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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Schlacht an der Katzbach.
wässer der Katzbach und der wüthenden Neiße, stiegen dann sorglos an
den steilen Thalrändern empor auf die Hochebene, die sich über dem Zu-
sammenfluß der beiden Gebirgsbäche erhebt. Droben aber stand York,
hinter sanften Anhöhen versteckt, mit dem Centrum des Blücher'schen
Heeres; er ließ einen Theil der Feinde auf die Hochebene heraufkommen
und brach alsdann urplötzlich mit zermalmendem Ungestüm aus dem
Hinterhalt hervor, auf seinem rechten Flügel von Sackens Russen kräftig
unterstützt. Ein furchtbares Blutbad begann. Der überraschte Feind stand
eingepreßt in dem Winkel zwischen den beiden Gebirgswassern; Kolben
und Bajonett bildeten die einzigen Waffen des Fußvolks, da die Musketen
im Regen versagten. Bei Anbruch der Nacht warf Katzelers Reiterei die
aufgelösten Trümmer des feindlichen Heeres in das Thal der wüthenden
Neiße hinunter, Tausende fanden den Tod in den wilden Wogen. Nur
die Saumseligkeit Langerons, der mit seinem russischen Corps auf dem
linken Flügel dem Kampfe fern blieb, rettete die Armee Macdonalds vor
gänzlichem Untergange. Gneisenau aber gedachte jener Schreckensnacht nach
der Schlacht von Jena und befahl die letzte Kraft von Roß und Mann an
die Verfolgung zu setzen. Erschöpft von der Schlacht und den Hin- und
Hermärschen der jüngsten Tage lagerten die siegreichen Truppen während
der Nacht auf dem aufgeweichten Boden, ohne Feuer, hungernd und frierend,
in abgerissenen dünnen Kleidern, die Meisten ohne Schuhe; ihrer Viele
erlagen der übermenschlichen Anstrengung. Dann brach man auf, den
Geschlagenen nach. Am 29. wurde die Division Puthod bei Plagwitz
von den Nachsetzenden erreicht und völlig zersprengt noch bevor sie das
Wildwasser des Bobers überschreiten konnte; auch die irische Legion, die
unter französischem Banner gegen den englischen Todfeind focht, fand
ihr Grab in den Wellen des deutschen Flusses. So hielt die wilde Jagd
noch Tagelang an, immer bei strömendem Regen, verlustreich für die
Sieger, verderblich für die Fliehenden, bis endlich am 1. September
Blücher seinem Heere triumphirend verkünden konnte, das gesammte
schlesische Land sei vom Feinde gesäubert.

Die Schlacht an der Katzbach war der erste wahrhaft fruchtbare Sieg
dieses Feldzugs. Sie befreite Schlesien, sie hob die Zuversicht im Heere
der Verbündeten und brachte dem Werke Scharnhorsts eine glänzende
Rechtfertigung, da die neue Landwehr sich den besten Linientruppen eben-
bürtig zeigte; sie erweckte was jedem nationalen Kriege unentbehrlich ist,
die Freude an einem volksthümlichen Helden, zu dem der kleine Mann
bewundernd aufschauen konnte. Der Name Blüchers war in Aller Munde.

Wer den Dingen näher stand wußte freilich, daß die Kriegspläne des
alten Helden aus Gneisenaus Kopfe stammten. So war der königliche Mann
nun doch der Marschall von Schlesien geworden, wie ihm Clausewitz geweis-
sagt. Er hatte einst in unheilvollen Tagen auf den Wällen Kolbergs die
geschändeten preußischen Fahnen zuerst wieder zu Ehren gebracht. Jetzt wußte

Schlacht an der Katzbach.
wäſſer der Katzbach und der wüthenden Neiße, ſtiegen dann ſorglos an
den ſteilen Thalrändern empor auf die Hochebene, die ſich über dem Zu-
ſammenfluß der beiden Gebirgsbäche erhebt. Droben aber ſtand York,
hinter ſanften Anhöhen verſteckt, mit dem Centrum des Blücher’ſchen
Heeres; er ließ einen Theil der Feinde auf die Hochebene heraufkommen
und brach alsdann urplötzlich mit zermalmendem Ungeſtüm aus dem
Hinterhalt hervor, auf ſeinem rechten Flügel von Sackens Ruſſen kräftig
unterſtützt. Ein furchtbares Blutbad begann. Der überraſchte Feind ſtand
eingepreßt in dem Winkel zwiſchen den beiden Gebirgswaſſern; Kolben
und Bajonett bildeten die einzigen Waffen des Fußvolks, da die Musketen
im Regen verſagten. Bei Anbruch der Nacht warf Katzelers Reiterei die
aufgelöſten Trümmer des feindlichen Heeres in das Thal der wüthenden
Neiße hinunter, Tauſende fanden den Tod in den wilden Wogen. Nur
die Saumſeligkeit Langerons, der mit ſeinem ruſſiſchen Corps auf dem
linken Flügel dem Kampfe fern blieb, rettete die Armee Macdonalds vor
gänzlichem Untergange. Gneiſenau aber gedachte jener Schreckensnacht nach
der Schlacht von Jena und befahl die letzte Kraft von Roß und Mann an
die Verfolgung zu ſetzen. Erſchöpft von der Schlacht und den Hin- und
Hermärſchen der jüngſten Tage lagerten die ſiegreichen Truppen während
der Nacht auf dem aufgeweichten Boden, ohne Feuer, hungernd und frierend,
in abgeriſſenen dünnen Kleidern, die Meiſten ohne Schuhe; ihrer Viele
erlagen der übermenſchlichen Anſtrengung. Dann brach man auf, den
Geſchlagenen nach. Am 29. wurde die Diviſion Puthod bei Plagwitz
von den Nachſetzenden erreicht und völlig zerſprengt noch bevor ſie das
Wildwaſſer des Bobers überſchreiten konnte; auch die iriſche Legion, die
unter franzöſiſchem Banner gegen den engliſchen Todfeind focht, fand
ihr Grab in den Wellen des deutſchen Fluſſes. So hielt die wilde Jagd
noch Tagelang an, immer bei ſtrömendem Regen, verluſtreich für die
Sieger, verderblich für die Fliehenden, bis endlich am 1. September
Blücher ſeinem Heere triumphirend verkünden konnte, das geſammte
ſchleſiſche Land ſei vom Feinde geſäubert.

Die Schlacht an der Katzbach war der erſte wahrhaft fruchtbare Sieg
dieſes Feldzugs. Sie befreite Schleſien, ſie hob die Zuverſicht im Heere
der Verbündeten und brachte dem Werke Scharnhorſts eine glänzende
Rechtfertigung, da die neue Landwehr ſich den beſten Linientruppen eben-
bürtig zeigte; ſie erweckte was jedem nationalen Kriege unentbehrlich iſt,
die Freude an einem volksthümlichen Helden, zu dem der kleine Mann
bewundernd aufſchauen konnte. Der Name Blüchers war in Aller Munde.

Wer den Dingen näher ſtand wußte freilich, daß die Kriegspläne des
alten Helden aus Gneiſenaus Kopfe ſtammten. So war der königliche Mann
nun doch der Marſchall von Schleſien geworden, wie ihm Clauſewitz geweiſ-
ſagt. Er hatte einſt in unheilvollen Tagen auf den Wällen Kolbergs die
geſchändeten preußiſchen Fahnen zuerſt wieder zu Ehren gebracht. Jetzt wußte

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[473/0489] Schlacht an der Katzbach. wäſſer der Katzbach und der wüthenden Neiße, ſtiegen dann ſorglos an den ſteilen Thalrändern empor auf die Hochebene, die ſich über dem Zu- ſammenfluß der beiden Gebirgsbäche erhebt. Droben aber ſtand York, hinter ſanften Anhöhen verſteckt, mit dem Centrum des Blücher’ſchen Heeres; er ließ einen Theil der Feinde auf die Hochebene heraufkommen und brach alsdann urplötzlich mit zermalmendem Ungeſtüm aus dem Hinterhalt hervor, auf ſeinem rechten Flügel von Sackens Ruſſen kräftig unterſtützt. Ein furchtbares Blutbad begann. Der überraſchte Feind ſtand eingepreßt in dem Winkel zwiſchen den beiden Gebirgswaſſern; Kolben und Bajonett bildeten die einzigen Waffen des Fußvolks, da die Musketen im Regen verſagten. Bei Anbruch der Nacht warf Katzelers Reiterei die aufgelöſten Trümmer des feindlichen Heeres in das Thal der wüthenden Neiße hinunter, Tauſende fanden den Tod in den wilden Wogen. Nur die Saumſeligkeit Langerons, der mit ſeinem ruſſiſchen Corps auf dem linken Flügel dem Kampfe fern blieb, rettete die Armee Macdonalds vor gänzlichem Untergange. Gneiſenau aber gedachte jener Schreckensnacht nach der Schlacht von Jena und befahl die letzte Kraft von Roß und Mann an die Verfolgung zu ſetzen. Erſchöpft von der Schlacht und den Hin- und Hermärſchen der jüngſten Tage lagerten die ſiegreichen Truppen während der Nacht auf dem aufgeweichten Boden, ohne Feuer, hungernd und frierend, in abgeriſſenen dünnen Kleidern, die Meiſten ohne Schuhe; ihrer Viele erlagen der übermenſchlichen Anſtrengung. Dann brach man auf, den Geſchlagenen nach. Am 29. wurde die Diviſion Puthod bei Plagwitz von den Nachſetzenden erreicht und völlig zerſprengt noch bevor ſie das Wildwaſſer des Bobers überſchreiten konnte; auch die iriſche Legion, die unter franzöſiſchem Banner gegen den engliſchen Todfeind focht, fand ihr Grab in den Wellen des deutſchen Fluſſes. So hielt die wilde Jagd noch Tagelang an, immer bei ſtrömendem Regen, verluſtreich für die Sieger, verderblich für die Fliehenden, bis endlich am 1. September Blücher ſeinem Heere triumphirend verkünden konnte, das geſammte ſchleſiſche Land ſei vom Feinde geſäubert. Die Schlacht an der Katzbach war der erſte wahrhaft fruchtbare Sieg dieſes Feldzugs. Sie befreite Schleſien, ſie hob die Zuverſicht im Heere der Verbündeten und brachte dem Werke Scharnhorſts eine glänzende Rechtfertigung, da die neue Landwehr ſich den beſten Linientruppen eben- bürtig zeigte; ſie erweckte was jedem nationalen Kriege unentbehrlich iſt, die Freude an einem volksthümlichen Helden, zu dem der kleine Mann bewundernd aufſchauen konnte. Der Name Blüchers war in Aller Munde. Wer den Dingen näher ſtand wußte freilich, daß die Kriegspläne des alten Helden aus Gneiſenaus Kopfe ſtammten. So war der königliche Mann nun doch der Marſchall von Schleſien geworden, wie ihm Clauſewitz geweiſ- ſagt. Er hatte einſt in unheilvollen Tagen auf den Wällen Kolbergs die geſchändeten preußiſchen Fahnen zuerſt wieder zu Ehren gebracht. Jetzt wußte

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 473. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/489>, abgerufen am 28.03.2024.