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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Görres, Europa und die Revolution.
von der feigen Parthenope hinweggescheucht, nun nach Hellas ziehe um
dort kämpfend zu sterben. Hoffnungsvoller, kühner, herausfordernder sprach
die Muse der beiden revolutionären Dichter Englands. Thomas Moore
sah die Leuchte der Freiheit, die einst von Hellas ausgegangen, strahlend
wieder heimkehren in ihr Mutterland. Byron begrüßte frohlockend die
Stiche der spanischen Fliege und der attischen Biene. Lord Erskine, Tre-
lawney und viele andere namhafte Whigs wirkten mit Wort und That
für die griechische Sache, und der abenteuernde Seemann Cochrane, der
beutegierige Landsknecht der Revolution, der noch in Amerika gegen die
Spanier focht, entwarf bereits Pläne für einen hellenischen Seekrieg.

Also trat dem Bunde der Fürsten zwar nicht, wie Moore gehofft,
ein Bund der Völker entgegen, doch immerhin eine weithin über die Welt
verzweigte Parteibewegung, mächtig genug um weitaus die meisten euro-
päischen Zeitungen zu beherrschen und den Namen der Heiligen Allianz,
der nun einmal für alle Thaten der Ostmächte herhalten mußte, dem all-
gemeinen Abscheu preiszugeben. Ein treues Bild der unklaren Erregung
der Zeit gab die neue Schrift von Görres "Europa und die Revolution",
das verworrenste zugleich und das radikalste seiner Bücher. Gleich zu
Eingang stand die düstere Mahnung: die cumäische Sibylle habe schon acht
von ihren neun Büchern vor den Augen der zaudernden Machthaber in
die Flammen geworfen; nicht lange mehr, und sie nahe noch einmal mit
ihrem letzten Kleinod, dem Frieden! So ging es weiter unter beständigen
Weissagungen eines Gräßlichen, das da kommen werde, eines furchtbaren
Zusammenstoßes zwischen der alten Ordnung des Ostens und der neuen
des freien Westeuropas. Zuletzt blieb den Lesern aus der Fülle apoka-
lyptischer Bilder nur der eine Eindruck, daß der alte Welttheil faul sei
bis ins Mark und in Deutschland insonderheit "Alles unheilbar ver-
schoben und verrückt."

Der Zusammenbruch der italienischen Revolution hatte die liberale
Welt wohl erschreckt, doch ihren Mißmuth nur gesteigert. Je länger das
kleine Griechenvolk in seinem tapferen Widerstande ausharrte, um so zu-
versichtlicher ward die Hoffnung, daß die Politik des Wiener Hofes dort
im Osten ihre erste schwere Niederlage finden müsse. --


Görres, Europa und die Revolution.
von der feigen Parthenope hinweggeſcheucht, nun nach Hellas ziehe um
dort kämpfend zu ſterben. Hoffnungsvoller, kühner, herausfordernder ſprach
die Muſe der beiden revolutionären Dichter Englands. Thomas Moore
ſah die Leuchte der Freiheit, die einſt von Hellas ausgegangen, ſtrahlend
wieder heimkehren in ihr Mutterland. Byron begrüßte frohlockend die
Stiche der ſpaniſchen Fliege und der attiſchen Biene. Lord Erskine, Tre-
lawney und viele andere namhafte Whigs wirkten mit Wort und That
für die griechiſche Sache, und der abenteuernde Seemann Cochrane, der
beutegierige Landsknecht der Revolution, der noch in Amerika gegen die
Spanier focht, entwarf bereits Pläne für einen helleniſchen Seekrieg.

Alſo trat dem Bunde der Fürſten zwar nicht, wie Moore gehofft,
ein Bund der Völker entgegen, doch immerhin eine weithin über die Welt
verzweigte Parteibewegung, mächtig genug um weitaus die meiſten euro-
päiſchen Zeitungen zu beherrſchen und den Namen der Heiligen Allianz,
der nun einmal für alle Thaten der Oſtmächte herhalten mußte, dem all-
gemeinen Abſcheu preiszugeben. Ein treues Bild der unklaren Erregung
der Zeit gab die neue Schrift von Görres „Europa und die Revolution“,
das verworrenſte zugleich und das radikalſte ſeiner Bücher. Gleich zu
Eingang ſtand die düſtere Mahnung: die cumäiſche Sibylle habe ſchon acht
von ihren neun Büchern vor den Augen der zaudernden Machthaber in
die Flammen geworfen; nicht lange mehr, und ſie nahe noch einmal mit
ihrem letzten Kleinod, dem Frieden! So ging es weiter unter beſtändigen
Weiſſagungen eines Gräßlichen, das da kommen werde, eines furchtbaren
Zuſammenſtoßes zwiſchen der alten Ordnung des Oſtens und der neuen
des freien Weſteuropas. Zuletzt blieb den Leſern aus der Fülle apoka-
lyptiſcher Bilder nur der eine Eindruck, daß der alte Welttheil faul ſei
bis ins Mark und in Deutſchland inſonderheit „Alles unheilbar ver-
ſchoben und verrückt.“

Der Zuſammenbruch der italieniſchen Revolution hatte die liberale
Welt wohl erſchreckt, doch ihren Mißmuth nur geſteigert. Je länger das
kleine Griechenvolk in ſeinem tapferen Widerſtande ausharrte, um ſo zu-
verſichtlicher ward die Hoffnung, daß die Politik des Wiener Hofes dort
im Oſten ihre erſte ſchwere Niederlage finden müſſe. —


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[197/0213] Görres, Europa und die Revolution. von der feigen Parthenope hinweggeſcheucht, nun nach Hellas ziehe um dort kämpfend zu ſterben. Hoffnungsvoller, kühner, herausfordernder ſprach die Muſe der beiden revolutionären Dichter Englands. Thomas Moore ſah die Leuchte der Freiheit, die einſt von Hellas ausgegangen, ſtrahlend wieder heimkehren in ihr Mutterland. Byron begrüßte frohlockend die Stiche der ſpaniſchen Fliege und der attiſchen Biene. Lord Erskine, Tre- lawney und viele andere namhafte Whigs wirkten mit Wort und That für die griechiſche Sache, und der abenteuernde Seemann Cochrane, der beutegierige Landsknecht der Revolution, der noch in Amerika gegen die Spanier focht, entwarf bereits Pläne für einen helleniſchen Seekrieg. Alſo trat dem Bunde der Fürſten zwar nicht, wie Moore gehofft, ein Bund der Völker entgegen, doch immerhin eine weithin über die Welt verzweigte Parteibewegung, mächtig genug um weitaus die meiſten euro- päiſchen Zeitungen zu beherrſchen und den Namen der Heiligen Allianz, der nun einmal für alle Thaten der Oſtmächte herhalten mußte, dem all- gemeinen Abſcheu preiszugeben. Ein treues Bild der unklaren Erregung der Zeit gab die neue Schrift von Görres „Europa und die Revolution“, das verworrenſte zugleich und das radikalſte ſeiner Bücher. Gleich zu Eingang ſtand die düſtere Mahnung: die cumäiſche Sibylle habe ſchon acht von ihren neun Büchern vor den Augen der zaudernden Machthaber in die Flammen geworfen; nicht lange mehr, und ſie nahe noch einmal mit ihrem letzten Kleinod, dem Frieden! So ging es weiter unter beſtändigen Weiſſagungen eines Gräßlichen, das da kommen werde, eines furchtbaren Zuſammenſtoßes zwiſchen der alten Ordnung des Oſtens und der neuen des freien Weſteuropas. Zuletzt blieb den Leſern aus der Fülle apoka- lyptiſcher Bilder nur der eine Eindruck, daß der alte Welttheil faul ſei bis ins Mark und in Deutſchland inſonderheit „Alles unheilbar ver- ſchoben und verrückt.“ Der Zuſammenbruch der italieniſchen Revolution hatte die liberale Welt wohl erſchreckt, doch ihren Mißmuth nur geſteigert. Je länger das kleine Griechenvolk in ſeinem tapferen Widerſtande ausharrte, um ſo zu- verſichtlicher ward die Hoffnung, daß die Politik des Wiener Hofes dort im Oſten ihre erſte ſchwere Niederlage finden müſſe. —

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/213>, abgerufen am 25.04.2024.