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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 1. Die Wiener Conferenzen.
schicken. Wintzingerode fühlte, daß dieser halbe Widerspruch gegen die
gegebene Zusage verstieß, und betheuerte daher gleichzeitig dem österrei-
chischen Cabinet: die Erklärung sei dem Grafen Mandelsloh schon nach
Wien zugesendet worden, doch leider nicht rechtzeitig eingetroffen. Metter-
nich aber ertheilte dem ewig hadernden kleinen Hofe einen scharfen Ver-
weis; warum müsse Württemberg "in einem Falle, wo Alle dasselbe
wollten," wieder einmal die Eintracht stören?*) Also wurde am fünften
Jahrestage der Bundesakte das zweite und letzte Grundgesetz des Deut-
schen Bundes angenommen. --

Die beste Kritik des Werkes lag in der seltsamen Thatsache, daß,
mit Ausnahme des Stuttgarter Hofes sowie der beiden Ultras Marschall
und Berstett, die sämmtlichen Betheiligten damit zufrieden waren oder
schienen. Schwer besorgt hatte Karl August von Weimar auf die Wiener
Verhandlungen geblickt und seinen Fritsch ermächtigt, sich nöthigenfalls
unter Protest zurückzuziehen, wenn die Conferenz das innere Leben der
Einzelstaaten zu stören suche. Jetzt sah er wohl, daß im Grunde Alles
beim Alten blieb; er erkannte die Mäßigung der Großmächte dankbar
an, reiste im Frühjahr nach Prag zum Kaiser Franz, der ihn sehr freund-
lich aufnahm und den alten Groll wider den Altburschen scheinbar ganz
vergessen hatte.**) Auch die am Wiener Hofe so übel angeschriebenen
Senate der freien Städte athmeten erleichtert auf, und die inbrünstigen
Dankesworte, welche Hach beim Schlusse der Conferenzen an das Haus
Oesterreich richtete, kamen sicherlich aus ehrlichem Herzen. In München
wurde der heimkehrende Zentner von seinem Könige mit Gnaden über-
schüttet und sofort zum Staatsminister ernannt.***) Kaum minder zu-
frieden war das Berliner Cabinet. Bernstorff's ehrenhaftes und wohl-
wollendes Verhalten hatte an den kleinen Höfen manche der Vorurtheile
überwunden, welche dort noch von den Befreiungskriegen her gegen Preußen
gehegt wurden. Das neubefestigte freundliche Verhältniß zu Baiern schien
einen ruhigen Gang der Bundespolitik zu verbürgen, und glückselig schrieb
Ancillon nach München: "die Schlußakte hat das Problem, die Sou-
veränität eines jeden Staates mit der Kraft des Ganzen zu vereinbaren,
so glücklich gelöst, wie es unter den gegebenen Umständen nur immer
möglich war."+)

Nicht ebenso befriedigt mochte Metternich auf die Conferenzen zurück-
blicken, die so manchen seiner Lieblingspläne in der Stille begraben hatten.
Oft genug hatte er erfahren müssen, welchem zähen, stillen Widerstande
jeder durchgreifende Entschluß in dieser bunten deutschen Staatenwelt be-

*) Wintzingerode an Metternich, 9. Juni; Metternich's Antwort 19. Juni; Küster's
Bericht, Stuttgart, 20. Juni, 3. Juli 1820.
**) Piquot's Bericht, Wien 21. Juni 1820.
***) Zastrow's Bericht, 7. Juni 1820.
+) Weisung an Zastrow, 7. Juni 1820.

III. 1. Die Wiener Conferenzen.
ſchicken. Wintzingerode fühlte, daß dieſer halbe Widerſpruch gegen die
gegebene Zuſage verſtieß, und betheuerte daher gleichzeitig dem öſterrei-
chiſchen Cabinet: die Erklärung ſei dem Grafen Mandelsloh ſchon nach
Wien zugeſendet worden, doch leider nicht rechtzeitig eingetroffen. Metter-
nich aber ertheilte dem ewig hadernden kleinen Hofe einen ſcharfen Ver-
weis; warum müſſe Württemberg „in einem Falle, wo Alle daſſelbe
wollten,“ wieder einmal die Eintracht ſtören?*) Alſo wurde am fünften
Jahrestage der Bundesakte das zweite und letzte Grundgeſetz des Deut-
ſchen Bundes angenommen. —

Die beſte Kritik des Werkes lag in der ſeltſamen Thatſache, daß,
mit Ausnahme des Stuttgarter Hofes ſowie der beiden Ultras Marſchall
und Berſtett, die ſämmtlichen Betheiligten damit zufrieden waren oder
ſchienen. Schwer beſorgt hatte Karl Auguſt von Weimar auf die Wiener
Verhandlungen geblickt und ſeinen Fritſch ermächtigt, ſich nöthigenfalls
unter Proteſt zurückzuziehen, wenn die Conferenz das innere Leben der
Einzelſtaaten zu ſtören ſuche. Jetzt ſah er wohl, daß im Grunde Alles
beim Alten blieb; er erkannte die Mäßigung der Großmächte dankbar
an, reiſte im Frühjahr nach Prag zum Kaiſer Franz, der ihn ſehr freund-
lich aufnahm und den alten Groll wider den Altburſchen ſcheinbar ganz
vergeſſen hatte.**) Auch die am Wiener Hofe ſo übel angeſchriebenen
Senate der freien Städte athmeten erleichtert auf, und die inbrünſtigen
Dankesworte, welche Hach beim Schluſſe der Conferenzen an das Haus
Oeſterreich richtete, kamen ſicherlich aus ehrlichem Herzen. In München
wurde der heimkehrende Zentner von ſeinem Könige mit Gnaden über-
ſchüttet und ſofort zum Staatsminiſter ernannt.***) Kaum minder zu-
frieden war das Berliner Cabinet. Bernſtorff’s ehrenhaftes und wohl-
wollendes Verhalten hatte an den kleinen Höfen manche der Vorurtheile
überwunden, welche dort noch von den Befreiungskriegen her gegen Preußen
gehegt wurden. Das neubefeſtigte freundliche Verhältniß zu Baiern ſchien
einen ruhigen Gang der Bundespolitik zu verbürgen, und glückſelig ſchrieb
Ancillon nach München: „die Schlußakte hat das Problem, die Sou-
veränität eines jeden Staates mit der Kraft des Ganzen zu vereinbaren,
ſo glücklich gelöſt, wie es unter den gegebenen Umſtänden nur immer
möglich war.“†)

Nicht ebenſo befriedigt mochte Metternich auf die Conferenzen zurück-
blicken, die ſo manchen ſeiner Lieblingspläne in der Stille begraben hatten.
Oft genug hatte er erfahren müſſen, welchem zähen, ſtillen Widerſtande
jeder durchgreifende Entſchluß in dieſer bunten deutſchen Staatenwelt be-

*) Wintzingerode an Metternich, 9. Juni; Metternich’s Antwort 19. Juni; Küſter’s
Bericht, Stuttgart, 20. Juni, 3. Juli 1820.
**) Piquot’s Bericht, Wien 21. Juni 1820.
***) Zaſtrow’s Bericht, 7. Juni 1820.
†) Weiſung an Zaſtrow, 7. Juni 1820.
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[28/0044] III. 1. Die Wiener Conferenzen. ſchicken. Wintzingerode fühlte, daß dieſer halbe Widerſpruch gegen die gegebene Zuſage verſtieß, und betheuerte daher gleichzeitig dem öſterrei- chiſchen Cabinet: die Erklärung ſei dem Grafen Mandelsloh ſchon nach Wien zugeſendet worden, doch leider nicht rechtzeitig eingetroffen. Metter- nich aber ertheilte dem ewig hadernden kleinen Hofe einen ſcharfen Ver- weis; warum müſſe Württemberg „in einem Falle, wo Alle daſſelbe wollten,“ wieder einmal die Eintracht ſtören? *) Alſo wurde am fünften Jahrestage der Bundesakte das zweite und letzte Grundgeſetz des Deut- ſchen Bundes angenommen. — Die beſte Kritik des Werkes lag in der ſeltſamen Thatſache, daß, mit Ausnahme des Stuttgarter Hofes ſowie der beiden Ultras Marſchall und Berſtett, die ſämmtlichen Betheiligten damit zufrieden waren oder ſchienen. Schwer beſorgt hatte Karl Auguſt von Weimar auf die Wiener Verhandlungen geblickt und ſeinen Fritſch ermächtigt, ſich nöthigenfalls unter Proteſt zurückzuziehen, wenn die Conferenz das innere Leben der Einzelſtaaten zu ſtören ſuche. Jetzt ſah er wohl, daß im Grunde Alles beim Alten blieb; er erkannte die Mäßigung der Großmächte dankbar an, reiſte im Frühjahr nach Prag zum Kaiſer Franz, der ihn ſehr freund- lich aufnahm und den alten Groll wider den Altburſchen ſcheinbar ganz vergeſſen hatte. **) Auch die am Wiener Hofe ſo übel angeſchriebenen Senate der freien Städte athmeten erleichtert auf, und die inbrünſtigen Dankesworte, welche Hach beim Schluſſe der Conferenzen an das Haus Oeſterreich richtete, kamen ſicherlich aus ehrlichem Herzen. In München wurde der heimkehrende Zentner von ſeinem Könige mit Gnaden über- ſchüttet und ſofort zum Staatsminiſter ernannt. ***) Kaum minder zu- frieden war das Berliner Cabinet. Bernſtorff’s ehrenhaftes und wohl- wollendes Verhalten hatte an den kleinen Höfen manche der Vorurtheile überwunden, welche dort noch von den Befreiungskriegen her gegen Preußen gehegt wurden. Das neubefeſtigte freundliche Verhältniß zu Baiern ſchien einen ruhigen Gang der Bundespolitik zu verbürgen, und glückſelig ſchrieb Ancillon nach München: „die Schlußakte hat das Problem, die Sou- veränität eines jeden Staates mit der Kraft des Ganzen zu vereinbaren, ſo glücklich gelöſt, wie es unter den gegebenen Umſtänden nur immer möglich war.“ †) Nicht ebenſo befriedigt mochte Metternich auf die Conferenzen zurück- blicken, die ſo manchen ſeiner Lieblingspläne in der Stille begraben hatten. Oft genug hatte er erfahren müſſen, welchem zähen, ſtillen Widerſtande jeder durchgreifende Entſchluß in dieſer bunten deutſchen Staatenwelt be- *) Wintzingerode an Metternich, 9. Juni; Metternich’s Antwort 19. Juni; Küſter’s Bericht, Stuttgart, 20. Juni, 3. Juli 1820. **) Piquot’s Bericht, Wien 21. Juni 1820. ***) Zaſtrow’s Bericht, 7. Juni 1820. †) Weiſung an Zaſtrow, 7. Juni 1820.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/44>, abgerufen am 28.03.2024.