Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

Bild:
<< vorherige Seite
Zweiter Abschnitt.

Belle Alliance.

So alltäglich es ist, daß kommende Ereignisse ihren Schatten voraus
werfen, ebenso selten geschieht es, daß die Helden einer abgeschlossenen,
überwundenen Vergangenheit wieder auf der verwandelten Bühne der
Zeit erscheinen. An solcher Wiederkehr vergangener Größe haftet immer
ein wunderbarer, traumhafter Zauber, weil sie dem nothwendigen ewigen
Werden des historischen Lebens widerspricht. Phantastischer hat das
Schicksal nie gewaltet als während jener hundert Tage, da mit einem
male, wie ein Gespensterzug am hellen Mittag, die Männer und die
Leidenschaften eines Zeitalters der Kriege wieder hereinbrachen über ein
neues friedensfrohes Geschlecht und das grandiose Abenteuer des napo-
leonischen Kaiserthums in einem stürmischen Nachspiele seinen würdigen
Abschluß fand. Am 1. März landete Napoleon mit seinen neunhundert
Getreuen an der Küste bei Cannes; am 20. Abends, am Geburtstage
des Königs von Rom, fuhr sein bestaubter Reisewagen durch die schwei-
gende Hauptstadt nach den Tuilerien, und ein Schwarm von Veteranen
begrüßte freudetrunken den heimkehrenden Helden am Portale des ver-
lassenen Königsschlosses. "Der Kaiser hat sich gezeigt, und die königliche
Regierung besteht nicht mehr" -- schrieb er stolz an die Gesandten. Noch
nie und nirgends hatten die dämonischen Mächte des Genies und des
Ruhmes einen so glänzenden Triumph gefeiert; der unblutige Siegeszug
schien wirklich, wie der Imperator den Fürsten Europas versicherte, "das
Werk einer unwiderstehlichen Gewalt, des einstimmigen Willens einer
großen Nation, die ihre Pflichten und ihre Rechte kennt."

Und doch ging diese wundergleiche Revolution fast allein von der
Mannschaft des Heeres aus. Die alten Corporale und Sergeanten, die
hier, wie in allen Berufsarmeen, den Geist des Heeres beherrschten,
hingen mit abgöttischer Verehrung an dem Bilde des demokratischen Hel-
den, sie waren die Apostel jener napoleonischen Religion, deren ungeheuer-
liche Legenden das stolze Volk über seine Niederlagen trösteten. Wie
hätte das vierte Artillerieregiment, in dessen Reihen einst der Leutnant
Bonaparte gedient, der feurigen Anrede des gros papa widerstehen sollen,

Zweiter Abſchnitt.

Belle Alliance.

So alltäglich es iſt, daß kommende Ereigniſſe ihren Schatten voraus
werfen, ebenſo ſelten geſchieht es, daß die Helden einer abgeſchloſſenen,
überwundenen Vergangenheit wieder auf der verwandelten Bühne der
Zeit erſcheinen. An ſolcher Wiederkehr vergangener Größe haftet immer
ein wunderbarer, traumhafter Zauber, weil ſie dem nothwendigen ewigen
Werden des hiſtoriſchen Lebens widerſpricht. Phantaſtiſcher hat das
Schickſal nie gewaltet als während jener hundert Tage, da mit einem
male, wie ein Geſpenſterzug am hellen Mittag, die Männer und die
Leidenſchaften eines Zeitalters der Kriege wieder hereinbrachen über ein
neues friedensfrohes Geſchlecht und das grandioſe Abenteuer des napo-
leoniſchen Kaiſerthums in einem ſtürmiſchen Nachſpiele ſeinen würdigen
Abſchluß fand. Am 1. März landete Napoleon mit ſeinen neunhundert
Getreuen an der Küſte bei Cannes; am 20. Abends, am Geburtstage
des Königs von Rom, fuhr ſein beſtaubter Reiſewagen durch die ſchwei-
gende Hauptſtadt nach den Tuilerien, und ein Schwarm von Veteranen
begrüßte freudetrunken den heimkehrenden Helden am Portale des ver-
laſſenen Königsſchloſſes. „Der Kaiſer hat ſich gezeigt, und die königliche
Regierung beſteht nicht mehr“ — ſchrieb er ſtolz an die Geſandten. Noch
nie und nirgends hatten die dämoniſchen Mächte des Genies und des
Ruhmes einen ſo glänzenden Triumph gefeiert; der unblutige Siegeszug
ſchien wirklich, wie der Imperator den Fürſten Europas verſicherte, „das
Werk einer unwiderſtehlichen Gewalt, des einſtimmigen Willens einer
großen Nation, die ihre Pflichten und ihre Rechte kennt.“

Und doch ging dieſe wundergleiche Revolution faſt allein von der
Mannſchaft des Heeres aus. Die alten Corporale und Sergeanten, die
hier, wie in allen Berufsarmeen, den Geiſt des Heeres beherrſchten,
hingen mit abgöttiſcher Verehrung an dem Bilde des demokratiſchen Hel-
den, ſie waren die Apoſtel jener napoleoniſchen Religion, deren ungeheuer-
liche Legenden das ſtolze Volk über ſeine Niederlagen tröſteten. Wie
hätte das vierte Artillerieregiment, in deſſen Reihen einſt der Leutnant
Bonaparte gedient, der feurigen Anrede des gros papa widerſtehen ſollen,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0725" n="[709]"/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">Zweiter Ab&#x017F;chnitt.<lb/><milestone rendition="#hr" unit="section"/> Belle Alliance.</hi> </head><lb/>
            <p>So alltäglich es i&#x017F;t, daß kommende Ereigni&#x017F;&#x017F;e ihren Schatten voraus<lb/>
werfen, eben&#x017F;o &#x017F;elten ge&#x017F;chieht es, daß die Helden einer abge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen,<lb/>
überwundenen Vergangenheit wieder auf der verwandelten Bühne der<lb/>
Zeit er&#x017F;cheinen. An &#x017F;olcher Wiederkehr vergangener Größe haftet immer<lb/>
ein wunderbarer, traumhafter Zauber, weil &#x017F;ie dem nothwendigen ewigen<lb/>
Werden des hi&#x017F;tori&#x017F;chen Lebens wider&#x017F;pricht. Phanta&#x017F;ti&#x017F;cher hat das<lb/>
Schick&#x017F;al nie gewaltet als während jener hundert Tage, da mit einem<lb/>
male, wie ein Ge&#x017F;pen&#x017F;terzug am hellen Mittag, die Männer und die<lb/>
Leiden&#x017F;chaften eines Zeitalters der Kriege wieder hereinbrachen über ein<lb/>
neues friedensfrohes Ge&#x017F;chlecht und das grandio&#x017F;e Abenteuer des napo-<lb/>
leoni&#x017F;chen Kai&#x017F;erthums in einem &#x017F;türmi&#x017F;chen Nach&#x017F;piele &#x017F;einen würdigen<lb/>
Ab&#x017F;chluß fand. Am 1. März landete Napoleon mit &#x017F;einen neunhundert<lb/>
Getreuen an der Kü&#x017F;te bei Cannes; am 20. Abends, am Geburtstage<lb/>
des Königs von Rom, fuhr &#x017F;ein be&#x017F;taubter Rei&#x017F;ewagen durch die &#x017F;chwei-<lb/>
gende Haupt&#x017F;tadt nach den Tuilerien, und ein Schwarm von Veteranen<lb/>
begrüßte freudetrunken den heimkehrenden Helden am Portale des ver-<lb/>
la&#x017F;&#x017F;enen Königs&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;es. &#x201E;Der Kai&#x017F;er hat &#x017F;ich gezeigt, und die königliche<lb/>
Regierung be&#x017F;teht nicht mehr&#x201C; &#x2014; &#x017F;chrieb er &#x017F;tolz an die Ge&#x017F;andten. Noch<lb/>
nie und nirgends hatten die dämoni&#x017F;chen Mächte des Genies und des<lb/>
Ruhmes einen &#x017F;o glänzenden Triumph gefeiert; der unblutige Siegeszug<lb/>
&#x017F;chien wirklich, wie der Imperator den Für&#x017F;ten Europas ver&#x017F;icherte, &#x201E;das<lb/>
Werk einer unwider&#x017F;tehlichen Gewalt, des ein&#x017F;timmigen Willens einer<lb/>
großen Nation, die ihre Pflichten und ihre Rechte kennt.&#x201C;</p><lb/>
            <p>Und doch ging die&#x017F;e wundergleiche Revolution fa&#x017F;t allein von der<lb/>
Mann&#x017F;chaft des Heeres aus. Die alten Corporale und Sergeanten, die<lb/>
hier, wie in allen Berufsarmeen, den Gei&#x017F;t des Heeres beherr&#x017F;chten,<lb/>
hingen mit abgötti&#x017F;cher Verehrung an dem Bilde des demokrati&#x017F;chen Hel-<lb/>
den, &#x017F;ie waren die Apo&#x017F;tel jener napoleoni&#x017F;chen Religion, deren ungeheuer-<lb/>
liche Legenden das &#x017F;tolze Volk über &#x017F;eine Niederlagen trö&#x017F;teten. Wie<lb/>
hätte das vierte Artillerieregiment, in de&#x017F;&#x017F;en Reihen ein&#x017F;t der Leutnant<lb/>
Bonaparte gedient, der feurigen Anrede des <hi rendition="#aq">gros papa</hi> wider&#x017F;tehen &#x017F;ollen,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[709]/0725] Zweiter Abſchnitt. Belle Alliance. So alltäglich es iſt, daß kommende Ereigniſſe ihren Schatten voraus werfen, ebenſo ſelten geſchieht es, daß die Helden einer abgeſchloſſenen, überwundenen Vergangenheit wieder auf der verwandelten Bühne der Zeit erſcheinen. An ſolcher Wiederkehr vergangener Größe haftet immer ein wunderbarer, traumhafter Zauber, weil ſie dem nothwendigen ewigen Werden des hiſtoriſchen Lebens widerſpricht. Phantaſtiſcher hat das Schickſal nie gewaltet als während jener hundert Tage, da mit einem male, wie ein Geſpenſterzug am hellen Mittag, die Männer und die Leidenſchaften eines Zeitalters der Kriege wieder hereinbrachen über ein neues friedensfrohes Geſchlecht und das grandioſe Abenteuer des napo- leoniſchen Kaiſerthums in einem ſtürmiſchen Nachſpiele ſeinen würdigen Abſchluß fand. Am 1. März landete Napoleon mit ſeinen neunhundert Getreuen an der Küſte bei Cannes; am 20. Abends, am Geburtstage des Königs von Rom, fuhr ſein beſtaubter Reiſewagen durch die ſchwei- gende Hauptſtadt nach den Tuilerien, und ein Schwarm von Veteranen begrüßte freudetrunken den heimkehrenden Helden am Portale des ver- laſſenen Königsſchloſſes. „Der Kaiſer hat ſich gezeigt, und die königliche Regierung beſteht nicht mehr“ — ſchrieb er ſtolz an die Geſandten. Noch nie und nirgends hatten die dämoniſchen Mächte des Genies und des Ruhmes einen ſo glänzenden Triumph gefeiert; der unblutige Siegeszug ſchien wirklich, wie der Imperator den Fürſten Europas verſicherte, „das Werk einer unwiderſtehlichen Gewalt, des einſtimmigen Willens einer großen Nation, die ihre Pflichten und ihre Rechte kennt.“ Und doch ging dieſe wundergleiche Revolution faſt allein von der Mannſchaft des Heeres aus. Die alten Corporale und Sergeanten, die hier, wie in allen Berufsarmeen, den Geiſt des Heeres beherrſchten, hingen mit abgöttiſcher Verehrung an dem Bilde des demokratiſchen Hel- den, ſie waren die Apoſtel jener napoleoniſchen Religion, deren ungeheuer- liche Legenden das ſtolze Volk über ſeine Niederlagen tröſteten. Wie hätte das vierte Artillerieregiment, in deſſen Reihen einſt der Leutnant Bonaparte gedient, der feurigen Anrede des gros papa widerſtehen ſollen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/725
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. [709]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/725>, abgerufen am 25.04.2024.