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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Verheißung der Vereinigten Ausschüsse.
könne; auch behielt er sich vor, diese Ausschüsse je nach Umständen zu ge-
meinsamer Berathung zu vereinigen. Dergestalt begann die von Friedrich
Wilhelm so lang geplante organische Entwicklung der ständischen Institu-
tionen. Er ahnte nicht, wie weit sie führen mußte. Die erweiterte Oeffent-
lichkeit, die er den Landtagen gewährte, hatte er freilich sehr eng umgrenzt;
denn er kannte alle Uebelstände des constitutionellen Systems nur zu ge-
nau, er fürchtete die Eitelkeit der parlamentarischen Redner und wußte
auch, wie selten die Zeitungen ein treues Bild von den Landtagsverhand-
lungen geben; darum verbot er die Namen der Redner zu erwähnen.
Doch wie leicht ließ sich dies ängstliche Verbot umgehen. Die klugen
Rheinländer wußten ihre Protokolle alsbald so einzurichten, daß Jeder-
mann auf die Hauptredner mit Fingern weisen konnte. Mit dem Ge-
heimniß der Verhandlungen brach aber ein Grundpfeiler des alten Stände-
wesens zusammen. Landtage, die sich dem Urtheil der öffentlichen Meinung
preisgaben, konnten sich auf die Dauer nicht mit unmaßgeblichen Rath-
schlägen begnügen, sie mußten fordern, daß ihnen irgend ein Recht der
Beschließung gewährt würde und die Räthe der Krone ihnen persönlich
Rede stünden. Mehrere Minister sagten dies dem Monarchen sogleich
voraus; er hörte sie nicht.

Noch unklarer blieb, was die Vereinigten Ausschüsse und ihre ver-
heißene "Mitwirkung" bedeuten sollten. Die Gesandten der kleinen Höfe
sahen in ihrer Herzensangst schon das Schreckbild einer parlamentarischen
Regierung emporsteigen.*) Aber auch mancher ruhige Mann zog den
bündigen Schluß: die Vereinigten Ausschüsse sollen aus den Provinzial-
ständen gewählt werden, sie sind mithin nichts anders als die in der Ver-
ordnung vom 22. Mai 1815 verheißene Repräsentation des Volks und
können sobald sie in Berlin zusammentreten, alle Rechte einer solchen
verlangen. Der König hingegen betrachtete die Ausschüsse, deren Beru-
fung ihm Rochow zuerst vorgeschlagen hatte, lediglich als ein Mittel um
seine Preußen nach und nach für einen künftigen Vereinigten Landtag
zu erziehen. Seinem Schön erklärte er: "In den Ausschüssen hab' ich
mir Elemente geschaffen, durch welche ich in den landtaglosen Jahren die
wichtigsten Gesetze für die nächsten Landtage vorbereiten und Dinge all-
gemeinen Interesses von den vorigen Landtagen her ausgleichen kann;
+ mit einem Worte, die Möglichkeit, schon jetzt und sobald sich das Be-
dürfniß zeigt, alle Vortheile der Generalstände zu genießen, ohne die Er-
schütterungen, welche ihre plötzliche Einführung mit sich führt, befürchten
zu müssen; und kommen die Fälle, die in des seligen Königs Gesetzen
vorgesehen sind, wo ein Allgemeiner Landtag unumgänglich ist, so ist der
Ideen-Austausch und das Berathen mit Männern aus allen Ländern
nichts Ungewohntes mehr. + Kurz, ich habe einen Bau begonnen, der ohne

*) Berger's Bericht, 29. April 1841.

Verheißung der Vereinigten Ausſchüſſe.
könne; auch behielt er ſich vor, dieſe Ausſchüſſe je nach Umſtänden zu ge-
meinſamer Berathung zu vereinigen. Dergeſtalt begann die von Friedrich
Wilhelm ſo lang geplante organiſche Entwicklung der ſtändiſchen Inſtitu-
tionen. Er ahnte nicht, wie weit ſie führen mußte. Die erweiterte Oeffent-
lichkeit, die er den Landtagen gewährte, hatte er freilich ſehr eng umgrenzt;
denn er kannte alle Uebelſtände des conſtitutionellen Syſtems nur zu ge-
nau, er fürchtete die Eitelkeit der parlamentariſchen Redner und wußte
auch, wie ſelten die Zeitungen ein treues Bild von den Landtagsverhand-
lungen geben; darum verbot er die Namen der Redner zu erwähnen.
Doch wie leicht ließ ſich dies ängſtliche Verbot umgehen. Die klugen
Rheinländer wußten ihre Protokolle alsbald ſo einzurichten, daß Jeder-
mann auf die Hauptredner mit Fingern weiſen konnte. Mit dem Ge-
heimniß der Verhandlungen brach aber ein Grundpfeiler des alten Stände-
weſens zuſammen. Landtage, die ſich dem Urtheil der öffentlichen Meinung
preisgaben, konnten ſich auf die Dauer nicht mit unmaßgeblichen Rath-
ſchlägen begnügen, ſie mußten fordern, daß ihnen irgend ein Recht der
Beſchließung gewährt würde und die Räthe der Krone ihnen perſönlich
Rede ſtünden. Mehrere Miniſter ſagten dies dem Monarchen ſogleich
voraus; er hörte ſie nicht.

Noch unklarer blieb, was die Vereinigten Ausſchüſſe und ihre ver-
heißene „Mitwirkung“ bedeuten ſollten. Die Geſandten der kleinen Höfe
ſahen in ihrer Herzensangſt ſchon das Schreckbild einer parlamentariſchen
Regierung emporſteigen.*) Aber auch mancher ruhige Mann zog den
bündigen Schluß: die Vereinigten Ausſchüſſe ſollen aus den Provinzial-
ſtänden gewählt werden, ſie ſind mithin nichts anders als die in der Ver-
ordnung vom 22. Mai 1815 verheißene Repräſentation des Volks und
können ſobald ſie in Berlin zuſammentreten, alle Rechte einer ſolchen
verlangen. Der König hingegen betrachtete die Ausſchüſſe, deren Beru-
fung ihm Rochow zuerſt vorgeſchlagen hatte, lediglich als ein Mittel um
ſeine Preußen nach und nach für einen künftigen Vereinigten Landtag
zu erziehen. Seinem Schön erklärte er: „In den Ausſchüſſen hab’ ich
mir Elemente geſchaffen, durch welche ich in den landtagloſen Jahren die
wichtigſten Geſetze für die nächſten Landtage vorbereiten und Dinge all-
gemeinen Intereſſes von den vorigen Landtagen her ausgleichen kann;
† mit einem Worte, die Möglichkeit, ſchon jetzt und ſobald ſich das Be-
dürfniß zeigt, alle Vortheile der Generalſtände zu genießen, ohne die Er-
ſchütterungen, welche ihre plötzliche Einführung mit ſich führt, befürchten
zu müſſen; und kommen die Fälle, die in des ſeligen Königs Geſetzen
vorgeſehen ſind, wo ein Allgemeiner Landtag unumgänglich iſt, ſo iſt der
Ideen-Austauſch und das Berathen mit Männern aus allen Ländern
nichts Ungewohntes mehr. † Kurz, ich habe einen Bau begonnen, der ohne

*) Berger’s Bericht, 29. April 1841.
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[141/0155] Verheißung der Vereinigten Ausſchüſſe. könne; auch behielt er ſich vor, dieſe Ausſchüſſe je nach Umſtänden zu ge- meinſamer Berathung zu vereinigen. Dergeſtalt begann die von Friedrich Wilhelm ſo lang geplante organiſche Entwicklung der ſtändiſchen Inſtitu- tionen. Er ahnte nicht, wie weit ſie führen mußte. Die erweiterte Oeffent- lichkeit, die er den Landtagen gewährte, hatte er freilich ſehr eng umgrenzt; denn er kannte alle Uebelſtände des conſtitutionellen Syſtems nur zu ge- nau, er fürchtete die Eitelkeit der parlamentariſchen Redner und wußte auch, wie ſelten die Zeitungen ein treues Bild von den Landtagsverhand- lungen geben; darum verbot er die Namen der Redner zu erwähnen. Doch wie leicht ließ ſich dies ängſtliche Verbot umgehen. Die klugen Rheinländer wußten ihre Protokolle alsbald ſo einzurichten, daß Jeder- mann auf die Hauptredner mit Fingern weiſen konnte. Mit dem Ge- heimniß der Verhandlungen brach aber ein Grundpfeiler des alten Stände- weſens zuſammen. Landtage, die ſich dem Urtheil der öffentlichen Meinung preisgaben, konnten ſich auf die Dauer nicht mit unmaßgeblichen Rath- ſchlägen begnügen, ſie mußten fordern, daß ihnen irgend ein Recht der Beſchließung gewährt würde und die Räthe der Krone ihnen perſönlich Rede ſtünden. Mehrere Miniſter ſagten dies dem Monarchen ſogleich voraus; er hörte ſie nicht. Noch unklarer blieb, was die Vereinigten Ausſchüſſe und ihre ver- heißene „Mitwirkung“ bedeuten ſollten. Die Geſandten der kleinen Höfe ſahen in ihrer Herzensangſt ſchon das Schreckbild einer parlamentariſchen Regierung emporſteigen. *) Aber auch mancher ruhige Mann zog den bündigen Schluß: die Vereinigten Ausſchüſſe ſollen aus den Provinzial- ſtänden gewählt werden, ſie ſind mithin nichts anders als die in der Ver- ordnung vom 22. Mai 1815 verheißene Repräſentation des Volks und können ſobald ſie in Berlin zuſammentreten, alle Rechte einer ſolchen verlangen. Der König hingegen betrachtete die Ausſchüſſe, deren Beru- fung ihm Rochow zuerſt vorgeſchlagen hatte, lediglich als ein Mittel um ſeine Preußen nach und nach für einen künftigen Vereinigten Landtag zu erziehen. Seinem Schön erklärte er: „In den Ausſchüſſen hab’ ich mir Elemente geſchaffen, durch welche ich in den landtagloſen Jahren die wichtigſten Geſetze für die nächſten Landtage vorbereiten und Dinge all- gemeinen Intereſſes von den vorigen Landtagen her ausgleichen kann; † mit einem Worte, die Möglichkeit, ſchon jetzt und ſobald ſich das Be- dürfniß zeigt, alle Vortheile der Generalſtände zu genießen, ohne die Er- ſchütterungen, welche ihre plötzliche Einführung mit ſich führt, befürchten zu müſſen; und kommen die Fälle, die in des ſeligen Königs Geſetzen vorgeſehen ſind, wo ein Allgemeiner Landtag unumgänglich iſt, ſo iſt der Ideen-Austauſch und das Berathen mit Männern aus allen Ländern nichts Ungewohntes mehr. † Kurz, ich habe einen Bau begonnen, der ohne *) Berger’s Bericht, 29. April 1841.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/155>, abgerufen am 16.04.2024.