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Tieck, Ludwig: Des Lebens Überfluß. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Glück, ein Blatt von deiner Hand vorn beschrieben, in welchem du dich unglücklich und elend nanntest, mit dem Namen Brand unterzeichnetest und Stadt, Gasse und Wohnung anzeigtest. Wie hätte ich, bei deinem veränderten Namen, bei deiner Verdunklung, dich jemals auffinden können, wenn dieses liebe, theure Buch dich mir nicht verrathen hätte. So empfange es denn zurück zum zweiten Male und halte es in Ehren, denn dies Buch ist wunderbarer Weise die Treppe, die uns wieder zu einander geführt hat. -- Ich kürze in London meinen Aufenthalt ab, ich eile hierher -- und erfahre vom Gesandten, der seit acht Wochen schon von seinem Monarchen hierher geschickt ist, daß du seine Tochter entführt hast.

Mein Vater hier? rief Clara erblassend.

Ja, meine gnädige Frau, fuhr Vandelmeer fort, aber erschrecken Sie nicht; noch weiß er es nicht, daß Sie sich in dieser Stadt befinden. -- Der alte Mann bereut jetzt seine Härte, er klagt sich selber an und ist untröstlich, daß er jede Spur von seiner Tochter verloren hat. Längst hat er ihr verziehen, und mit Rührung erzählte er mir, daß du völlig verschollen seist, daß er trotz aller eifrigen Nachforschung nirgend eine Spur von dir habe entdecken können. -- Es ist nur begreiflich, Freund, wenn man sieht, wie du, fast wie ein thebaischer Einsiedler oder wie jener Simeon Stylites, zurückgezogen gelebt hast, daß keine Nachricht, keine Zeitung zu dir gedrungen ist, um dir zu sagen,

Glück, ein Blatt von deiner Hand vorn beschrieben, in welchem du dich unglücklich und elend nanntest, mit dem Namen Brand unterzeichnetest und Stadt, Gasse und Wohnung anzeigtest. Wie hätte ich, bei deinem veränderten Namen, bei deiner Verdunklung, dich jemals auffinden können, wenn dieses liebe, theure Buch dich mir nicht verrathen hätte. So empfange es denn zurück zum zweiten Male und halte es in Ehren, denn dies Buch ist wunderbarer Weise die Treppe, die uns wieder zu einander geführt hat. — Ich kürze in London meinen Aufenthalt ab, ich eile hierher — und erfahre vom Gesandten, der seit acht Wochen schon von seinem Monarchen hierher geschickt ist, daß du seine Tochter entführt hast.

Mein Vater hier? rief Clara erblassend.

Ja, meine gnädige Frau, fuhr Vandelmeer fort, aber erschrecken Sie nicht; noch weiß er es nicht, daß Sie sich in dieser Stadt befinden. — Der alte Mann bereut jetzt seine Härte, er klagt sich selber an und ist untröstlich, daß er jede Spur von seiner Tochter verloren hat. Längst hat er ihr verziehen, und mit Rührung erzählte er mir, daß du völlig verschollen seist, daß er trotz aller eifrigen Nachforschung nirgend eine Spur von dir habe entdecken können. — Es ist nur begreiflich, Freund, wenn man sieht, wie du, fast wie ein thebaischer Einsiedler oder wie jener Simeon Stylites, zurückgezogen gelebt hast, daß keine Nachricht, keine Zeitung zu dir gedrungen ist, um dir zu sagen,

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:30:27Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:30:27Z)

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Des Lebens Überfluß. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_ueberfluss_1910/85>, abgerufen am 29.04.2024.