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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Die Conferenz und der Bundestag.
in der Stille schon darüber geeinigt hatte, beantragte Metternich am
4. März, man möge aus den hier beschlossenen Sätzen eine Supplemen-
tar-Akte zur Bundesakte zusammenstellen und diese sodann "unter Be-
zugnahme auf den Art. 10 der Bundesakte" dem Bundestage zur förm-
lichen Bekanntmachung übersenden.

Also unter Bezugnahme auf den Art. 10 sollte dieser Artikel aufge-
hoben und die dem Bundestage gebührende Abfassung der Grundgesetze
kurzweg einer Ministerconferenz, von welcher die Bundesakte gar nichts
wußte, übertragen werden! Kühner hatte selbst Metternich die Vorschriften
des deutschen Bundesrechts noch niemals ausgelegt. Was kümmerte es
ihn, daß er noch im November versichert hatte, man beabsichtige nur eine
freundschaftliche Rücksprache zwischen den verbündeten Regierungen? Jetzt
behauptete er zuversichtlich, dieser Ministerversammlung stehe die höhere,
dem Bundestage nur eine untergeordnete Gewalt zu. Aber so gewiß
der österreichische Vorschlag schweren rechtlichen Bedenken unterlag, ein ge-
schickter diplomatischer Nothbehelf war er doch; er bot das einfachste Mittel
um aus den weitschweifigen Verhandlungen ein gesichertes Ergebniß zu
gewinnen und zugleich den Bundestag ganz zur Seite zu drängen. Dies
letztere Ziel hielt Metternich beständig im Auge, denn das Durcheinander
der Parteien in der Eschenheimer Gasse beunruhigte ihn schwer. Weder
Graf Buol noch sein preußischer Genosse vermochte die kleinen Bundesge-
sandten im Zaume zu halten. Ueber die Abberufung des Grafen Goltz, der
sich sehnsüchtig aus dem Frankfurter Gezänk hinwegwünschte, ward schon seit
Langem berathen; aber es fand sich kein Nachfolger, denn Graf Solms-
Laubach war dem Wiener Hofe verdächtig und den katholischen Fürsten
Hatzfeldt fand der König für diesen Posten nicht geeignet, da Preußen am
Bundestage als Führer der protestantischen Höfe auftreten sollte. Die un-
genügende Vertretung blieb also vorläufig unverändert und Goltz wurde nur
angewiesen, über Fragen des Bundesrechts den Rath des gelehrten Klüber
einzuholen.*) Der führerlose Bundestag schien schlechthin unberechenbar; ge-
stattete man ihm über die Wiener Vereinbarungen nochmals zu berathen, so
war leicht vorherzusehen, daß Wangenheim und seine liberalen Freunde,
mit oder ohne Erlaubniß ihrer Höfe, die Fahne der Opposition aufpflanzen,
ihre Reden, durch die öffentlichen Protokolle weithin ins Land getragen,
die öffentliche Meinung aufstacheln würden. In der Anarchie dieses Bun-
des war Alles möglich, selbst ein Kampf zwischen den Bundesgesandten
und ihren vorgesetzten Ministern. Solches Aergerniß ließ sich nur ver-
meiden, wenn man in Wien Alles ins Reine brachte und den Bundes-
tag wieder, wie im vorigen Herbst, unter die Macht der vollendeten That-

*) Bernstorff an Hardenberg, 19. Febr., 3., 17. April; Hardenberg's und Bern-
storff's Eingaben an den König, 18. Juli, 2. Aug.; Hardenberg an den König, 5. Aug.;
Cab.-Rath Albrecht an Bernstorff, 27. Sept. 1820.

Die Conferenz und der Bundestag.
in der Stille ſchon darüber geeinigt hatte, beantragte Metternich am
4. März, man möge aus den hier beſchloſſenen Sätzen eine Supplemen-
tar-Akte zur Bundesakte zuſammenſtellen und dieſe ſodann „unter Be-
zugnahme auf den Art. 10 der Bundesakte“ dem Bundestage zur förm-
lichen Bekanntmachung überſenden.

Alſo unter Bezugnahme auf den Art. 10 ſollte dieſer Artikel aufge-
hoben und die dem Bundestage gebührende Abfaſſung der Grundgeſetze
kurzweg einer Miniſterconferenz, von welcher die Bundesakte gar nichts
wußte, übertragen werden! Kühner hatte ſelbſt Metternich die Vorſchriften
des deutſchen Bundesrechts noch niemals ausgelegt. Was kümmerte es
ihn, daß er noch im November verſichert hatte, man beabſichtige nur eine
freundſchaftliche Rückſprache zwiſchen den verbündeten Regierungen? Jetzt
behauptete er zuverſichtlich, dieſer Miniſterverſammlung ſtehe die höhere,
dem Bundestage nur eine untergeordnete Gewalt zu. Aber ſo gewiß
der öſterreichiſche Vorſchlag ſchweren rechtlichen Bedenken unterlag, ein ge-
ſchickter diplomatiſcher Nothbehelf war er doch; er bot das einfachſte Mittel
um aus den weitſchweifigen Verhandlungen ein geſichertes Ergebniß zu
gewinnen und zugleich den Bundestag ganz zur Seite zu drängen. Dies
letztere Ziel hielt Metternich beſtändig im Auge, denn das Durcheinander
der Parteien in der Eſchenheimer Gaſſe beunruhigte ihn ſchwer. Weder
Graf Buol noch ſein preußiſcher Genoſſe vermochte die kleinen Bundesge-
ſandten im Zaume zu halten. Ueber die Abberufung des Grafen Goltz, der
ſich ſehnſüchtig aus dem Frankfurter Gezänk hinwegwünſchte, ward ſchon ſeit
Langem berathen; aber es fand ſich kein Nachfolger, denn Graf Solms-
Laubach war dem Wiener Hofe verdächtig und den katholiſchen Fürſten
Hatzfeldt fand der König für dieſen Poſten nicht geeignet, da Preußen am
Bundestage als Führer der proteſtantiſchen Höfe auftreten ſollte. Die un-
genügende Vertretung blieb alſo vorläufig unverändert und Goltz wurde nur
angewieſen, über Fragen des Bundesrechts den Rath des gelehrten Klüber
einzuholen.*) Der führerloſe Bundestag ſchien ſchlechthin unberechenbar; ge-
ſtattete man ihm über die Wiener Vereinbarungen nochmals zu berathen, ſo
war leicht vorherzuſehen, daß Wangenheim und ſeine liberalen Freunde,
mit oder ohne Erlaubniß ihrer Höfe, die Fahne der Oppoſition aufpflanzen,
ihre Reden, durch die öffentlichen Protokolle weithin ins Land getragen,
die öffentliche Meinung aufſtacheln würden. In der Anarchie dieſes Bun-
des war Alles möglich, ſelbſt ein Kampf zwiſchen den Bundesgeſandten
und ihren vorgeſetzten Miniſtern. Solches Aergerniß ließ ſich nur ver-
meiden, wenn man in Wien Alles ins Reine brachte und den Bundes-
tag wieder, wie im vorigen Herbſt, unter die Macht der vollendeten That-

*) Bernſtorff an Hardenberg, 19. Febr., 3., 17. April; Hardenberg’s und Bern-
ſtorff’s Eingaben an den König, 18. Juli, 2. Aug.; Hardenberg an den König, 5. Aug.;
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[13/0029] Die Conferenz und der Bundestag. in der Stille ſchon darüber geeinigt hatte, beantragte Metternich am 4. März, man möge aus den hier beſchloſſenen Sätzen eine Supplemen- tar-Akte zur Bundesakte zuſammenſtellen und dieſe ſodann „unter Be- zugnahme auf den Art. 10 der Bundesakte“ dem Bundestage zur förm- lichen Bekanntmachung überſenden. Alſo unter Bezugnahme auf den Art. 10 ſollte dieſer Artikel aufge- hoben und die dem Bundestage gebührende Abfaſſung der Grundgeſetze kurzweg einer Miniſterconferenz, von welcher die Bundesakte gar nichts wußte, übertragen werden! Kühner hatte ſelbſt Metternich die Vorſchriften des deutſchen Bundesrechts noch niemals ausgelegt. Was kümmerte es ihn, daß er noch im November verſichert hatte, man beabſichtige nur eine freundſchaftliche Rückſprache zwiſchen den verbündeten Regierungen? Jetzt behauptete er zuverſichtlich, dieſer Miniſterverſammlung ſtehe die höhere, dem Bundestage nur eine untergeordnete Gewalt zu. Aber ſo gewiß der öſterreichiſche Vorſchlag ſchweren rechtlichen Bedenken unterlag, ein ge- ſchickter diplomatiſcher Nothbehelf war er doch; er bot das einfachſte Mittel um aus den weitſchweifigen Verhandlungen ein geſichertes Ergebniß zu gewinnen und zugleich den Bundestag ganz zur Seite zu drängen. Dies letztere Ziel hielt Metternich beſtändig im Auge, denn das Durcheinander der Parteien in der Eſchenheimer Gaſſe beunruhigte ihn ſchwer. Weder Graf Buol noch ſein preußiſcher Genoſſe vermochte die kleinen Bundesge- ſandten im Zaume zu halten. Ueber die Abberufung des Grafen Goltz, der ſich ſehnſüchtig aus dem Frankfurter Gezänk hinwegwünſchte, ward ſchon ſeit Langem berathen; aber es fand ſich kein Nachfolger, denn Graf Solms- Laubach war dem Wiener Hofe verdächtig und den katholiſchen Fürſten Hatzfeldt fand der König für dieſen Poſten nicht geeignet, da Preußen am Bundestage als Führer der proteſtantiſchen Höfe auftreten ſollte. Die un- genügende Vertretung blieb alſo vorläufig unverändert und Goltz wurde nur angewieſen, über Fragen des Bundesrechts den Rath des gelehrten Klüber einzuholen. *) Der führerloſe Bundestag ſchien ſchlechthin unberechenbar; ge- ſtattete man ihm über die Wiener Vereinbarungen nochmals zu berathen, ſo war leicht vorherzuſehen, daß Wangenheim und ſeine liberalen Freunde, mit oder ohne Erlaubniß ihrer Höfe, die Fahne der Oppoſition aufpflanzen, ihre Reden, durch die öffentlichen Protokolle weithin ins Land getragen, die öffentliche Meinung aufſtacheln würden. In der Anarchie dieſes Bun- des war Alles möglich, ſelbſt ein Kampf zwiſchen den Bundesgeſandten und ihren vorgeſetzten Miniſtern. Solches Aergerniß ließ ſich nur ver- meiden, wenn man in Wien Alles ins Reine brachte und den Bundes- tag wieder, wie im vorigen Herbſt, unter die Macht der vollendeten That- *) Bernſtorff an Hardenberg, 19. Febr., 3., 17. April; Hardenberg’s und Bern- ſtorff’s Eingaben an den König, 18. Juli, 2. Aug.; Hardenberg an den König, 5. Aug.; Cab.-Rath Albrecht an Bernſtorff, 27. Sept. 1820.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/29>, abgerufen am 19.04.2024.