Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

Bild:
<< vorherige Seite

IV. 9. Der welfische Staatsstreich.
Kronprinz, dem alten Brauche des Welfenhauses zuwider, dereinst die
Regierung antreten sollte. Also geschah das Wunderbare, daß ein Fürst,
der anfangs selbst nicht wußte was er wollte, von keinem einzigen bedeu-
tenden Manne unterstützt, gegen das Recht und gegen die öffentliche Mei-
nung schließlich doch seine Macht behauptete. Der Sieg war freilich theuer
erkauft. Unter dem Staatsgrundgesetze herrschte tiefer Friede; der neue
Landtag, den sich Ernst August gebildet hatte, lebte in ewigem Hader mit
der Regierung, und bald machte der Welfe auch die unliebsame Erfah-
rung, daß seine selbständige königliche Kasse aus der Geldnoth nicht her-
auskam.

Für Deutschland bedeuteten diese hannöverschen Händel fortan wenig.
Unvergeßlich aber blieb der Nation der Bundesbeschluß vom 5. Sept. 1839.
Seitdem begannen auch die Gemäßigten zu fühlen, daß unter dem Deut-
schen Bunde kein Recht mehr fest stand, und in immer weiteren Kreisen
verbreitete sich die Hoffnung auf einen gewaltsamen Umschwung, der mit
einem Schlage dem deutschen Elend Wandel schaffen sollte. --


IV. 9. Der welfiſche Staatsſtreich.
Kronprinz, dem alten Brauche des Welfenhauſes zuwider, dereinſt die
Regierung antreten ſollte. Alſo geſchah das Wunderbare, daß ein Fürſt,
der anfangs ſelbſt nicht wußte was er wollte, von keinem einzigen bedeu-
tenden Manne unterſtützt, gegen das Recht und gegen die öffentliche Mei-
nung ſchließlich doch ſeine Macht behauptete. Der Sieg war freilich theuer
erkauft. Unter dem Staatsgrundgeſetze herrſchte tiefer Friede; der neue
Landtag, den ſich Ernſt Auguſt gebildet hatte, lebte in ewigem Hader mit
der Regierung, und bald machte der Welfe auch die unliebſame Erfah-
rung, daß ſeine ſelbſtändige königliche Kaſſe aus der Geldnoth nicht her-
auskam.

Für Deutſchland bedeuteten dieſe hannöverſchen Händel fortan wenig.
Unvergeßlich aber blieb der Nation der Bundesbeſchluß vom 5. Sept. 1839.
Seitdem begannen auch die Gemäßigten zu fühlen, daß unter dem Deut-
ſchen Bunde kein Recht mehr feſt ſtand, und in immer weiteren Kreiſen
verbreitete ſich die Hoffnung auf einen gewaltſamen Umſchwung, der mit
einem Schlage dem deutſchen Elend Wandel ſchaffen ſollte. —


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0696" n="682"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">IV.</hi> 9. Der welfi&#x017F;che Staats&#x017F;treich.</fw><lb/>
Kronprinz, dem alten Brauche des Welfenhau&#x017F;es zuwider, derein&#x017F;t die<lb/>
Regierung antreten &#x017F;ollte. Al&#x017F;o ge&#x017F;chah das Wunderbare, daß ein Für&#x017F;t,<lb/>
der anfangs &#x017F;elb&#x017F;t nicht wußte was er wollte, von keinem einzigen bedeu-<lb/>
tenden Manne unter&#x017F;tützt, gegen das Recht und gegen die öffentliche Mei-<lb/>
nung &#x017F;chließlich doch &#x017F;eine Macht behauptete. Der Sieg war freilich theuer<lb/>
erkauft. Unter dem Staatsgrundge&#x017F;etze herr&#x017F;chte tiefer Friede; der neue<lb/>
Landtag, den &#x017F;ich Ern&#x017F;t Augu&#x017F;t gebildet hatte, lebte in ewigem Hader mit<lb/>
der Regierung, und bald machte der Welfe auch die unlieb&#x017F;ame Erfah-<lb/>
rung, daß &#x017F;eine &#x017F;elb&#x017F;tändige königliche Ka&#x017F;&#x017F;e aus der Geldnoth nicht her-<lb/>
auskam.</p><lb/>
          <p>Für Deut&#x017F;chland bedeuteten die&#x017F;e hannöver&#x017F;chen Händel fortan wenig.<lb/>
Unvergeßlich aber blieb der Nation der Bundesbe&#x017F;chluß vom 5. Sept. 1839.<lb/>
Seitdem begannen auch die Gemäßigten zu fühlen, daß unter dem Deut-<lb/>
&#x017F;chen Bunde kein Recht mehr fe&#x017F;t &#x017F;tand, und in immer weiteren Krei&#x017F;en<lb/>
verbreitete &#x017F;ich die Hoffnung auf einen gewalt&#x017F;amen Um&#x017F;chwung, der mit<lb/>
einem Schlage dem deut&#x017F;chen Elend Wandel &#x017F;chaffen &#x017F;ollte. &#x2014;</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[682/0696] IV. 9. Der welfiſche Staatsſtreich. Kronprinz, dem alten Brauche des Welfenhauſes zuwider, dereinſt die Regierung antreten ſollte. Alſo geſchah das Wunderbare, daß ein Fürſt, der anfangs ſelbſt nicht wußte was er wollte, von keinem einzigen bedeu- tenden Manne unterſtützt, gegen das Recht und gegen die öffentliche Mei- nung ſchließlich doch ſeine Macht behauptete. Der Sieg war freilich theuer erkauft. Unter dem Staatsgrundgeſetze herrſchte tiefer Friede; der neue Landtag, den ſich Ernſt Auguſt gebildet hatte, lebte in ewigem Hader mit der Regierung, und bald machte der Welfe auch die unliebſame Erfah- rung, daß ſeine ſelbſtändige königliche Kaſſe aus der Geldnoth nicht her- auskam. Für Deutſchland bedeuteten dieſe hannöverſchen Händel fortan wenig. Unvergeßlich aber blieb der Nation der Bundesbeſchluß vom 5. Sept. 1839. Seitdem begannen auch die Gemäßigten zu fühlen, daß unter dem Deut- ſchen Bunde kein Recht mehr feſt ſtand, und in immer weiteren Kreiſen verbreitete ſich die Hoffnung auf einen gewaltſamen Umſchwung, der mit einem Schlage dem deutſchen Elend Wandel ſchaffen ſollte. —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/696
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 682. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/696>, abgerufen am 29.03.2024.