit Deiner heißesten Liebe, um
nicht einst das ganze Geschlecht zu hassen; sey
sparsam mit Deinem Vertrauen, um nicht einst
in einem ewigen Mißtrauen zu verschmachten.
Solltest Du in der itzigen Glut Deiner Phan-
tasie die Erfahrungen machen, die ich aushalten
mußte, -- wo wolltest Du itzt die Stärke her-
nehmen, um Deine Moralität, Deine Mensch-
heit nicht untergehn zu lassen? Das Auflodern-
de in Deinen Gefühlen hat mich oft um Dich
besorgt gemacht; ohne zu untersuchen, traust Du
jedem Wesen, das Dir nicht mißfällt, alle Dei-
ne Gefühle zu und findest sie auch in fremden
Seelen wieder; aber wenn Du Dich nun in
drei Freunden irrst, so wirst Du allen Glauben
an Freundschaft verlieren; den edelsten Men-
schen kannst Du leicht mißverstehn, wenn jene

Lovell, I. Bd. H

mir abtruͤnnig geworden, aber die Vaterfreuden
werden bei mir aushalten. Dein Gluͤck iſt itzt
die einzige Hofnung, die mich an dieſe Welt
feſſelt, in ihrer Erfuͤllung will ich am Abende
meiner Tage von allen Beſchwerden und Muͤh-
ſeeligkeiten der Reiſe ruhen. — Ich habe viel
erlitten, o William; lerne die Menſchen kennen,
wenn ſie Dich nicht elend machen ſollen: begeg-
ne nicht jedem mit Deiner heißeſten Liebe, um
nicht einſt das ganze Geſchlecht zu haſſen; ſey
ſparſam mit Deinem Vertrauen, um nicht einſt
in einem ewigen Mißtrauen zu verſchmachten.
Sollteſt Du in der itzigen Glut Deiner Phan-
taſie die Erfahrungen machen, die ich aushalten
mußte, — wo wollteſt Du itzt die Staͤrke her-
nehmen, um Deine Moralitaͤt, Deine Menſch-
heit nicht untergehn zu laſſen? Das Auflodern-
de in Deinen Gefuͤhlen hat mich oft um Dich
beſorgt gemacht; ohne zu unterſuchen, trauſt Du
jedem Weſen, das Dir nicht mißfaͤllt, alle Dei-
ne Gefuͤhle zu und findeſt ſie auch in fremden
Seelen wieder; aber wenn Du Dich nun in
drei Freunden irrſt, ſo wirſt Du allen Glauben
an Freundſchaft verlieren; den edelſten Men-
ſchen kannſt Du leicht mißverſtehn, wenn jene

Lovell, I. Bd. H
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[113[111]/0121] mir abtruͤnnig geworden, aber die Vaterfreuden werden bei mir aushalten. Dein Gluͤck iſt itzt die einzige Hofnung, die mich an dieſe Welt feſſelt, in ihrer Erfuͤllung will ich am Abende meiner Tage von allen Beſchwerden und Muͤh- ſeeligkeiten der Reiſe ruhen. — Ich habe viel erlitten, o William; lerne die Menſchen kennen, wenn ſie Dich nicht elend machen ſollen: begeg- ne nicht jedem mit Deiner heißeſten Liebe, um nicht einſt das ganze Geſchlecht zu haſſen; ſey ſparſam mit Deinem Vertrauen, um nicht einſt in einem ewigen Mißtrauen zu verſchmachten. Sollteſt Du in der itzigen Glut Deiner Phan- taſie die Erfahrungen machen, die ich aushalten mußte, — wo wollteſt Du itzt die Staͤrke her- nehmen, um Deine Moralitaͤt, Deine Menſch- heit nicht untergehn zu laſſen? Das Auflodern- de in Deinen Gefuͤhlen hat mich oft um Dich beſorgt gemacht; ohne zu unterſuchen, trauſt Du jedem Weſen, das Dir nicht mißfaͤllt, alle Dei- ne Gefuͤhle zu und findeſt ſie auch in fremden Seelen wieder; aber wenn Du Dich nun in drei Freunden irrſt, ſo wirſt Du allen Glauben an Freundſchaft verlieren; den edelſten Men- ſchen kannſt Du leicht mißverſtehn, wenn jene Lovell, I. Bd. H

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 113[111]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/121>, abgerufen am 25.04.2024.