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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Schmalz der Denunciant.
widerte dem Vertheidiger des absoluten Königthums kurzab: "das Re-
präsentativsystem ist das wahre und auch das einzige, wozu rechtliche und
vaterländische Menschen sich öffentlich bekennen dürfen!" Rath Koppe in
Aachen, ein ausgezeichneter preußischer Beamter, behauptete zuversichtlich:
durch das talismanartige Wort "Verfassung" wird die deutsche Einheit ge-
sichert; denn "überall strebt der Nationalwille nach dieser Einheit; alle Ab-
weichungen davon hatten ihren Grund in dem Uebergewichte der Regie-
rungsgewalt über den Volkswillen!"

Um Neujahr 1816 machte eine würdig und freundlich gehaltene Ver-
ordnung des Königs dem Zanke ein Ende. Der Monarch erkannte offen
an: dieselben Gesinnungen, welche die Stiftung des alten Tugendbundes
veranlaßt, hätten im Jahre 1813 die Mehrheit des preußischen Volkes
beseelt und die Rettung des Vaterlandes herbeigeführt, jetzt aber, im Frie-
den, könnten geheime Verbindungen nur schädlich werden. Das alte Ver-
bot der heimlichen Gesellschaften ward erneuert, die Fortsetzung des lite-
rarischen Streites untersagt, eine Untersuchung, welche Niebuhr und seine
Freunde zu ihrer eigenen Rechtfertigung beantragt hatten, als überflüssig
abgelehnt. Nun verstummte der Lärm; aber Jedermann fühlte, daß die
arge Saat des Anklägers, der eben jetzt durch einen preußischen und einen
württembergischen Orden ausgezeichnet wurde, doch nicht auf ganz undank-
baren Boden gefallen war. -- Mit solchen Gesinnungen schritten Deutsch-
lands Fürsten und Stämme in die ersehnte Friedenszeit hinein. Dort
ein stiller, gegenstandsloser Argwohn; hier ein blinder Glaube an die zau-
berische Wirkung der constitutionellen Staatsformen, ein kindliches Ver-
trauen zu der untrüglichen Weisheit des Volks; in den Massen endlich
tiefe Sehnsucht nach Ruhe und friedlicher Arbeit.


Schmalz der Denunciant.
widerte dem Vertheidiger des abſoluten Königthums kurzab: „das Re-
präſentativſyſtem iſt das wahre und auch das einzige, wozu rechtliche und
vaterländiſche Menſchen ſich öffentlich bekennen dürfen!“ Rath Koppe in
Aachen, ein ausgezeichneter preußiſcher Beamter, behauptete zuverſichtlich:
durch das talismanartige Wort „Verfaſſung“ wird die deutſche Einheit ge-
ſichert; denn „überall ſtrebt der Nationalwille nach dieſer Einheit; alle Ab-
weichungen davon hatten ihren Grund in dem Uebergewichte der Regie-
rungsgewalt über den Volkswillen!“

Um Neujahr 1816 machte eine würdig und freundlich gehaltene Ver-
ordnung des Königs dem Zanke ein Ende. Der Monarch erkannte offen
an: dieſelben Geſinnungen, welche die Stiftung des alten Tugendbundes
veranlaßt, hätten im Jahre 1813 die Mehrheit des preußiſchen Volkes
beſeelt und die Rettung des Vaterlandes herbeigeführt, jetzt aber, im Frie-
den, könnten geheime Verbindungen nur ſchädlich werden. Das alte Ver-
bot der heimlichen Geſellſchaften ward erneuert, die Fortſetzung des lite-
rariſchen Streites unterſagt, eine Unterſuchung, welche Niebuhr und ſeine
Freunde zu ihrer eigenen Rechtfertigung beantragt hatten, als überflüſſig
abgelehnt. Nun verſtummte der Lärm; aber Jedermann fühlte, daß die
arge Saat des Anklägers, der eben jetzt durch einen preußiſchen und einen
württembergiſchen Orden ausgezeichnet wurde, doch nicht auf ganz undank-
baren Boden gefallen war. — Mit ſolchen Geſinnungen ſchritten Deutſch-
lands Fürſten und Stämme in die erſehnte Friedenszeit hinein. Dort
ein ſtiller, gegenſtandsloſer Argwohn; hier ein blinder Glaube an die zau-
beriſche Wirkung der conſtitutionellen Staatsformen, ein kindliches Ver-
trauen zu der untrüglichen Weisheit des Volks; in den Maſſen endlich
tiefe Sehnſucht nach Ruhe und friedlicher Arbeit.


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[117/0131] Schmalz der Denunciant. widerte dem Vertheidiger des abſoluten Königthums kurzab: „das Re- präſentativſyſtem iſt das wahre und auch das einzige, wozu rechtliche und vaterländiſche Menſchen ſich öffentlich bekennen dürfen!“ Rath Koppe in Aachen, ein ausgezeichneter preußiſcher Beamter, behauptete zuverſichtlich: durch das talismanartige Wort „Verfaſſung“ wird die deutſche Einheit ge- ſichert; denn „überall ſtrebt der Nationalwille nach dieſer Einheit; alle Ab- weichungen davon hatten ihren Grund in dem Uebergewichte der Regie- rungsgewalt über den Volkswillen!“ Um Neujahr 1816 machte eine würdig und freundlich gehaltene Ver- ordnung des Königs dem Zanke ein Ende. Der Monarch erkannte offen an: dieſelben Geſinnungen, welche die Stiftung des alten Tugendbundes veranlaßt, hätten im Jahre 1813 die Mehrheit des preußiſchen Volkes beſeelt und die Rettung des Vaterlandes herbeigeführt, jetzt aber, im Frie- den, könnten geheime Verbindungen nur ſchädlich werden. Das alte Ver- bot der heimlichen Geſellſchaften ward erneuert, die Fortſetzung des lite- rariſchen Streites unterſagt, eine Unterſuchung, welche Niebuhr und ſeine Freunde zu ihrer eigenen Rechtfertigung beantragt hatten, als überflüſſig abgelehnt. Nun verſtummte der Lärm; aber Jedermann fühlte, daß die arge Saat des Anklägers, der eben jetzt durch einen preußiſchen und einen württembergiſchen Orden ausgezeichnet wurde, doch nicht auf ganz undank- baren Boden gefallen war. — Mit ſolchen Geſinnungen ſchritten Deutſch- lands Fürſten und Stämme in die erſehnte Friedenszeit hinein. Dort ein ſtiller, gegenſtandsloſer Argwohn; hier ein blinder Glaube an die zau- beriſche Wirkung der conſtitutionellen Staatsformen, ein kindliches Ver- trauen zu der untrüglichen Weisheit des Volks; in den Maſſen endlich tiefe Sehnſucht nach Ruhe und friedlicher Arbeit.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/131>, abgerufen am 24.04.2024.