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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795.

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gißt zur Erde zurückzukehren; aber die Kraft,
die die Welt nach dem innern Bilde der erhitz-
ten Phantasie umwandelt, stirbt bald, die Sinn-
lichkeit, (denn was ist ein solcher Zustand an-
dern) ist auf einen so hohen Grad exaltirt, daß
sie die wirkliche Welt leer und nüchtern findet;
je weniger Nahrung sie von aussen erhält, je
mehr erglüht sie in sich selbst; sie erschafft sich
neue Welten und läßt sie wieder untergehn: bis
endlich der zu sehr gespannte Bogen bricht
und eine völlige Schlaffheit den Geist lähmt
und uns für alle Freuden unempfänglich macht;
alles verdorrt, ein ewiger Winter umgiebt uns.
Welche Gottheit soll dann den Frühling zurück-
bringen? --

Wohl Ihnen, daß Sie diesem Zustande
entflohen sind! -- Sie wissen es izt, welche
Forderungen Sie an das Leben zu machen ha-
ben. Der Schwärmer kennt sich selbst und seine
dunkeln Wünsche nicht, er verlangt Genüsse aus
einer fremden Welt, Gefühle, für die er keine
Sinne hat, Sonne und Mond sind ihm zu ir-
disch: -- wir, William, wollen hier unten blei-
ben, nicht nach Wolken und Nebeldünsten ha-
schen, Mond und Sterne hoch über uns sollen

gißt zur Erde zuruͤckzukehren; aber die Kraft,
die die Welt nach dem innern Bilde der erhitz-
ten Phantaſie umwandelt, ſtirbt bald, die Sinn-
lichkeit, (denn was iſt ein ſolcher Zuſtand an-
dern) iſt auf einen ſo hohen Grad exaltirt, daß
ſie die wirkliche Welt leer und nuͤchtern findet;
je weniger Nahrung ſie von auſſen erhaͤlt, je
mehr ergluͤht ſie in ſich ſelbſt; ſie erſchafft ſich
neue Welten und laͤßt ſie wieder untergehn: bis
endlich der zu ſehr geſpannte Bogen bricht
und eine voͤllige Schlaffheit den Geiſt laͤhmt
und uns fuͤr alle Freuden unempfaͤnglich macht;
alles verdorrt, ein ewiger Winter umgiebt uns.
Welche Gottheit ſoll dann den Fruͤhling zuruͤck-
bringen? —

Wohl Ihnen, daß Sie dieſem Zuſtande
entflohen ſind! — Sie wiſſen es izt, welche
Forderungen Sie an das Leben zu machen ha-
ben. Der Schwaͤrmer kennt ſich ſelbſt und ſeine
dunkeln Wuͤnſche nicht, er verlangt Genuͤſſe aus
einer fremden Welt, Gefuͤhle, fuͤr die er keine
Sinne hat, Sonne und Mond ſind ihm zu ir-
diſch: — wir, William, wollen hier unten blei-
ben, nicht nach Wolken und Nebelduͤnſten ha-
ſchen, Mond und Sterne hoch uͤber uns ſollen

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[300[298]/0308] gißt zur Erde zuruͤckzukehren; aber die Kraft, die die Welt nach dem innern Bilde der erhitz- ten Phantaſie umwandelt, ſtirbt bald, die Sinn- lichkeit, (denn was iſt ein ſolcher Zuſtand an- dern) iſt auf einen ſo hohen Grad exaltirt, daß ſie die wirkliche Welt leer und nuͤchtern findet; je weniger Nahrung ſie von auſſen erhaͤlt, je mehr ergluͤht ſie in ſich ſelbſt; ſie erſchafft ſich neue Welten und laͤßt ſie wieder untergehn: bis endlich der zu ſehr geſpannte Bogen bricht und eine voͤllige Schlaffheit den Geiſt laͤhmt und uns fuͤr alle Freuden unempfaͤnglich macht; alles verdorrt, ein ewiger Winter umgiebt uns. Welche Gottheit ſoll dann den Fruͤhling zuruͤck- bringen? — Wohl Ihnen, daß Sie dieſem Zuſtande entflohen ſind! — Sie wiſſen es izt, welche Forderungen Sie an das Leben zu machen ha- ben. Der Schwaͤrmer kennt ſich ſelbſt und ſeine dunkeln Wuͤnſche nicht, er verlangt Genuͤſſe aus einer fremden Welt, Gefuͤhle, fuͤr die er keine Sinne hat, Sonne und Mond ſind ihm zu ir- diſch: — wir, William, wollen hier unten blei- ben, nicht nach Wolken und Nebelduͤnſten ha- ſchen, Mond und Sterne hoch uͤber uns ſollen

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 300[298]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/308>, abgerufen am 25.04.2024.