Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

weit mein Auge sieht, von keinem Menschen
aufgefunden, nur vom Morgenwinde und dem
Säuseln der Gesträuche begrüßt, -- eine kleine
Heerde, ein kleines Feld, -- was braucht der
Mensch zu seinem Glücke weiter? -- Und doch,
wenn mich eine Gottheit nun plötzlich dorthin
versetzte, würd' ich nicht wieder nach der Ferne
jammern? Würde sich mein Blick nicht wieder
wie ehemals an des Abends goldenes Gewölk
hängen, um mit ihm unterzusinken und zauber-
reiche, mir unbekannte Fluren zu besuchen?
Würd' ich nicht unter der Last einer dumpfen
Einsamkeit erliegen und nach Mittheilung, nach
Liebe, nach dem Händedruck eines Freundes
schmachten? -- Das Leben liegt wie ein langer
verwickelter Faden vor mir, den auseinander zu
knüpfen mich ein boshaftes Schicksal zwingt;
hundertmahl werf ich die lästige Arbeit aus der
Hand, hundertmahl beginn' ich sie von neuem,
ohne weiter zu kommen, -- o wenn mich doch
ein mitleidiger Schlaf überraschte! --

Ein Fieber hat mir die Reise hieher völlig
verdorben, Rosa ist mir zur Last, ich selber
bin mir unerträglich. -- In der Einsamkeit,
unter abentheuerlichen Phantomen, schrecklichen

weit mein Auge ſieht, von keinem Menſchen
aufgefunden, nur vom Morgenwinde und dem
Saͤuſeln der Geſtraͤuche begruͤßt, — eine kleine
Heerde, ein kleines Feld, — was braucht der
Menſch zu ſeinem Gluͤcke weiter? — Und doch,
wenn mich eine Gottheit nun ploͤtzlich dorthin
verſetzte, wuͤrd’ ich nicht wieder nach der Ferne
jammern? Wuͤrde ſich mein Blick nicht wieder
wie ehemals an des Abends goldenes Gewoͤlk
haͤngen, um mit ihm unterzuſinken und zauber-
reiche, mir unbekannte Fluren zu beſuchen?
Wuͤrd’ ich nicht unter der Laſt einer dumpfen
Einſamkeit erliegen und nach Mittheilung, nach
Liebe, nach dem Haͤndedruck eines Freundes
ſchmachten? — Das Leben liegt wie ein langer
verwickelter Faden vor mir, den auseinander zu
knuͤpfen mich ein boshaftes Schickſal zwingt;
hundertmahl werf ich die laͤſtige Arbeit aus der
Hand, hundertmahl beginn’ ich ſie von neuem,
ohne weiter zu kommen, — o wenn mich doch
ein mitleidiger Schlaf uͤberraſchte! —

Ein Fieber hat mir die Reiſe hieher voͤllig
verdorben, Roſa iſt mir zur Laſt, ich ſelber
bin mir unertraͤglich. — In der Einſamkeit,
unter abentheuerlichen Phantomen, ſchrecklichen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0311" n="303[301]"/>
weit mein Auge &#x017F;ieht, von keinem Men&#x017F;chen<lb/>
aufgefunden, nur vom Morgenwinde und dem<lb/>
Sa&#x0364;u&#x017F;eln der Ge&#x017F;tra&#x0364;uche begru&#x0364;ßt, &#x2014; eine kleine<lb/>
Heerde, ein kleines Feld, &#x2014; was braucht der<lb/>
Men&#x017F;ch zu &#x017F;einem Glu&#x0364;cke weiter? &#x2014; Und doch,<lb/>
wenn mich eine Gottheit nun plo&#x0364;tzlich dorthin<lb/>
ver&#x017F;etzte, wu&#x0364;rd&#x2019; ich nicht wieder nach der Ferne<lb/>
jammern? Wu&#x0364;rde &#x017F;ich mein Blick nicht wieder<lb/>
wie ehemals an des Abends goldenes Gewo&#x0364;lk<lb/>
ha&#x0364;ngen, um mit ihm unterzu&#x017F;inken und zauber-<lb/>
reiche, mir unbekannte Fluren zu be&#x017F;uchen?<lb/>
Wu&#x0364;rd&#x2019; ich nicht unter der La&#x017F;t einer dumpfen<lb/>
Ein&#x017F;amkeit erliegen und nach Mittheilung, nach<lb/>
Liebe, nach dem Ha&#x0364;ndedruck eines Freundes<lb/>
&#x017F;chmachten? &#x2014; Das Leben liegt wie ein langer<lb/>
verwickelter Faden vor mir, den auseinander zu<lb/>
knu&#x0364;pfen mich ein boshaftes Schick&#x017F;al zwingt;<lb/>
hundertmahl werf ich die la&#x0364;&#x017F;tige Arbeit aus der<lb/>
Hand, hundertmahl beginn&#x2019; ich &#x017F;ie von neuem,<lb/>
ohne weiter zu kommen, &#x2014; o wenn mich doch<lb/>
ein mitleidiger Schlaf u&#x0364;berra&#x017F;chte! &#x2014;</p><lb/>
          <p>Ein Fieber hat mir die Rei&#x017F;e hieher vo&#x0364;llig<lb/>
verdorben, Ro&#x017F;a i&#x017F;t mir zur La&#x017F;t, ich &#x017F;elber<lb/>
bin mir unertra&#x0364;glich. &#x2014; In der Ein&#x017F;amkeit,<lb/>
unter abentheuerlichen Phantomen, &#x017F;chrecklichen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[303[301]/0311] weit mein Auge ſieht, von keinem Menſchen aufgefunden, nur vom Morgenwinde und dem Saͤuſeln der Geſtraͤuche begruͤßt, — eine kleine Heerde, ein kleines Feld, — was braucht der Menſch zu ſeinem Gluͤcke weiter? — Und doch, wenn mich eine Gottheit nun ploͤtzlich dorthin verſetzte, wuͤrd’ ich nicht wieder nach der Ferne jammern? Wuͤrde ſich mein Blick nicht wieder wie ehemals an des Abends goldenes Gewoͤlk haͤngen, um mit ihm unterzuſinken und zauber- reiche, mir unbekannte Fluren zu beſuchen? Wuͤrd’ ich nicht unter der Laſt einer dumpfen Einſamkeit erliegen und nach Mittheilung, nach Liebe, nach dem Haͤndedruck eines Freundes ſchmachten? — Das Leben liegt wie ein langer verwickelter Faden vor mir, den auseinander zu knuͤpfen mich ein boshaftes Schickſal zwingt; hundertmahl werf ich die laͤſtige Arbeit aus der Hand, hundertmahl beginn’ ich ſie von neuem, ohne weiter zu kommen, — o wenn mich doch ein mitleidiger Schlaf uͤberraſchte! — Ein Fieber hat mir die Reiſe hieher voͤllig verdorben, Roſa iſt mir zur Laſt, ich ſelber bin mir unertraͤglich. — In der Einſamkeit, unter abentheuerlichen Phantomen, ſchrecklichen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/311
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 303[301]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/311>, abgerufen am 25.04.2024.