Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Des Lebens Überfluß. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

nachhallenden Echo's, und nennen Das Naturlaut, Seelenklang, was nur nachbetender oder nachbuchstabirter Schall unverstandener Floskeln ist. Oft ist das sogar ihr Ideal der Weiblichkeit, in welches sie sich sterblich verlieben.

Engel! Himmel! rief in Begeisterung der junge Gatte; ja, wir verstehen uns; unsre Liebe ist die wahre Ehe, und du erhellst und ergänzest die Gegend in mir, wo sich der Mangel oder die Dunkelheit kund thut. Wenn es Orakel giebt, so darf es auch an Sinn und Gehör nicht fehlen, sie zu vernehmen und zu deuten.

Eine lange Umarmung endigte und erläuterte dieses Gespräch. Der Kuß, sagte Heinrich, ist auch ein solches Orakel. Sollte es wohl schon Menschen gegeben haben, die sich bei einem recht innigen Kusse etwas Verständiges haben denken können?

Clara lachte laut, ward dann plötzlich ernsthaft und sagte etwas kleinlaut, ja selbst im Tone des Mitleids: Ja, ja, so verfahren wir mit Domestiken und Haushältern, Reitknechten und Stallmeistern, denen wir doch oft so viel zu verdanken haben. Sind wir in geistiger oder gar in übermüthiger Aufregung, so verachten und verlachen wir sie. Mein Vater sprang einmal mit seinem schwarzen Hengst über einen breiten Graben, und, als alle Welt ihn bewunderte und die Damen in die Hände klatschten, stand ein alter Stallmeister in der Nähe, und nur er schüttelte bedenklich

nachhallenden Echo's, und nennen Das Naturlaut, Seelenklang, was nur nachbetender oder nachbuchstabirter Schall unverstandener Floskeln ist. Oft ist das sogar ihr Ideal der Weiblichkeit, in welches sie sich sterblich verlieben.

Engel! Himmel! rief in Begeisterung der junge Gatte; ja, wir verstehen uns; unsre Liebe ist die wahre Ehe, und du erhellst und ergänzest die Gegend in mir, wo sich der Mangel oder die Dunkelheit kund thut. Wenn es Orakel giebt, so darf es auch an Sinn und Gehör nicht fehlen, sie zu vernehmen und zu deuten.

Eine lange Umarmung endigte und erläuterte dieses Gespräch. Der Kuß, sagte Heinrich, ist auch ein solches Orakel. Sollte es wohl schon Menschen gegeben haben, die sich bei einem recht innigen Kusse etwas Verständiges haben denken können?

Clara lachte laut, ward dann plötzlich ernsthaft und sagte etwas kleinlaut, ja selbst im Tone des Mitleids: Ja, ja, so verfahren wir mit Domestiken und Haushältern, Reitknechten und Stallmeistern, denen wir doch oft so viel zu verdanken haben. Sind wir in geistiger oder gar in übermüthiger Aufregung, so verachten und verlachen wir sie. Mein Vater sprang einmal mit seinem schwarzen Hengst über einen breiten Graben, und, als alle Welt ihn bewunderte und die Damen in die Hände klatschten, stand ein alter Stallmeister in der Nähe, und nur er schüttelte bedenklich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0016"/>
nachhallenden Echo's, und nennen             Das Naturlaut, Seelenklang, was nur nachbetender oder nachbuchstabirter Schall             unverstandener Floskeln ist. Oft ist das sogar ihr Ideal der Weiblichkeit, in welches             sie sich sterblich verlieben.</p><lb/>
        <p>Engel! Himmel! rief in Begeisterung der junge Gatte; ja, wir verstehen uns; unsre Liebe             ist die wahre Ehe, und du erhellst und ergänzest die Gegend in mir, wo sich der Mangel             oder die Dunkelheit kund thut. Wenn es Orakel giebt, so darf es auch an Sinn und Gehör             nicht fehlen, sie zu vernehmen und zu deuten.</p><lb/>
        <p>Eine lange Umarmung endigte und erläuterte dieses Gespräch. Der Kuß, sagte Heinrich, ist             auch ein solches Orakel. Sollte es wohl schon Menschen gegeben haben, die sich bei einem             recht innigen Kusse etwas Verständiges haben denken können?</p><lb/>
        <p>Clara lachte laut, ward dann plötzlich ernsthaft und sagte etwas kleinlaut, ja selbst im             Tone des Mitleids: Ja, ja, so verfahren wir mit Domestiken und Haushältern, Reitknechten             und Stallmeistern, denen wir doch oft so viel zu verdanken haben. Sind wir in geistiger             oder gar in übermüthiger Aufregung, so verachten und verlachen wir sie. Mein Vater             sprang einmal mit seinem schwarzen Hengst über einen breiten Graben, und, als alle Welt             ihn bewunderte und die Damen in die Hände klatschten, stand ein alter Stallmeister in             der Nähe, und nur er schüttelte bedenklich<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0016] nachhallenden Echo's, und nennen Das Naturlaut, Seelenklang, was nur nachbetender oder nachbuchstabirter Schall unverstandener Floskeln ist. Oft ist das sogar ihr Ideal der Weiblichkeit, in welches sie sich sterblich verlieben. Engel! Himmel! rief in Begeisterung der junge Gatte; ja, wir verstehen uns; unsre Liebe ist die wahre Ehe, und du erhellst und ergänzest die Gegend in mir, wo sich der Mangel oder die Dunkelheit kund thut. Wenn es Orakel giebt, so darf es auch an Sinn und Gehör nicht fehlen, sie zu vernehmen und zu deuten. Eine lange Umarmung endigte und erläuterte dieses Gespräch. Der Kuß, sagte Heinrich, ist auch ein solches Orakel. Sollte es wohl schon Menschen gegeben haben, die sich bei einem recht innigen Kusse etwas Verständiges haben denken können? Clara lachte laut, ward dann plötzlich ernsthaft und sagte etwas kleinlaut, ja selbst im Tone des Mitleids: Ja, ja, so verfahren wir mit Domestiken und Haushältern, Reitknechten und Stallmeistern, denen wir doch oft so viel zu verdanken haben. Sind wir in geistiger oder gar in übermüthiger Aufregung, so verachten und verlachen wir sie. Mein Vater sprang einmal mit seinem schwarzen Hengst über einen breiten Graben, und, als alle Welt ihn bewunderte und die Damen in die Hände klatschten, stand ein alter Stallmeister in der Nähe, und nur er schüttelte bedenklich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:30:27Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:30:27Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_ueberfluss_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_ueberfluss_1910/16
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Des Lebens Überfluß. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_ueberfluss_1910/16>, abgerufen am 19.04.2024.