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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Die literarische Geselligkeit.
und der Forschung, und wenn es auch aus dem gescholtenen Frankreich
kam. Trotz der mystischen Schwärmerei der Zeit bewahrte man sich die
alte weitherzige Duldsamkeit. Die Gegensätze des religiösen Lebens hatten
sich noch nicht verhärtet; sie griffen noch nicht, wie heutzutage, verfälschend
und verbitternd in die politische Parteiung ein. Niemand verwunderte
sich, wenn ein Liberaler zugleich ein streng kirchlicher Christ war. Jeder-
mann fand es in der Ordnung, daß die katholische Geistlichkeit der Ein-
weihung einer evangelischen Kirche mit beiwohnte; selbst eifrige Convertiten
wie F. Schlegel, Stolberg, Klinckowström blieben mit einem Theile ihrer
alten protestantischen Freunde in herzlichem Verkehr. Der Kampf der
literarischen Parteien schloß die Anerkennung des menschlichen Werthes
der Gegner, die herzliche Freude über jeden glücklichen Fund nicht aus.
Die lärmende Jugend brüstete sich mit ihrer germanischen Sittenstrenge;
die reifen Männer zeigten in ihrem sittlichen Urtheile eine vornehme, frei-
sinnige Milde, die in Wahrheit weit deutscher war. Nachsichtig gegen die
menschliche Schwäche, legten sie geringen Werth auf den korrekten Lebens-
wandel, der dem prüden Sinne der Gegenwart als das einzige Kenn-
zeichen der Sittlichkeit gilt, und ließen einen heißblutigen Freund gern
gewähren, wenn er nur mithalf bei der Arbeit freier Menschenbildung
und den Glauben an die göttliche Bestimmung unseres Geschlechts nicht
verlor.

Nicht ohne Grund sahen die Poeten und Gelehrten mit Ironie auf
die Prosa des Philisterthums hernieder; sie lebten in der That inmitten
einer freien geistvollen Geselligkeit, welche das Leben durch das heitere
Spiel der Kunst zu adeln wußte und das Schillersche Ideal der ästheti-
schen Menschen-Erziehung annähernd verwirklichte. Briefwechsel und Ge-
spräch, die natürlichen Vermittler der Tageseindrücke, waren noch nicht
durch die Zeitungen verdrängt. Noch bestand die Grundlage aller ge-
selligen Anmuth, der zwanglose und häufige Verkehr zwischen den beiden
Geschlechtern, da die Frau den Gedanken des Mannes noch ganz zu
folgen vermochte. Keine Stadt im Reiche, die nicht ihre Kunstkenner,
Sammler und Kritiker, ihre Liebhabertheater und ästhetischen Kränzchen
besaß. Wenn das muntere kleinstädtische Völkchen sich beim trüben Schim-
mer der Talglichter zum einfachen Mahle versammelte, dann steuerten
Alle bei was sie vermochten an Räthseln und guten Einfällen, an Liedern
und gereimten Trinksprüchen -- denn für den poetischen Hausbedarf wußte
jeder gebildete Deutsche längst selber zu sorgen. Eine heitere Sinnlichkeit
erwärmte das gesellige Leben; beim Pfänderspiele war noch ein Kuß in
Ehren erlaubt; die frei und doch gut häuslich erzogenen jungen Mädchen
gestanden noch arglos ein, daß ihnen das Käthchen von Heilbronn so recht
im Herzen wohlgefiel. Und wie viel Geist und Witz, wie viel übermüthige
Laune und schwärmerische Begeisterung regte sich in den engeren Kreisen
der Eingeweihten: wenn Ludwig Devrient und Callot-Hoffmann in der

Die literariſche Geſelligkeit.
und der Forſchung, und wenn es auch aus dem geſcholtenen Frankreich
kam. Trotz der myſtiſchen Schwärmerei der Zeit bewahrte man ſich die
alte weitherzige Duldſamkeit. Die Gegenſätze des religiöſen Lebens hatten
ſich noch nicht verhärtet; ſie griffen noch nicht, wie heutzutage, verfälſchend
und verbitternd in die politiſche Parteiung ein. Niemand verwunderte
ſich, wenn ein Liberaler zugleich ein ſtreng kirchlicher Chriſt war. Jeder-
mann fand es in der Ordnung, daß die katholiſche Geiſtlichkeit der Ein-
weihung einer evangeliſchen Kirche mit beiwohnte; ſelbſt eifrige Convertiten
wie F. Schlegel, Stolberg, Klinckowſtröm blieben mit einem Theile ihrer
alten proteſtantiſchen Freunde in herzlichem Verkehr. Der Kampf der
literariſchen Parteien ſchloß die Anerkennung des menſchlichen Werthes
der Gegner, die herzliche Freude über jeden glücklichen Fund nicht aus.
Die lärmende Jugend brüſtete ſich mit ihrer germaniſchen Sittenſtrenge;
die reifen Männer zeigten in ihrem ſittlichen Urtheile eine vornehme, frei-
ſinnige Milde, die in Wahrheit weit deutſcher war. Nachſichtig gegen die
menſchliche Schwäche, legten ſie geringen Werth auf den korrekten Lebens-
wandel, der dem prüden Sinne der Gegenwart als das einzige Kenn-
zeichen der Sittlichkeit gilt, und ließen einen heißblutigen Freund gern
gewähren, wenn er nur mithalf bei der Arbeit freier Menſchenbildung
und den Glauben an die göttliche Beſtimmung unſeres Geſchlechts nicht
verlor.

Nicht ohne Grund ſahen die Poeten und Gelehrten mit Ironie auf
die Proſa des Philiſterthums hernieder; ſie lebten in der That inmitten
einer freien geiſtvollen Geſelligkeit, welche das Leben durch das heitere
Spiel der Kunſt zu adeln wußte und das Schillerſche Ideal der äſtheti-
ſchen Menſchen-Erziehung annähernd verwirklichte. Briefwechſel und Ge-
ſpräch, die natürlichen Vermittler der Tageseindrücke, waren noch nicht
durch die Zeitungen verdrängt. Noch beſtand die Grundlage aller ge-
ſelligen Anmuth, der zwangloſe und häufige Verkehr zwiſchen den beiden
Geſchlechtern, da die Frau den Gedanken des Mannes noch ganz zu
folgen vermochte. Keine Stadt im Reiche, die nicht ihre Kunſtkenner,
Sammler und Kritiker, ihre Liebhabertheater und äſthetiſchen Kränzchen
beſaß. Wenn das muntere kleinſtädtiſche Völkchen ſich beim trüben Schim-
mer der Talglichter zum einfachen Mahle verſammelte, dann ſteuerten
Alle bei was ſie vermochten an Räthſeln und guten Einfällen, an Liedern
und gereimten Trinkſprüchen — denn für den poetiſchen Hausbedarf wußte
jeder gebildete Deutſche längſt ſelber zu ſorgen. Eine heitere Sinnlichkeit
erwärmte das geſellige Leben; beim Pfänderſpiele war noch ein Kuß in
Ehren erlaubt; die frei und doch gut häuslich erzogenen jungen Mädchen
geſtanden noch arglos ein, daß ihnen das Käthchen von Heilbronn ſo recht
im Herzen wohlgefiel. Und wie viel Geiſt und Witz, wie viel übermüthige
Laune und ſchwärmeriſche Begeiſterung regte ſich in den engeren Kreiſen
der Eingeweihten: wenn Ludwig Devrient und Callot-Hoffmann in der

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[13/0027] Die literariſche Geſelligkeit. und der Forſchung, und wenn es auch aus dem geſcholtenen Frankreich kam. Trotz der myſtiſchen Schwärmerei der Zeit bewahrte man ſich die alte weitherzige Duldſamkeit. Die Gegenſätze des religiöſen Lebens hatten ſich noch nicht verhärtet; ſie griffen noch nicht, wie heutzutage, verfälſchend und verbitternd in die politiſche Parteiung ein. Niemand verwunderte ſich, wenn ein Liberaler zugleich ein ſtreng kirchlicher Chriſt war. Jeder- mann fand es in der Ordnung, daß die katholiſche Geiſtlichkeit der Ein- weihung einer evangeliſchen Kirche mit beiwohnte; ſelbſt eifrige Convertiten wie F. Schlegel, Stolberg, Klinckowſtröm blieben mit einem Theile ihrer alten proteſtantiſchen Freunde in herzlichem Verkehr. Der Kampf der literariſchen Parteien ſchloß die Anerkennung des menſchlichen Werthes der Gegner, die herzliche Freude über jeden glücklichen Fund nicht aus. Die lärmende Jugend brüſtete ſich mit ihrer germaniſchen Sittenſtrenge; die reifen Männer zeigten in ihrem ſittlichen Urtheile eine vornehme, frei- ſinnige Milde, die in Wahrheit weit deutſcher war. Nachſichtig gegen die menſchliche Schwäche, legten ſie geringen Werth auf den korrekten Lebens- wandel, der dem prüden Sinne der Gegenwart als das einzige Kenn- zeichen der Sittlichkeit gilt, und ließen einen heißblutigen Freund gern gewähren, wenn er nur mithalf bei der Arbeit freier Menſchenbildung und den Glauben an die göttliche Beſtimmung unſeres Geſchlechts nicht verlor. Nicht ohne Grund ſahen die Poeten und Gelehrten mit Ironie auf die Proſa des Philiſterthums hernieder; ſie lebten in der That inmitten einer freien geiſtvollen Geſelligkeit, welche das Leben durch das heitere Spiel der Kunſt zu adeln wußte und das Schillerſche Ideal der äſtheti- ſchen Menſchen-Erziehung annähernd verwirklichte. Briefwechſel und Ge- ſpräch, die natürlichen Vermittler der Tageseindrücke, waren noch nicht durch die Zeitungen verdrängt. Noch beſtand die Grundlage aller ge- ſelligen Anmuth, der zwangloſe und häufige Verkehr zwiſchen den beiden Geſchlechtern, da die Frau den Gedanken des Mannes noch ganz zu folgen vermochte. Keine Stadt im Reiche, die nicht ihre Kunſtkenner, Sammler und Kritiker, ihre Liebhabertheater und äſthetiſchen Kränzchen beſaß. Wenn das muntere kleinſtädtiſche Völkchen ſich beim trüben Schim- mer der Talglichter zum einfachen Mahle verſammelte, dann ſteuerten Alle bei was ſie vermochten an Räthſeln und guten Einfällen, an Liedern und gereimten Trinkſprüchen — denn für den poetiſchen Hausbedarf wußte jeder gebildete Deutſche längſt ſelber zu ſorgen. Eine heitere Sinnlichkeit erwärmte das geſellige Leben; beim Pfänderſpiele war noch ein Kuß in Ehren erlaubt; die frei und doch gut häuslich erzogenen jungen Mädchen geſtanden noch arglos ein, daß ihnen das Käthchen von Heilbronn ſo recht im Herzen wohlgefiel. Und wie viel Geiſt und Witz, wie viel übermüthige Laune und ſchwärmeriſche Begeiſterung regte ſich in den engeren Kreiſen der Eingeweihten: wenn Ludwig Devrient und Callot-Hoffmann in der

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/27>, abgerufen am 29.03.2024.