die Blüthezeit der deutschen Dichtung nicht ohne die belebende Theilnahme der Frauen möglich geworden. Aber so lange der Ehrgeiz der ersten Männer der Nation nach dem schwellenden Kranze des Dichters rang, galt noch die natürliche Regel, daß künstlerisches Schaffen, wie alles Schaffen, Männerarbeit ist. Unter den herrlichen Frauen, welche ver- stehend und empfangend den classischen und den älteren romantischen Dichtern das Leben verschönten, waren nur wenige Schriftstellerinnen. Nun erst, seit die Dichtkunst zum eleganten Zeitvertreibe wurde, und jeder empfängliche Dilettant sich die literarischen Handgriffe leicht aneignen konnte, begann die Schaar der Blaustrümpfe, wie der neue englische Name lautete, bedenklich anzuwachsen. Karoline Pichler, Johanna Schopenhauer, Hel- mine v. Chezy, Karoline v. Fouque schwangen die Feder statt der Nadel, manche der modischen Taschenbücher wurden nur für Frauen und großen- theils von Frauen geschrieben. Mit Besorgniß betrachtete Goethe diese neue sociale Krankheit. Er wollte weder die heiligen Schranken der Natur zerstört noch den Tiefsinn der Kunst durch leere Niedlichkeit verdrängt sehen und äußerte sich über die unfruchtbare weibliche Dichtung bald mit gutmüthigem Spott, bald mit einer göttlichen Grobheit, wie sie nur der Sänger der Frauenliebe sich erlauben durfte:
Und sie in ihrer warmen Sphäre Fühlt sich behaglich, zierlich, fein; Da sie nicht ohne den Menschen wäre, So dünkt sie sich ein Mensch zu sein.
Viele ernste Männer begannen schon die Poesie nur noch einer bei- läufigen Theilnahme zu würdigen. Wie tief war einst die gebildete deutsche Welt durch den Xenienstreit aufgeregt worden, und wie gleichmüthig blieb sie jetzt, als Platen wider die Schicksalstragödien und die Neuromantiker zu Felde zog. Solche ästhetische Kämpfe berührten nicht mehr den Lebens- nerv der Nation. Nur die einsame Gestalt des Altmeisters in Weimar, die immer wieder die Blicke von Freund und Feind dämonisch anzog, erinnerte das neue Geschlecht noch an die Tage, da die Dichtung den Deutschen Eines und Alles gewesen war. Die kräftigen jungen Talente, und darunter auch manche künstlerisch angelegte Naturen, wurden durch den Drang der Zeit meist der Gelehrsamkeit zugeführt. Die Wissenschaft aber warf sich mit wachsendem Eifer und Verständniß auf die großen Probleme des öffentlichen, des handelnden Lebens. In der Theologie bil- deten sich geschlossene Parteien mit bestimmten kirchenpolitischen Zielen. Nachdem Philosophen, Juristen, Sprach- und Alterthumsforscher der Hi- storie den Gesichtskreis erweitert und den Stoff bereitet, begann endlich auch die Krone der historischen Wissenschaften, die darstellende politische Geschichtschreibung sich kräftig zu entfalten, und in der wissenschaftlichen Parteiung der Historiker kündigten sich schon die politischen Gegensätze des kommenden Jahrzehnts vernehmlich an. Die Philosophie lernte durch
Proſaiſcher Zug der Zeit.
die Blüthezeit der deutſchen Dichtung nicht ohne die belebende Theilnahme der Frauen möglich geworden. Aber ſo lange der Ehrgeiz der erſten Männer der Nation nach dem ſchwellenden Kranze des Dichters rang, galt noch die natürliche Regel, daß künſtleriſches Schaffen, wie alles Schaffen, Männerarbeit iſt. Unter den herrlichen Frauen, welche ver- ſtehend und empfangend den claſſiſchen und den älteren romantiſchen Dichtern das Leben verſchönten, waren nur wenige Schriftſtellerinnen. Nun erſt, ſeit die Dichtkunſt zum eleganten Zeitvertreibe wurde, und jeder empfängliche Dilettant ſich die literariſchen Handgriffe leicht aneignen konnte, begann die Schaar der Blauſtrümpfe, wie der neue engliſche Name lautete, bedenklich anzuwachſen. Karoline Pichler, Johanna Schopenhauer, Hel- mine v. Chezy, Karoline v. Fouqué ſchwangen die Feder ſtatt der Nadel, manche der modiſchen Taſchenbücher wurden nur für Frauen und großen- theils von Frauen geſchrieben. Mit Beſorgniß betrachtete Goethe dieſe neue ſociale Krankheit. Er wollte weder die heiligen Schranken der Natur zerſtört noch den Tiefſinn der Kunſt durch leere Niedlichkeit verdrängt ſehen und äußerte ſich über die unfruchtbare weibliche Dichtung bald mit gutmüthigem Spott, bald mit einer göttlichen Grobheit, wie ſie nur der Sänger der Frauenliebe ſich erlauben durfte:
Und ſie in ihrer warmen Sphäre Fühlt ſich behaglich, zierlich, fein; Da ſie nicht ohne den Menſchen wäre, So dünkt ſie ſich ein Menſch zu ſein.
Viele ernſte Männer begannen ſchon die Poeſie nur noch einer bei- läufigen Theilnahme zu würdigen. Wie tief war einſt die gebildete deutſche Welt durch den Xenienſtreit aufgeregt worden, und wie gleichmüthig blieb ſie jetzt, als Platen wider die Schickſalstragödien und die Neuromantiker zu Felde zog. Solche äſthetiſche Kämpfe berührten nicht mehr den Lebens- nerv der Nation. Nur die einſame Geſtalt des Altmeiſters in Weimar, die immer wieder die Blicke von Freund und Feind dämoniſch anzog, erinnerte das neue Geſchlecht noch an die Tage, da die Dichtung den Deutſchen Eines und Alles geweſen war. Die kräftigen jungen Talente, und darunter auch manche künſtleriſch angelegte Naturen, wurden durch den Drang der Zeit meiſt der Gelehrſamkeit zugeführt. Die Wiſſenſchaft aber warf ſich mit wachſendem Eifer und Verſtändniß auf die großen Probleme des öffentlichen, des handelnden Lebens. In der Theologie bil- deten ſich geſchloſſene Parteien mit beſtimmten kirchenpolitiſchen Zielen. Nachdem Philoſophen, Juriſten, Sprach- und Alterthumsforſcher der Hi- ſtorie den Geſichtskreis erweitert und den Stoff bereitet, begann endlich auch die Krone der hiſtoriſchen Wiſſenſchaften, die darſtellende politiſche Geſchichtſchreibung ſich kräftig zu entfalten, und in der wiſſenſchaftlichen Parteiung der Hiſtoriker kündigten ſich ſchon die politiſchen Gegenſätze des kommenden Jahrzehnts vernehmlich an. Die Philoſophie lernte durch
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Proſaiſcher Zug der Zeit.
die Blüthezeit der deutſchen Dichtung nicht ohne die belebende Theilnahme
der Frauen möglich geworden. Aber ſo lange der Ehrgeiz der erſten
Männer der Nation nach dem ſchwellenden Kranze des Dichters rang,
galt noch die natürliche Regel, daß künſtleriſches Schaffen, wie alles
Schaffen, Männerarbeit iſt. Unter den herrlichen Frauen, welche ver-
ſtehend und empfangend den claſſiſchen und den älteren romantiſchen
Dichtern das Leben verſchönten, waren nur wenige Schriftſtellerinnen.
Nun erſt, ſeit die Dichtkunſt zum eleganten Zeitvertreibe wurde, und jeder
empfängliche Dilettant ſich die literariſchen Handgriffe leicht aneignen konnte,
begann die Schaar der Blauſtrümpfe, wie der neue engliſche Name lautete,
bedenklich anzuwachſen. Karoline Pichler, Johanna Schopenhauer, Hel-
mine v. Chezy, Karoline v. Fouqué ſchwangen die Feder ſtatt der Nadel,
manche der modiſchen Taſchenbücher wurden nur für Frauen und großen-
theils von Frauen geſchrieben. Mit Beſorgniß betrachtete Goethe dieſe
neue ſociale Krankheit. Er wollte weder die heiligen Schranken der Natur
zerſtört noch den Tiefſinn der Kunſt durch leere Niedlichkeit verdrängt
ſehen und äußerte ſich über die unfruchtbare weibliche Dichtung bald mit
gutmüthigem Spott, bald mit einer göttlichen Grobheit, wie ſie nur der
Sänger der Frauenliebe ſich erlauben durfte:
Und ſie in ihrer warmen Sphäre
Fühlt ſich behaglich, zierlich, fein;
Da ſie nicht ohne den Menſchen wäre,
So dünkt ſie ſich ein Menſch zu ſein.
Viele ernſte Männer begannen ſchon die Poeſie nur noch einer bei-
läufigen Theilnahme zu würdigen. Wie tief war einſt die gebildete deutſche
Welt durch den Xenienſtreit aufgeregt worden, und wie gleichmüthig blieb
ſie jetzt, als Platen wider die Schickſalstragödien und die Neuromantiker
zu Felde zog. Solche äſthetiſche Kämpfe berührten nicht mehr den Lebens-
nerv der Nation. Nur die einſame Geſtalt des Altmeiſters in Weimar,
die immer wieder die Blicke von Freund und Feind dämoniſch anzog,
erinnerte das neue Geſchlecht noch an die Tage, da die Dichtung den
Deutſchen Eines und Alles geweſen war. Die kräftigen jungen Talente,
und darunter auch manche künſtleriſch angelegte Naturen, wurden durch
den Drang der Zeit meiſt der Gelehrſamkeit zugeführt. Die Wiſſenſchaft
aber warf ſich mit wachſendem Eifer und Verſtändniß auf die großen
Probleme des öffentlichen, des handelnden Lebens. In der Theologie bil-
deten ſich geſchloſſene Parteien mit beſtimmten kirchenpolitiſchen Zielen.
Nachdem Philoſophen, Juriſten, Sprach- und Alterthumsforſcher der Hi-
ſtorie den Geſichtskreis erweitert und den Stoff bereitet, begann endlich
auch die Krone der hiſtoriſchen Wiſſenſchaften, die darſtellende politiſche
Geſchichtſchreibung ſich kräftig zu entfalten, und in der wiſſenſchaftlichen
Parteiung der Hiſtoriker kündigten ſich ſchon die politiſchen Gegenſätze des
kommenden Jahrzehnts vernehmlich an. Die Philoſophie lernte durch
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 683. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/699>, abgerufen am 05.12.2023.
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