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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Erste Abtheilung.
in der Nähe von Eckberts Burg auf, sammelte
Kräuter und Steine, und beschäftigte sich damit,
sie in Ordnung zu bringen, er lebte von einem klei-
nen Vermögen und war von Niemand abhängig.
Eckbert begleitete ihn oft auf seinen einsamen Spa-
ziergängen, und mit jedem Jahre entspann sich
zwischen ihnen eine innigere Freundschaft.

Es giebt Stunden, in denen es den Men-
schen ängstigt, wenn er vor seinem Freunde ein
Geheimniß haben soll, was er bis dahin oft mit
vieler Sorgfalt verborgen hat, die Seele fühlt dann
einen unwiderstehlichen Trieb, sich ganz mitzuthei-
len, dem Freunde auch das Innerste aufzuschlie-
ßen, damit er um so mehr unser Freund werde.
In diesen Augenblicken geben sich die zarten See-
len einander zu erkennen, und zuweilen geschieht
es wohl auch, daß einer vor der Bekanntschaft
des andern zurück schreckt.

Es war schon im Herbst, als Eckbert an einem
neblichten Abend mit seinem Freunde und seinem
Weibe Bertha um das Feuer eines Kamines saß.
Die Flamme warf einen hellen Schein durch das
Gemach und spielte oben an der Decke, die Nacht
sah schwarz zu den Fenstern herein, und die Bäume
draußen schüttelten sich vor nasser Kälte. Walther
klagte über den weiten Rückweg den er habe, und
Eckbert schlug ihm vor, bei ihm zu bleiben, die
halbe Nacht unter traulichen Gesprächen hinzubrin-
gen, und dann noch in einem Gemache des Hau-
ses bis am Morgen zu schlafen. Walther ging
den Vorschlag ein, und nun ward Wein und die

Erſte Abtheilung.
in der Naͤhe von Eckberts Burg auf, ſammelte
Kraͤuter und Steine, und beſchaͤftigte ſich damit,
ſie in Ordnung zu bringen, er lebte von einem klei-
nen Vermoͤgen und war von Niemand abhaͤngig.
Eckbert begleitete ihn oft auf ſeinen einſamen Spa-
ziergaͤngen, und mit jedem Jahre entſpann ſich
zwiſchen ihnen eine innigere Freundſchaft.

Es giebt Stunden, in denen es den Men-
ſchen aͤngſtigt, wenn er vor ſeinem Freunde ein
Geheimniß haben ſoll, was er bis dahin oft mit
vieler Sorgfalt verborgen hat, die Seele fuͤhlt dann
einen unwiderſtehlichen Trieb, ſich ganz mitzuthei-
len, dem Freunde auch das Innerſte aufzuſchlie-
ßen, damit er um ſo mehr unſer Freund werde.
In dieſen Augenblicken geben ſich die zarten See-
len einander zu erkennen, und zuweilen geſchieht
es wohl auch, daß einer vor der Bekanntſchaft
des andern zuruͤck ſchreckt.

Es war ſchon im Herbſt, als Eckbert an einem
neblichten Abend mit ſeinem Freunde und ſeinem
Weibe Bertha um das Feuer eines Kamines ſaß.
Die Flamme warf einen hellen Schein durch das
Gemach und ſpielte oben an der Decke, die Nacht
ſah ſchwarz zu den Fenſtern herein, und die Baͤume
draußen ſchuͤttelten ſich vor naſſer Kaͤlte. Walther
klagte uͤber den weiten Ruͤckweg den er habe, und
Eckbert ſchlug ihm vor, bei ihm zu bleiben, die
halbe Nacht unter traulichen Geſpraͤchen hinzubrin-
gen, und dann noch in einem Gemache des Hau-
ſes bis am Morgen zu ſchlafen. Walther ging
den Vorſchlag ein, und nun ward Wein und die

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[166/0177] Erſte Abtheilung. in der Naͤhe von Eckberts Burg auf, ſammelte Kraͤuter und Steine, und beſchaͤftigte ſich damit, ſie in Ordnung zu bringen, er lebte von einem klei- nen Vermoͤgen und war von Niemand abhaͤngig. Eckbert begleitete ihn oft auf ſeinen einſamen Spa- ziergaͤngen, und mit jedem Jahre entſpann ſich zwiſchen ihnen eine innigere Freundſchaft. Es giebt Stunden, in denen es den Men- ſchen aͤngſtigt, wenn er vor ſeinem Freunde ein Geheimniß haben ſoll, was er bis dahin oft mit vieler Sorgfalt verborgen hat, die Seele fuͤhlt dann einen unwiderſtehlichen Trieb, ſich ganz mitzuthei- len, dem Freunde auch das Innerſte aufzuſchlie- ßen, damit er um ſo mehr unſer Freund werde. In dieſen Augenblicken geben ſich die zarten See- len einander zu erkennen, und zuweilen geſchieht es wohl auch, daß einer vor der Bekanntſchaft des andern zuruͤck ſchreckt. Es war ſchon im Herbſt, als Eckbert an einem neblichten Abend mit ſeinem Freunde und ſeinem Weibe Bertha um das Feuer eines Kamines ſaß. Die Flamme warf einen hellen Schein durch das Gemach und ſpielte oben an der Decke, die Nacht ſah ſchwarz zu den Fenſtern herein, und die Baͤume draußen ſchuͤttelten ſich vor naſſer Kaͤlte. Walther klagte uͤber den weiten Ruͤckweg den er habe, und Eckbert ſchlug ihm vor, bei ihm zu bleiben, die halbe Nacht unter traulichen Geſpraͤchen hinzubrin- gen, und dann noch in einem Gemache des Hau- ſes bis am Morgen zu ſchlafen. Walther ging den Vorſchlag ein, und nun ward Wein und die

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/177>, abgerufen am 18.04.2024.