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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Das Domfest.

Unter den namhaften Gästen war wohl nur Einer, den die allgemeine
Glückseligkeit kalt ließ: Fürst Metternich. Der stand derweil der König redete
in dessen nächster Nähe und zog einen langen Kamm aus der Tasche um
sich bedächtiglich sein gelichtetes Haar vom Hinterkopfe nach vorn zu strähnen.
Nicht ohne Ironie betrachtete er jetzt seinen königlichen Verehrer, der
Alles in Unruhe bringe und immer sich selber in's Licht zu stellen suche;
vor Vertrauten bespöttelte er diese Siege auf Schlachtfeldern, wo kein Blut
vergossen würde, und meinte, man wisse nicht, ob der hohe Herr sich selbst
oder Andere mehr berausche. Leider lag ein Körnlein Wahrheit in diesem
boshaften Urtheile. Friedrich Wilhelm's Reden waren, wie der Bildhauer
Rietschel mit congenialem Verständniß nachfühlte, echte Kunstwerke, nicht
gemacht, sondern geworden, unmittelbare Ergießungen seines bewegten
Inneren und eben darum, wie der Geist des Redners selbst, ohne klaren
politischen Inhalt, jeder Deutung und Mißdeutung fähig. Gründlicher
als hier in Köln war der königliche Redner noch niemals mißverstanden
worden. Der junge Poet Robert Prutz sang ihm zu:

Herr, die Geschichte drängt, die Räder rollen,
Und wollt' es Gott, Gott selber hielt sie nicht ...
So sprich das Wort zum zweiten Dombaufeste,
Sprich aus das Wort: Constitution!

Und wenn auch nur ein kleiner Theil seiner Hörer so bestimmte liberale
Wünsche hegen mochte, so glaubten doch alle, daß er mit seinen verhei-
ßungsvollen Worten eine ganz neue Ordnung der Dinge ankündigen
wolle, eine Zeit der Erfüllung, die dem Freiheits- und Einheitsdrange der
Nation endlich gerecht werden müsse. Er aber meinte, das einige, den
Frieden unblutig erzwingende Deutschland hätte sich ja schon vor zwei
Jahren vor aller Welt bewährt, und dachte weder den Bundestag noch die
Souveränität der kleinen Kronen jemals anzutasten.

Sobald die Nation den wahren Sinn der königlichen Worte zu er-
rathen begann, mußte der patriotische Hoffnungsrausch der Festtage ver-
fliegen. Aber die Begeisterung für den Dombau hielt an. Rascher als
man zu hoffen gewagt schritt die Arbeit vorwärts. Meister Zwirner's
Bauhütte wurde eine hohe Schule der bildenden Künste für unseren
Westen; Männer wie Statz und F. Schmidt gingen aus ihr hervor,
große Talente, die das Werk der Vorfahren "nach Zirkels Kunst und
Gerechtigkeit" weiterführten und doch die überlieferten Formen, den Ge-
fühlen des neuen Jahrhunderts gemäß, leise umbildeten; nur in den
massenhaften Sculpturwerken des Bildhauers Fuchs verrieth sich oft
die Flüchtigkeit überhasteten Schaffens. Die reichsten Spenden gab wie
billig das Rheinland, selbst die Studenten in Bonn hatten einen akade-
mischen Domverein gebildet; aber auch aus Berlin und anderen entlegenen
Städten kamen reiche Beiträge. Unter den Eifrigsten war König Ludwig
von Baiern. Er sprach die Hoffnung aus, daß "seiner Baiern Mitwirkung"

Das Domfeſt.

Unter den namhaften Gäſten war wohl nur Einer, den die allgemeine
Glückſeligkeit kalt ließ: Fürſt Metternich. Der ſtand derweil der König redete
in deſſen nächſter Nähe und zog einen langen Kamm aus der Taſche um
ſich bedächtiglich ſein gelichtetes Haar vom Hinterkopfe nach vorn zu ſträhnen.
Nicht ohne Ironie betrachtete er jetzt ſeinen königlichen Verehrer, der
Alles in Unruhe bringe und immer ſich ſelber in’s Licht zu ſtellen ſuche;
vor Vertrauten beſpöttelte er dieſe Siege auf Schlachtfeldern, wo kein Blut
vergoſſen würde, und meinte, man wiſſe nicht, ob der hohe Herr ſich ſelbſt
oder Andere mehr berauſche. Leider lag ein Körnlein Wahrheit in dieſem
boshaften Urtheile. Friedrich Wilhelm’s Reden waren, wie der Bildhauer
Rietſchel mit congenialem Verſtändniß nachfühlte, echte Kunſtwerke, nicht
gemacht, ſondern geworden, unmittelbare Ergießungen ſeines bewegten
Inneren und eben darum, wie der Geiſt des Redners ſelbſt, ohne klaren
politiſchen Inhalt, jeder Deutung und Mißdeutung fähig. Gründlicher
als hier in Köln war der königliche Redner noch niemals mißverſtanden
worden. Der junge Poet Robert Prutz ſang ihm zu:

Herr, die Geſchichte drängt, die Räder rollen,
Und wollt’ es Gott, Gott ſelber hielt ſie nicht …
So ſprich das Wort zum zweiten Dombaufeſte,
Sprich aus das Wort: Conſtitution!

Und wenn auch nur ein kleiner Theil ſeiner Hörer ſo beſtimmte liberale
Wünſche hegen mochte, ſo glaubten doch alle, daß er mit ſeinen verhei-
ßungsvollen Worten eine ganz neue Ordnung der Dinge ankündigen
wolle, eine Zeit der Erfüllung, die dem Freiheits- und Einheitsdrange der
Nation endlich gerecht werden müſſe. Er aber meinte, das einige, den
Frieden unblutig erzwingende Deutſchland hätte ſich ja ſchon vor zwei
Jahren vor aller Welt bewährt, und dachte weder den Bundestag noch die
Souveränität der kleinen Kronen jemals anzutaſten.

Sobald die Nation den wahren Sinn der königlichen Worte zu er-
rathen begann, mußte der patriotiſche Hoffnungsrauſch der Feſttage ver-
fliegen. Aber die Begeiſterung für den Dombau hielt an. Raſcher als
man zu hoffen gewagt ſchritt die Arbeit vorwärts. Meiſter Zwirner’s
Bauhütte wurde eine hohe Schule der bildenden Künſte für unſeren
Weſten; Männer wie Statz und F. Schmidt gingen aus ihr hervor,
große Talente, die das Werk der Vorfahren „nach Zirkels Kunſt und
Gerechtigkeit“ weiterführten und doch die überlieferten Formen, den Ge-
fühlen des neuen Jahrhunderts gemäß, leiſe umbildeten; nur in den
maſſenhaften Sculpturwerken des Bildhauers Fuchs verrieth ſich oft
die Flüchtigkeit überhaſteten Schaffens. Die reichſten Spenden gab wie
billig das Rheinland, ſelbſt die Studenten in Bonn hatten einen akade-
miſchen Domverein gebildet; aber auch aus Berlin und anderen entlegenen
Städten kamen reiche Beiträge. Unter den Eifrigſten war König Ludwig
von Baiern. Er ſprach die Hoffnung aus, daß „ſeiner Baiern Mitwirkung“

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[175/0189] Das Domfeſt. Unter den namhaften Gäſten war wohl nur Einer, den die allgemeine Glückſeligkeit kalt ließ: Fürſt Metternich. Der ſtand derweil der König redete in deſſen nächſter Nähe und zog einen langen Kamm aus der Taſche um ſich bedächtiglich ſein gelichtetes Haar vom Hinterkopfe nach vorn zu ſträhnen. Nicht ohne Ironie betrachtete er jetzt ſeinen königlichen Verehrer, der Alles in Unruhe bringe und immer ſich ſelber in’s Licht zu ſtellen ſuche; vor Vertrauten beſpöttelte er dieſe Siege auf Schlachtfeldern, wo kein Blut vergoſſen würde, und meinte, man wiſſe nicht, ob der hohe Herr ſich ſelbſt oder Andere mehr berauſche. Leider lag ein Körnlein Wahrheit in dieſem boshaften Urtheile. Friedrich Wilhelm’s Reden waren, wie der Bildhauer Rietſchel mit congenialem Verſtändniß nachfühlte, echte Kunſtwerke, nicht gemacht, ſondern geworden, unmittelbare Ergießungen ſeines bewegten Inneren und eben darum, wie der Geiſt des Redners ſelbſt, ohne klaren politiſchen Inhalt, jeder Deutung und Mißdeutung fähig. Gründlicher als hier in Köln war der königliche Redner noch niemals mißverſtanden worden. Der junge Poet Robert Prutz ſang ihm zu: Herr, die Geſchichte drängt, die Räder rollen, Und wollt’ es Gott, Gott ſelber hielt ſie nicht … So ſprich das Wort zum zweiten Dombaufeſte, Sprich aus das Wort: Conſtitution! Und wenn auch nur ein kleiner Theil ſeiner Hörer ſo beſtimmte liberale Wünſche hegen mochte, ſo glaubten doch alle, daß er mit ſeinen verhei- ßungsvollen Worten eine ganz neue Ordnung der Dinge ankündigen wolle, eine Zeit der Erfüllung, die dem Freiheits- und Einheitsdrange der Nation endlich gerecht werden müſſe. Er aber meinte, das einige, den Frieden unblutig erzwingende Deutſchland hätte ſich ja ſchon vor zwei Jahren vor aller Welt bewährt, und dachte weder den Bundestag noch die Souveränität der kleinen Kronen jemals anzutaſten. Sobald die Nation den wahren Sinn der königlichen Worte zu er- rathen begann, mußte der patriotiſche Hoffnungsrauſch der Feſttage ver- fliegen. Aber die Begeiſterung für den Dombau hielt an. Raſcher als man zu hoffen gewagt ſchritt die Arbeit vorwärts. Meiſter Zwirner’s Bauhütte wurde eine hohe Schule der bildenden Künſte für unſeren Weſten; Männer wie Statz und F. Schmidt gingen aus ihr hervor, große Talente, die das Werk der Vorfahren „nach Zirkels Kunſt und Gerechtigkeit“ weiterführten und doch die überlieferten Formen, den Ge- fühlen des neuen Jahrhunderts gemäß, leiſe umbildeten; nur in den maſſenhaften Sculpturwerken des Bildhauers Fuchs verrieth ſich oft die Flüchtigkeit überhaſteten Schaffens. Die reichſten Spenden gab wie billig das Rheinland, ſelbſt die Studenten in Bonn hatten einen akade- miſchen Domverein gebildet; aber auch aus Berlin und anderen entlegenen Städten kamen reiche Beiträge. Unter den Eifrigſten war König Ludwig von Baiern. Er ſprach die Hoffnung aus, daß „ſeiner Baiern Mitwirkung“

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/189>, abgerufen am 28.03.2024.