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Tieck, Ludwig: Des Lebens Überfluß. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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und selbst für Zucht- und Armenhäuser übrig. Gleich nachdem wir fortgegangen, hätten sich zehn Edelleute und fünfzehn angesehene Fräulein verauctioniren lassen, und die Gelder seien ebenfalls dem Staatsschatz und den Einkünften entzogen worden. Aller moralische Werth ginge bei so bösen, verderblichen Beispielen unter, und die Schätzung der Tugend verschwinde, wenn Individuen so taxirt und übermäßig hoch geschätzt würden. Das Alles kam mir ganz vernünftig vor, und ich bereute es jetzt, daß durch mein Verschulden diese Verwirrung habe entstehen können.

Als wir zur Hinrichtung hinausgeführt wurden -- erwachte ich und fand mich in deinen Armen. --

Nachdenklich ist die Geschichte in der That, antwortete Clara; sie ist, nur in ein etwas grelles Licht gestellt, die Geschichte vieler Menschen, die sich alle so theuer wie möglich verkaufen. Diese wunderliche Auction geht freilich durch die Einrichtung aller Staaten.

Nachdenklich ist dieser dumme Traum auch mir, erwiderte Heinrich, denn die Welt hat mich und ich habe die Welt in dem Grade verlassen, daß kein Mensch meinen Werth mit irgend einer namhaften Summe würde taxiren wollen. Mein Credit in dieser ganzen großen Stadt erstreckt sich nicht auf einen Groschen; ich bin ganz ausdrücklich das, was die Welt einen Lumpen nennt. Und doch liebst du mich, du kostbares, herrliches Wesen! Und wenn ich wieder bedenke, wie

und selbst für Zucht- und Armenhäuser übrig. Gleich nachdem wir fortgegangen, hätten sich zehn Edelleute und fünfzehn angesehene Fräulein verauctioniren lassen, und die Gelder seien ebenfalls dem Staatsschatz und den Einkünften entzogen worden. Aller moralische Werth ginge bei so bösen, verderblichen Beispielen unter, und die Schätzung der Tugend verschwinde, wenn Individuen so taxirt und übermäßig hoch geschätzt würden. Das Alles kam mir ganz vernünftig vor, und ich bereute es jetzt, daß durch mein Verschulden diese Verwirrung habe entstehen können.

Als wir zur Hinrichtung hinausgeführt wurden — erwachte ich und fand mich in deinen Armen. —

Nachdenklich ist die Geschichte in der That, antwortete Clara; sie ist, nur in ein etwas grelles Licht gestellt, die Geschichte vieler Menschen, die sich alle so theuer wie möglich verkaufen. Diese wunderliche Auction geht freilich durch die Einrichtung aller Staaten.

Nachdenklich ist dieser dumme Traum auch mir, erwiderte Heinrich, denn die Welt hat mich und ich habe die Welt in dem Grade verlassen, daß kein Mensch meinen Werth mit irgend einer namhaften Summe würde taxiren wollen. Mein Credit in dieser ganzen großen Stadt erstreckt sich nicht auf einen Groschen; ich bin ganz ausdrücklich das, was die Welt einen Lumpen nennt. Und doch liebst du mich, du kostbares, herrliches Wesen! Und wenn ich wieder bedenke, wie

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[0055] und selbst für Zucht- und Armenhäuser übrig. Gleich nachdem wir fortgegangen, hätten sich zehn Edelleute und fünfzehn angesehene Fräulein verauctioniren lassen, und die Gelder seien ebenfalls dem Staatsschatz und den Einkünften entzogen worden. Aller moralische Werth ginge bei so bösen, verderblichen Beispielen unter, und die Schätzung der Tugend verschwinde, wenn Individuen so taxirt und übermäßig hoch geschätzt würden. Das Alles kam mir ganz vernünftig vor, und ich bereute es jetzt, daß durch mein Verschulden diese Verwirrung habe entstehen können. Als wir zur Hinrichtung hinausgeführt wurden — erwachte ich und fand mich in deinen Armen. — Nachdenklich ist die Geschichte in der That, antwortete Clara; sie ist, nur in ein etwas grelles Licht gestellt, die Geschichte vieler Menschen, die sich alle so theuer wie möglich verkaufen. Diese wunderliche Auction geht freilich durch die Einrichtung aller Staaten. Nachdenklich ist dieser dumme Traum auch mir, erwiderte Heinrich, denn die Welt hat mich und ich habe die Welt in dem Grade verlassen, daß kein Mensch meinen Werth mit irgend einer namhaften Summe würde taxiren wollen. Mein Credit in dieser ganzen großen Stadt erstreckt sich nicht auf einen Groschen; ich bin ganz ausdrücklich das, was die Welt einen Lumpen nennt. Und doch liebst du mich, du kostbares, herrliches Wesen! Und wenn ich wieder bedenke, wie

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:30:27Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:30:27Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Des Lebens Überfluß. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_ueberfluss_1910/55>, abgerufen am 29.04.2024.