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Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798.

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die alles von dem lieblichen Wiederscheine ver¬
schönt und strahlend ist. Es war beim Mah¬
len unaufhörlich derselbe Kampf zwischen
Deutlichkeit und Ungewißheit in mir, und
darüber ist es mir vielleicht nur gelungen.
Die Gestalten, die wir wahrhaft anschauen,
sind eben dadurch in uns schon zu irrdisch
und wirklich, sie tragen zu viele Merkmale
an sich, und vergegenwärtigen sich darum
zu körperlich. Geht man aber im Gegen¬
theil auf's Erfinden aus, so bleiben die Ge¬
bilde gewöhnlich luftig und allgemein, und
wagen sich nicht aus ihrer ungewissen Ferne
heraus. Es kann seyn, daß diese meine Ge¬
liebte (denn warum soll ich sie nicht so nen¬
nen?) so das Ideal ist, nach dem die gro¬
ßen Meister gestrebt haben, und von dem
in der Kunst so viel die Rede ist. Ja, ich
sage sogar, Sebastian, daß sie es seyn muß,
und daß diese Unbekanntschaft, dies Fern¬

die alles von dem lieblichen Wiederſcheine ver¬
ſchönt und ſtrahlend iſt. Es war beim Mah¬
len unaufhörlich derſelbe Kampf zwiſchen
Deutlichkeit und Ungewißheit in mir, und
darüber iſt es mir vielleicht nur gelungen.
Die Geſtalten, die wir wahrhaft anſchauen,
ſind eben dadurch in uns ſchon zu irrdiſch
und wirklich, ſie tragen zu viele Merkmale
an ſich, und vergegenwärtigen ſich darum
zu körperlich. Geht man aber im Gegen¬
theil auf's Erfinden aus, ſo bleiben die Ge¬
bilde gewöhnlich luftig und allgemein, und
wagen ſich nicht aus ihrer ungewiſſen Ferne
heraus. Es kann ſeyn, daß dieſe meine Ge¬
liebte (denn warum ſoll ich ſie nicht ſo nen¬
nen?) ſo das Ideal iſt, nach dem die gro¬
ßen Meiſter geſtrebt haben, und von dem
in der Kunſt ſo viel die Rede iſt. Ja, ich
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[15/0023] die alles von dem lieblichen Wiederſcheine ver¬ ſchönt und ſtrahlend iſt. Es war beim Mah¬ len unaufhörlich derſelbe Kampf zwiſchen Deutlichkeit und Ungewißheit in mir, und darüber iſt es mir vielleicht nur gelungen. Die Geſtalten, die wir wahrhaft anſchauen, ſind eben dadurch in uns ſchon zu irrdiſch und wirklich, ſie tragen zu viele Merkmale an ſich, und vergegenwärtigen ſich darum zu körperlich. Geht man aber im Gegen¬ theil auf's Erfinden aus, ſo bleiben die Ge¬ bilde gewöhnlich luftig und allgemein, und wagen ſich nicht aus ihrer ungewiſſen Ferne heraus. Es kann ſeyn, daß dieſe meine Ge¬ liebte (denn warum ſoll ich ſie nicht ſo nen¬ nen?) ſo das Ideal iſt, nach dem die gro¬ ßen Meiſter geſtrebt haben, und von dem in der Kunſt ſo viel die Rede iſt. Ja, ich ſage ſogar, Sebaſtian, daß ſie es ſeyn muß, und daß dieſe Unbekanntſchaft, dies Fern¬

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798/23>, abgerufen am 25.04.2024.