Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795.

Bild:
<< vorherige Seite
22.
Die Comtesse Blainville an Rosa.


Sie zweifelten neulich an meinem Siege, ich
schreibe Ihnen, nachdem er errungen ist.

Ich hatte Lovell gestern Abends zu einem
Tete-a-tete zu mir bestellt. Er stellte sich
pünktlich ein, der Graf ist auf mehrere Tage
[...]verreist, mein Kammermädchen hatte ihre
gemessene Ordre. Sein Gesicht hatte sehr et-
was anziehend Schwermüthiges, worunter eine
sanfte Freude hervorleuchtete, er hatte mir so
viel zu sagen, aber wir sprachen nur wenig,
Küsse, Umarmungen, zärtliche Seufzer ersetzten
die Sprache. Ich mußte ihm mehrere Sachen
auf dem Fortepiano spielen, der Mond goß
durch die rothen Vorhänge ein romantisches
Licht um uns her, die Töne zerschmolzen im
Zimmer in leisen Accenten. -- Sie kennen ja
das Gefühl, wo die hochgespannte Empfindung
uns in ätherische und überirrdische Entzückungen
versetzt, die doch so nahe mit der Sinnlichkeit
verwandt sind; der erhabenste Mensch glaubt

22.
Die Comteſſe Blainville an Roſa.


Sie zweifelten neulich an meinem Siege, ich
ſchreibe Ihnen, nachdem er errungen iſt.

Ich hatte Lovell geſtern Abends zu einem
Tete-a-tete zu mir beſtellt. Er ſtellte ſich
puͤnktlich ein, der Graf iſt auf mehrere Tage
[…]verreiſt, mein Kammermaͤdchen hatte ihre
gemeſſene Ordre. Sein Geſicht hatte ſehr et-
was anziehend Schwermuͤthiges, worunter eine
ſanfte Freude hervorleuchtete, er hatte mir ſo
viel zu ſagen, aber wir ſprachen nur wenig,
Kuͤſſe, Umarmungen, zaͤrtliche Seufzer erſetzten
die Sprache. Ich mußte ihm mehrere Sachen
auf dem Fortepiano ſpielen, der Mond goß
durch die rothen Vorhaͤnge ein romantiſches
Licht um uns her, die Toͤne zerſchmolzen im
Zimmer in leiſen Accenten. — Sie kennen ja
das Gefuͤhl, wo die hochgeſpannte Empfindung
uns in aͤtheriſche und uͤberirrdiſche Entzuͤckungen
verſetzt, die doch ſo nahe mit der Sinnlichkeit
verwandt ſind; der erhabenſte Menſch glaubt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0174" n="166[164]"/>
        <div n="2">
          <head>22.<lb/>
Die Comte&#x017F;&#x017F;e Blainville an Ro&#x017F;a.</head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">Paris.</hi> </dateline><lb/>
          <p><hi rendition="#in">S</hi>ie zweifelten neulich an meinem Siege, ich<lb/>
&#x017F;chreibe Ihnen, nachdem er errungen i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Ich hatte Lovell ge&#x017F;tern Abends zu einem<lb/>
Tete-a-tete zu mir be&#x017F;tellt. Er &#x017F;tellte &#x017F;ich<lb/>
pu&#x0364;nktlich ein, der Graf i&#x017F;t auf mehrere Tage<lb/><choice><sic>Tage </sic><corr/></choice>verrei&#x017F;t, mein Kammerma&#x0364;dchen hatte ihre<lb/>
geme&#x017F;&#x017F;ene Ordre. Sein Ge&#x017F;icht hatte &#x017F;ehr et-<lb/>
was anziehend Schwermu&#x0364;thiges, worunter eine<lb/>
&#x017F;anfte Freude hervorleuchtete, er hatte mir &#x017F;o<lb/>
viel zu &#x017F;agen, aber wir &#x017F;prachen nur wenig,<lb/>
Ku&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, Umarmungen, za&#x0364;rtliche Seufzer er&#x017F;etzten<lb/>
die Sprache. Ich mußte ihm mehrere Sachen<lb/>
auf dem Fortepiano &#x017F;pielen, der Mond goß<lb/>
durch die rothen Vorha&#x0364;nge <choice><sic>etn</sic><corr>ein</corr></choice> romanti&#x017F;ches<lb/>
Licht um uns her, die To&#x0364;ne zer&#x017F;chmolzen im<lb/>
Zimmer in lei&#x017F;en Accenten. &#x2014; Sie kennen ja<lb/>
das Gefu&#x0364;hl, wo die hochge&#x017F;pannte Empfindung<lb/>
uns in a&#x0364;theri&#x017F;che und u&#x0364;berirrdi&#x017F;che Entzu&#x0364;ckungen<lb/>
ver&#x017F;etzt, die doch &#x017F;o nahe mit der Sinnlichkeit<lb/>
verwandt &#x017F;ind; der erhaben&#x017F;te Men&#x017F;ch glaubt<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[166[164]/0174] 22. Die Comteſſe Blainville an Roſa. Paris. Sie zweifelten neulich an meinem Siege, ich ſchreibe Ihnen, nachdem er errungen iſt. Ich hatte Lovell geſtern Abends zu einem Tete-a-tete zu mir beſtellt. Er ſtellte ſich puͤnktlich ein, der Graf iſt auf mehrere Tage verreiſt, mein Kammermaͤdchen hatte ihre gemeſſene Ordre. Sein Geſicht hatte ſehr et- was anziehend Schwermuͤthiges, worunter eine ſanfte Freude hervorleuchtete, er hatte mir ſo viel zu ſagen, aber wir ſprachen nur wenig, Kuͤſſe, Umarmungen, zaͤrtliche Seufzer erſetzten die Sprache. Ich mußte ihm mehrere Sachen auf dem Fortepiano ſpielen, der Mond goß durch die rothen Vorhaͤnge ein romantiſches Licht um uns her, die Toͤne zerſchmolzen im Zimmer in leiſen Accenten. — Sie kennen ja das Gefuͤhl, wo die hochgeſpannte Empfindung uns in aͤtheriſche und uͤberirrdiſche Entzuͤckungen verſetzt, die doch ſo nahe mit der Sinnlichkeit verwandt ſind; der erhabenſte Menſch glaubt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/174
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 166[164]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/174>, abgerufen am 16.04.2024.