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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Zweiter Abschnitt.

Die letzten Reformen Hardenbergs.

Derweil die Wiener Conferenzen den Sisyphus-Stein der Bundes-
verfassung auf und nieder wälzten, gelangte in Berlin eine Arbeit zum
Abschluß, die außerhalb Preußens wenig beachtet für Deutschlands Zu-
kunft ungleich folgenreicher werden sollte als alle Verhandlungen der
Bundespolitik. Der greise Staatskanzler legte die letzte Hand an das
Werk der inneren Reformen. Wie zuversichtlich blickte er wieder ins Leben
seit er den verhaßten Humboldt in den Sand geworfen hatte. Er fühlte
sich wie verjüngt, alle die stolzen Hoffnungen der ersten Jahre seiner Kanz-
lerschaft wurden ihm wieder lebendig. Wie er damals als ein Dictator
den Staat zweimal mit einem ganzen Füllhorn neuer Gesetze überschüttet
hatte, so dachte er jetzt die Neuordnung des Staatshaushaltes mit einem
Schlage zu beendigen. Eine Commission des Staatsraths unter dem
Vorsitz von Klewiz und Bülow hatte mittlerweile die Entwürfe der neuen
Steuergesetze vollendet, eine andere unter der eigenen Leitung des Staats-
kanzlers den Stand des Staatshaushaltes und des Schuldenwesens ge-
prüft. In jener war J. G. Hoffmann, in dieser C. Rother der leitende
Kopf, beide Männer zählten zu Hardenberg's nächsten Vertrauten, und er
betrachtete ihre Arbeiten als sein persönliches Werk.

In drei langen Vorträgen entwickelte er dem Könige seinen Finanz-
plan, und sobald er am 12. Januar den Monarchen im Wesentlichen
überzeugt hatte, stellte er sofort den Antrag, daß die sämmtlichen neuen
Gesetze über das Steuer- und Schuldenwesen unverzüglich veröffentlicht
würden*); dann sollten noch im Laufe dieses Jahres die Gemeinde-,
Kreis- und Provinzialordnung und schließlich die Reichsverfassung folgen.
Er übersah in seiner Ungeduld, daß er sich inzwischen der diktatorischen

*) Hardenberg's Tagebuch, 10., 11., 12. Jan. 1820.
Zweiter Abſchnitt.

Die letzten Reformen Hardenbergs.

Derweil die Wiener Conferenzen den Siſyphus-Stein der Bundes-
verfaſſung auf und nieder wälzten, gelangte in Berlin eine Arbeit zum
Abſchluß, die außerhalb Preußens wenig beachtet für Deutſchlands Zu-
kunft ungleich folgenreicher werden ſollte als alle Verhandlungen der
Bundespolitik. Der greiſe Staatskanzler legte die letzte Hand an das
Werk der inneren Reformen. Wie zuverſichtlich blickte er wieder ins Leben
ſeit er den verhaßten Humboldt in den Sand geworfen hatte. Er fühlte
ſich wie verjüngt, alle die ſtolzen Hoffnungen der erſten Jahre ſeiner Kanz-
lerſchaft wurden ihm wieder lebendig. Wie er damals als ein Dictator
den Staat zweimal mit einem ganzen Füllhorn neuer Geſetze überſchüttet
hatte, ſo dachte er jetzt die Neuordnung des Staatshaushaltes mit einem
Schlage zu beendigen. Eine Commiſſion des Staatsraths unter dem
Vorſitz von Klewiz und Bülow hatte mittlerweile die Entwürfe der neuen
Steuergeſetze vollendet, eine andere unter der eigenen Leitung des Staats-
kanzlers den Stand des Staatshaushaltes und des Schuldenweſens ge-
prüft. In jener war J. G. Hoffmann, in dieſer C. Rother der leitende
Kopf, beide Männer zählten zu Hardenberg’s nächſten Vertrauten, und er
betrachtete ihre Arbeiten als ſein perſönliches Werk.

In drei langen Vorträgen entwickelte er dem Könige ſeinen Finanz-
plan, und ſobald er am 12. Januar den Monarchen im Weſentlichen
überzeugt hatte, ſtellte er ſofort den Antrag, daß die ſämmtlichen neuen
Geſetze über das Steuer- und Schuldenweſen unverzüglich veröffentlicht
würden*); dann ſollten noch im Laufe dieſes Jahres die Gemeinde-,
Kreis- und Provinzialordnung und ſchließlich die Reichsverfaſſung folgen.
Er überſah in ſeiner Ungeduld, daß er ſich inzwiſchen der diktatoriſchen

*) Hardenberg’s Tagebuch, 10., 11., 12. Jan. 1820.
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[[68]/0084] Zweiter Abſchnitt. Die letzten Reformen Hardenbergs. Derweil die Wiener Conferenzen den Siſyphus-Stein der Bundes- verfaſſung auf und nieder wälzten, gelangte in Berlin eine Arbeit zum Abſchluß, die außerhalb Preußens wenig beachtet für Deutſchlands Zu- kunft ungleich folgenreicher werden ſollte als alle Verhandlungen der Bundespolitik. Der greiſe Staatskanzler legte die letzte Hand an das Werk der inneren Reformen. Wie zuverſichtlich blickte er wieder ins Leben ſeit er den verhaßten Humboldt in den Sand geworfen hatte. Er fühlte ſich wie verjüngt, alle die ſtolzen Hoffnungen der erſten Jahre ſeiner Kanz- lerſchaft wurden ihm wieder lebendig. Wie er damals als ein Dictator den Staat zweimal mit einem ganzen Füllhorn neuer Geſetze überſchüttet hatte, ſo dachte er jetzt die Neuordnung des Staatshaushaltes mit einem Schlage zu beendigen. Eine Commiſſion des Staatsraths unter dem Vorſitz von Klewiz und Bülow hatte mittlerweile die Entwürfe der neuen Steuergeſetze vollendet, eine andere unter der eigenen Leitung des Staats- kanzlers den Stand des Staatshaushaltes und des Schuldenweſens ge- prüft. In jener war J. G. Hoffmann, in dieſer C. Rother der leitende Kopf, beide Männer zählten zu Hardenberg’s nächſten Vertrauten, und er betrachtete ihre Arbeiten als ſein perſönliches Werk. In drei langen Vorträgen entwickelte er dem Könige ſeinen Finanz- plan, und ſobald er am 12. Januar den Monarchen im Weſentlichen überzeugt hatte, ſtellte er ſofort den Antrag, daß die ſämmtlichen neuen Geſetze über das Steuer- und Schuldenweſen unverzüglich veröffentlicht würden *); dann ſollten noch im Laufe dieſes Jahres die Gemeinde-, Kreis- und Provinzialordnung und ſchließlich die Reichsverfaſſung folgen. Er überſah in ſeiner Ungeduld, daß er ſich inzwiſchen der diktatoriſchen *) Hardenberg’s Tagebuch, 10., 11., 12. Jan. 1820.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. [68]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/84>, abgerufen am 18.04.2024.