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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775.

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Der 9te April.
Geschöpfen verwendet werden, wie er es vor meiner Geburt ward,
und nach meinem Tode seyn wird. Und meine Seele! Welche
Lücke konte durch sie im unermeßlichen Reiche der Geister verur-
sacht werden? Alles, was ich sagen darf (und das reißt mich zur
Bewunderung hin!) ist, daß der Allweise es für gut fand, daß
ich da war. Nur durch deine Güte und Weisheit bin ich hier!
Und da ich einmal bin, so ist nichts vermögend, mir mein Daseyn
zu rauben; denn deine Güte erhält mich. Hölle, Tirannen und
Elemente mögen sich verschwören: meinen Leib können sie tödten:
aber dennoch bin ich da, denn deine Güte erhält mich. Nach
hundert Jahren (ein Augenblick für meine Seele!) wird kein
Stäubchen von mir mehr kentlich, und meine irdische Vorzüge
werden wie mein Grabmal versunken, seyn: aber dennoch bin ich
da; denn deine Güte erhält mich. Klopfe stark, mein Herz!
fühle deinen hohen Werth, und sprich mit innigster Regung:

Dir Gott sey Preis und Dank gebracht!
Dich rühme Harf und Psalter!
Jch bin ein Wunder deiner Macht,
Mein Schöpfer! mein Erhalter!

Jeder Schlaf beweiset mir, daß ich auch nicht seyn könte:
denn ein Schlafender ist wenig vorhanden: Nun, so will ich
mich noch jetzt meines Daseyns erfreuen, und meinen Vater in-
nigst loben, daß er mich aus dem Reiche der Möglichkeit zu einem
Wesen rief, und zwar zum edelsten, was ich auf Erden seyn
konte. Das ist genug für mich, um künftig das beste zu hoffen.
Zu seyn, und dankvoll zu empfinden, daß ich bin: o! dagegen
ist der Posten den ich bekleide, das Kleid das ich trage, oder der
Körper den es bedeckt: das alles ist Spielzeug. Jch bin ewiger
Freuden fähig: das allein ist wahrer Werth; und den, mein
Heiland! versag mir nicht!

Der

Der 9te April.
Geſchoͤpfen verwendet werden, wie er es vor meiner Geburt ward,
und nach meinem Tode ſeyn wird. Und meine Seele! Welche
Luͤcke konte durch ſie im unermeßlichen Reiche der Geiſter verur-
ſacht werden? Alles, was ich ſagen darf (und das reißt mich zur
Bewunderung hin!) iſt, daß der Allweiſe es fuͤr gut fand, daß
ich da war. Nur durch deine Guͤte und Weisheit bin ich hier!
Und da ich einmal bin, ſo iſt nichts vermoͤgend, mir mein Daſeyn
zu rauben; denn deine Guͤte erhaͤlt mich. Hoͤlle, Tirannen und
Elemente moͤgen ſich verſchwoͤren: meinen Leib koͤnnen ſie toͤdten:
aber dennoch bin ich da, denn deine Guͤte erhaͤlt mich. Nach
hundert Jahren (ein Augenblick fuͤr meine Seele!) wird kein
Staͤubchen von mir mehr kentlich, und meine irdiſche Vorzuͤge
werden wie mein Grabmal verſunken, ſeyn: aber dennoch bin ich
da; denn deine Guͤte erhaͤlt mich. Klopfe ſtark, mein Herz!
fuͤhle deinen hohen Werth, und ſprich mit innigſter Regung:

Dir Gott ſey Preis und Dank gebracht!
Dich ruͤhme Harf und Pſalter!
Jch bin ein Wunder deiner Macht,
Mein Schoͤpfer! mein Erhalter!

Jeder Schlaf beweiſet mir, daß ich auch nicht ſeyn koͤnte:
denn ein Schlafender iſt wenig vorhanden: Nun, ſo will ich
mich noch jetzt meines Daſeyns erfreuen, und meinen Vater in-
nigſt loben, daß er mich aus dem Reiche der Moͤglichkeit zu einem
Weſen rief, und zwar zum edelſten, was ich auf Erden ſeyn
konte. Das iſt genug fuͤr mich, um kuͤnftig das beſte zu hoffen.
Zu ſeyn, und dankvoll zu empfinden, daß ich bin: o! dagegen
iſt der Poſten den ich bekleide, das Kleid das ich trage, oder der
Koͤrper den es bedeckt: das alles iſt Spielzeug. Jch bin ewiger
Freuden faͤhig: das allein iſt wahrer Werth; und den, mein
Heiland! verſag mir nicht!

Der
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[208[238]/0245] Der 9te April. Geſchoͤpfen verwendet werden, wie er es vor meiner Geburt ward, und nach meinem Tode ſeyn wird. Und meine Seele! Welche Luͤcke konte durch ſie im unermeßlichen Reiche der Geiſter verur- ſacht werden? Alles, was ich ſagen darf (und das reißt mich zur Bewunderung hin!) iſt, daß der Allweiſe es fuͤr gut fand, daß ich da war. Nur durch deine Guͤte und Weisheit bin ich hier! Und da ich einmal bin, ſo iſt nichts vermoͤgend, mir mein Daſeyn zu rauben; denn deine Guͤte erhaͤlt mich. Hoͤlle, Tirannen und Elemente moͤgen ſich verſchwoͤren: meinen Leib koͤnnen ſie toͤdten: aber dennoch bin ich da, denn deine Guͤte erhaͤlt mich. Nach hundert Jahren (ein Augenblick fuͤr meine Seele!) wird kein Staͤubchen von mir mehr kentlich, und meine irdiſche Vorzuͤge werden wie mein Grabmal verſunken, ſeyn: aber dennoch bin ich da; denn deine Guͤte erhaͤlt mich. Klopfe ſtark, mein Herz! fuͤhle deinen hohen Werth, und ſprich mit innigſter Regung: Dir Gott ſey Preis und Dank gebracht! Dich ruͤhme Harf und Pſalter! Jch bin ein Wunder deiner Macht, Mein Schoͤpfer! mein Erhalter! Jeder Schlaf beweiſet mir, daß ich auch nicht ſeyn koͤnte: denn ein Schlafender iſt wenig vorhanden: Nun, ſo will ich mich noch jetzt meines Daſeyns erfreuen, und meinen Vater in- nigſt loben, daß er mich aus dem Reiche der Moͤglichkeit zu einem Weſen rief, und zwar zum edelſten, was ich auf Erden ſeyn konte. Das iſt genug fuͤr mich, um kuͤnftig das beſte zu hoffen. Zu ſeyn, und dankvoll zu empfinden, daß ich bin: o! dagegen iſt der Poſten den ich bekleide, das Kleid das ich trage, oder der Koͤrper den es bedeckt: das alles iſt Spielzeug. Jch bin ewiger Freuden faͤhig: das allein iſt wahrer Werth; und den, mein Heiland! verſag mir nicht! Der

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 208[238]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/245>, abgerufen am 14.11.2024.