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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795.

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21.
Balder an William Lovell.


Ich versprach mir manche Freuden von dieser
Reise und izt bin ich verdrüßlich, daß ich Rom
verlassen habe: ja fast bin ich unzufrieden, daß
ich mich je über den kleinen unbekannten Win-
kel meines Vaterlandes hinauswünschte. Der
Geist dürstet nach Neuem, ein Gegenstand soll
den andern drängen, -- wie süß träumt man
sich die Reise durch das schöne Italien, -- ach
und was ist es nun am Ende weiter, als das
langweilige Wiederholen einer und eben der
Sache? was war es nun, daß ich zwischen Rom
und Neapel Wolken und blauen Himmel sah,
-- Saatfelder und Berge? Alles gleitet vor
meiner Seele kalt und freudenleer vorüber.

Warum ist doch der Mensch dazu bestimmt,
keine Ruhe in sich selber zu finden? -- Izt
denke ich es mir so erquickend, in einer kleinen
Hütte am Saume eines einsamen Waldes zu
leben, die ganze Welt vergessend und auf ewig
von ihr vergessen, nur mit der Erde bekannt, so

21.
Balder an William Lovell.


Ich verſprach mir manche Freuden von dieſer
Reiſe und izt bin ich verdruͤßlich, daß ich Rom
verlaſſen habe: ja faſt bin ich unzufrieden, daß
ich mich je uͤber den kleinen unbekannten Win-
kel meines Vaterlandes hinauswuͤnſchte. Der
Geiſt duͤrſtet nach Neuem, ein Gegenſtand ſoll
den andern draͤngen, — wie ſuͤß traͤumt man
ſich die Reiſe durch das ſchoͤne Italien, — ach
und was iſt es nun am Ende weiter, als das
langweilige Wiederholen einer und eben der
Sache? was war es nun, daß ich zwiſchen Rom
und Neapel Wolken und blauen Himmel ſah,
— Saatfelder und Berge? Alles gleitet vor
meiner Seele kalt und freudenleer voruͤber.

Warum iſt doch der Menſch dazu beſtimmt,
keine Ruhe in ſich ſelber zu finden? — Izt
denke ich es mir ſo erquickend, in einer kleinen
Huͤtte am Saume eines einſamen Waldes zu
leben, die ganze Welt vergeſſend und auf ewig
von ihr vergeſſen, nur mit der Erde bekannt, ſo

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[302[300]/0310] 21. Balder an William Lovell. Neapel. Ich verſprach mir manche Freuden von dieſer Reiſe und izt bin ich verdruͤßlich, daß ich Rom verlaſſen habe: ja faſt bin ich unzufrieden, daß ich mich je uͤber den kleinen unbekannten Win- kel meines Vaterlandes hinauswuͤnſchte. Der Geiſt duͤrſtet nach Neuem, ein Gegenſtand ſoll den andern draͤngen, — wie ſuͤß traͤumt man ſich die Reiſe durch das ſchoͤne Italien, — ach und was iſt es nun am Ende weiter, als das langweilige Wiederholen einer und eben der Sache? was war es nun, daß ich zwiſchen Rom und Neapel Wolken und blauen Himmel ſah, — Saatfelder und Berge? Alles gleitet vor meiner Seele kalt und freudenleer voruͤber. Warum iſt doch der Menſch dazu beſtimmt, keine Ruhe in ſich ſelber zu finden? — Izt denke ich es mir ſo erquickend, in einer kleinen Huͤtte am Saume eines einſamen Waldes zu leben, die ganze Welt vergeſſend und auf ewig von ihr vergeſſen, nur mit der Erde bekannt, ſo

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 302[300]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/310>, abgerufen am 18.04.2024.