Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

Bild:
<< vorherige Seite

V. 3. Enttäuschung und Verwirrung.
preußischen Zustände scharf zu beobachten begann. Kuranda's treuer Ge-
hilfe war ein anderer böhmischer Jude, der kindlich gutherzige Jakob Kauf-
mann, ein schüchterner Stubengelehrter von linkischem Wesen, dem man gar
nicht ansah, wie klar und sicher er über politische Fragen urtheilte. Ganz
unerhört aber war es in diesem Lande des Preußenhasses, daß ein geborener
Kursachse Karl Biedermann sich jetzt unterstand, eine "Deutsche Monats-
schrift" herauszugeben, welche den Gedanken Paul Pfizer's, die preußische
Hegemonie, allerdings ohne den Geist und Schwung des Schwaben, aber
mit tapferem Freimuth vertheidigte. Die Monatsschrift zeigte Verständniß
für das wirthschaftliche Leben und betrachtete den Zollverein als den Kern
einer festeren deutschen Staatsbildung; freilich zählte sie nur 500 Abon-
nenten, doch mehr hatten auch Ruge's gefürchtete Jahrbücher nicht aufzu-
weisen.

Alle diese Plänkler der Tagesmeinung sahen sich durch den Unverstand
der Censurvorschriften zu verzweifelten Zigeunerstreichen gezwungen, zu
listigen Umgehungen des Gesetzes, welche, vom Volke stets mit Schaden-
freude begrüßt, das öffentliche Rechtsgefühl, die Würde der Obrigkeit
erschüttern mußten. Wenn der Kölnischen Zeitung die Correspondenzen
"von der Murg" gestrichen wurden, so erschienen die nämlichen Artikel
wieder mit der Aufschrift: "von der Leine". Die in Oesterreich streng
verbotenen Grenzboten wanderten allwöchentlich in Kisten mit doppelten
Böden oder als Umschläge und Einlagen erlaubter Bücher über die böh-
mische Grenze; in die berüchtigten Freischeine der k. k. Censur pflegten
die Buchhändler ganze Reihen verbotener Bücher nachträglich einzuschalten.
Kam in Leipzig ein gefährliches censurfreies Zwanzigbogenbuch zur Aus-
gabe, dann fuhr ein Wagen des Verlegers mit der gesammten Auflage
vor dem Polizeihause vor; kaum war das gesetzliche Pflichtexemplar abge-
liefert, so eilten die Pferde in rasendem Laufe durch die Gassen des Buch-
händlerviertels, und im Nu verschwanden die Bücherpackete in den Com-
missionsgeschäften bevor die Behörde noch Zeit fand ein Verbot auszu-
sprechen.

Für die unglücklichen Censoren schien kein Wort der Verachtung zu
schlecht. In Preußen wie in den kleinen Staaten war es schon längst
dahin gekommen, daß nur unbrauchbare ältere Beamte dies verhaßte
Amt übernehmen wollten. Glauben Sie denn, ich könnte meine besten
Räthe zu Censoren hergeben? -- sagte der Oberpräsident der Rheinpro-
vinz zu dem klagenden Verleger der Kölnischen Zeitung. Oft genug
mußte man sich mit unerfahrenen Assessoren behelfen, die den Auftrag
nicht ablehnen durften. Da geschah es einst zu Köln, daß zwei solche
jugendliche Censoren nach einem lustigen Gelage mit dem Nachtwächter
Händel begannen; der eine war der geistreiche Graf Fritz Eulenburg, der
also nicht ohne Geräusch seinen Einzug in die preußische Geschichte hielt.
Obwohl die Missethat durch Versetzung und durch eine Geldstrafe gesühnt

V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.
preußiſchen Zuſtände ſcharf zu beobachten begann. Kuranda’s treuer Ge-
hilfe war ein anderer böhmiſcher Jude, der kindlich gutherzige Jakob Kauf-
mann, ein ſchüchterner Stubengelehrter von linkiſchem Weſen, dem man gar
nicht anſah, wie klar und ſicher er über politiſche Fragen urtheilte. Ganz
unerhört aber war es in dieſem Lande des Preußenhaſſes, daß ein geborener
Kurſachſe Karl Biedermann ſich jetzt unterſtand, eine „Deutſche Monats-
ſchrift“ herauszugeben, welche den Gedanken Paul Pfizer’s, die preußiſche
Hegemonie, allerdings ohne den Geiſt und Schwung des Schwaben, aber
mit tapferem Freimuth vertheidigte. Die Monatsſchrift zeigte Verſtändniß
für das wirthſchaftliche Leben und betrachtete den Zollverein als den Kern
einer feſteren deutſchen Staatsbildung; freilich zählte ſie nur 500 Abon-
nenten, doch mehr hatten auch Ruge’s gefürchtete Jahrbücher nicht aufzu-
weiſen.

Alle dieſe Plänkler der Tagesmeinung ſahen ſich durch den Unverſtand
der Cenſurvorſchriften zu verzweifelten Zigeunerſtreichen gezwungen, zu
liſtigen Umgehungen des Geſetzes, welche, vom Volke ſtets mit Schaden-
freude begrüßt, das öffentliche Rechtsgefühl, die Würde der Obrigkeit
erſchüttern mußten. Wenn der Kölniſchen Zeitung die Correſpondenzen
„von der Murg“ geſtrichen wurden, ſo erſchienen die nämlichen Artikel
wieder mit der Aufſchrift: „von der Leine“. Die in Oeſterreich ſtreng
verbotenen Grenzboten wanderten allwöchentlich in Kiſten mit doppelten
Böden oder als Umſchläge und Einlagen erlaubter Bücher über die böh-
miſche Grenze; in die berüchtigten Freiſcheine der k. k. Cenſur pflegten
die Buchhändler ganze Reihen verbotener Bücher nachträglich einzuſchalten.
Kam in Leipzig ein gefährliches cenſurfreies Zwanzigbogenbuch zur Aus-
gabe, dann fuhr ein Wagen des Verlegers mit der geſammten Auflage
vor dem Polizeihauſe vor; kaum war das geſetzliche Pflichtexemplar abge-
liefert, ſo eilten die Pferde in raſendem Laufe durch die Gaſſen des Buch-
händlerviertels, und im Nu verſchwanden die Bücherpackete in den Com-
miſſionsgeſchäften bevor die Behörde noch Zeit fand ein Verbot auszu-
ſprechen.

Für die unglücklichen Cenſoren ſchien kein Wort der Verachtung zu
ſchlecht. In Preußen wie in den kleinen Staaten war es ſchon längſt
dahin gekommen, daß nur unbrauchbare ältere Beamte dies verhaßte
Amt übernehmen wollten. Glauben Sie denn, ich könnte meine beſten
Räthe zu Cenſoren hergeben? — ſagte der Oberpräſident der Rheinpro-
vinz zu dem klagenden Verleger der Kölniſchen Zeitung. Oft genug
mußte man ſich mit unerfahrenen Aſſeſſoren behelfen, die den Auftrag
nicht ablehnen durften. Da geſchah es einſt zu Köln, daß zwei ſolche
jugendliche Cenſoren nach einem luſtigen Gelage mit dem Nachtwächter
Händel begannen; der eine war der geiſtreiche Graf Fritz Eulenburg, der
alſo nicht ohne Geräuſch ſeinen Einzug in die preußiſche Geſchichte hielt.
Obwohl die Miſſethat durch Verſetzung und durch eine Geldſtrafe geſühnt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0210" n="196"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">V.</hi> 3. Enttäu&#x017F;chung und Verwirrung.</fw><lb/>
preußi&#x017F;chen Zu&#x017F;tände &#x017F;charf zu beobachten begann. Kuranda&#x2019;s treuer Ge-<lb/>
hilfe war ein anderer böhmi&#x017F;cher Jude, der kindlich gutherzige Jakob Kauf-<lb/>
mann, ein &#x017F;chüchterner Stubengelehrter von linki&#x017F;chem We&#x017F;en, dem man gar<lb/>
nicht an&#x017F;ah, wie klar und &#x017F;icher er über politi&#x017F;che Fragen urtheilte. Ganz<lb/>
unerhört aber war es in die&#x017F;em Lande des Preußenha&#x017F;&#x017F;es, daß ein geborener<lb/>
Kur&#x017F;ach&#x017F;e Karl Biedermann &#x017F;ich jetzt unter&#x017F;tand, eine &#x201E;Deut&#x017F;che Monats-<lb/>
&#x017F;chrift&#x201C; herauszugeben, welche den Gedanken Paul Pfizer&#x2019;s, die preußi&#x017F;che<lb/>
Hegemonie, allerdings ohne den Gei&#x017F;t und Schwung des Schwaben, aber<lb/>
mit tapferem Freimuth vertheidigte. Die Monats&#x017F;chrift zeigte Ver&#x017F;tändniß<lb/>
für das wirth&#x017F;chaftliche Leben und betrachtete den Zollverein als den Kern<lb/>
einer fe&#x017F;teren deut&#x017F;chen Staatsbildung; freilich zählte &#x017F;ie nur 500 Abon-<lb/>
nenten, doch mehr hatten auch Ruge&#x2019;s gefürchtete Jahrbücher nicht aufzu-<lb/>
wei&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Alle die&#x017F;e Plänkler der Tagesmeinung &#x017F;ahen &#x017F;ich durch den Unver&#x017F;tand<lb/>
der Cen&#x017F;urvor&#x017F;chriften zu verzweifelten Zigeuner&#x017F;treichen gezwungen, zu<lb/>
li&#x017F;tigen Umgehungen des Ge&#x017F;etzes, welche, vom Volke &#x017F;tets mit Schaden-<lb/>
freude begrüßt, das öffentliche Rechtsgefühl, die Würde der Obrigkeit<lb/>
er&#x017F;chüttern mußten. Wenn der Kölni&#x017F;chen Zeitung die Corre&#x017F;pondenzen<lb/>
&#x201E;von der Murg&#x201C; ge&#x017F;trichen wurden, &#x017F;o er&#x017F;chienen die nämlichen Artikel<lb/>
wieder mit der Auf&#x017F;chrift: &#x201E;von der Leine&#x201C;. Die in Oe&#x017F;terreich &#x017F;treng<lb/>
verbotenen Grenzboten wanderten allwöchentlich in Ki&#x017F;ten mit doppelten<lb/>
Böden oder als Um&#x017F;chläge und Einlagen erlaubter Bücher über die böh-<lb/>
mi&#x017F;che Grenze; in die berüchtigten Frei&#x017F;cheine der k. k. Cen&#x017F;ur pflegten<lb/>
die Buchhändler ganze Reihen verbotener Bücher nachträglich einzu&#x017F;chalten.<lb/>
Kam in Leipzig ein gefährliches cen&#x017F;urfreies Zwanzigbogenbuch zur Aus-<lb/>
gabe, dann fuhr ein Wagen des Verlegers mit der ge&#x017F;ammten Auflage<lb/>
vor dem Polizeihau&#x017F;e vor; kaum war das ge&#x017F;etzliche Pflichtexemplar abge-<lb/>
liefert, &#x017F;o eilten die Pferde in ra&#x017F;endem Laufe durch die Ga&#x017F;&#x017F;en des Buch-<lb/>
händlerviertels, und im Nu ver&#x017F;chwanden die Bücherpackete in den Com-<lb/>
mi&#x017F;&#x017F;ionsge&#x017F;chäften bevor die Behörde noch Zeit fand ein Verbot auszu-<lb/>
&#x017F;prechen.</p><lb/>
          <p>Für die unglücklichen Cen&#x017F;oren &#x017F;chien kein Wort der Verachtung zu<lb/>
&#x017F;chlecht. In Preußen wie in den kleinen Staaten war es &#x017F;chon läng&#x017F;t<lb/>
dahin gekommen, daß nur unbrauchbare ältere Beamte dies verhaßte<lb/>
Amt übernehmen wollten. Glauben Sie denn, ich könnte meine be&#x017F;ten<lb/>
Räthe zu Cen&#x017F;oren hergeben? &#x2014; &#x017F;agte der Oberprä&#x017F;ident der Rheinpro-<lb/>
vinz zu dem klagenden Verleger der Kölni&#x017F;chen Zeitung. Oft genug<lb/>
mußte man &#x017F;ich mit unerfahrenen A&#x017F;&#x017F;e&#x017F;&#x017F;oren behelfen, die den Auftrag<lb/>
nicht ablehnen durften. Da ge&#x017F;chah es ein&#x017F;t zu Köln, daß zwei &#x017F;olche<lb/>
jugendliche Cen&#x017F;oren nach einem lu&#x017F;tigen Gelage mit dem Nachtwächter<lb/>
Händel begannen; der eine war der gei&#x017F;treiche Graf Fritz Eulenburg, der<lb/>
al&#x017F;o nicht ohne Geräu&#x017F;ch &#x017F;einen Einzug in die preußi&#x017F;che Ge&#x017F;chichte hielt.<lb/>
Obwohl die Mi&#x017F;&#x017F;ethat durch Ver&#x017F;etzung und durch eine Geld&#x017F;trafe ge&#x017F;ühnt<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[196/0210] V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung. preußiſchen Zuſtände ſcharf zu beobachten begann. Kuranda’s treuer Ge- hilfe war ein anderer böhmiſcher Jude, der kindlich gutherzige Jakob Kauf- mann, ein ſchüchterner Stubengelehrter von linkiſchem Weſen, dem man gar nicht anſah, wie klar und ſicher er über politiſche Fragen urtheilte. Ganz unerhört aber war es in dieſem Lande des Preußenhaſſes, daß ein geborener Kurſachſe Karl Biedermann ſich jetzt unterſtand, eine „Deutſche Monats- ſchrift“ herauszugeben, welche den Gedanken Paul Pfizer’s, die preußiſche Hegemonie, allerdings ohne den Geiſt und Schwung des Schwaben, aber mit tapferem Freimuth vertheidigte. Die Monatsſchrift zeigte Verſtändniß für das wirthſchaftliche Leben und betrachtete den Zollverein als den Kern einer feſteren deutſchen Staatsbildung; freilich zählte ſie nur 500 Abon- nenten, doch mehr hatten auch Ruge’s gefürchtete Jahrbücher nicht aufzu- weiſen. Alle dieſe Plänkler der Tagesmeinung ſahen ſich durch den Unverſtand der Cenſurvorſchriften zu verzweifelten Zigeunerſtreichen gezwungen, zu liſtigen Umgehungen des Geſetzes, welche, vom Volke ſtets mit Schaden- freude begrüßt, das öffentliche Rechtsgefühl, die Würde der Obrigkeit erſchüttern mußten. Wenn der Kölniſchen Zeitung die Correſpondenzen „von der Murg“ geſtrichen wurden, ſo erſchienen die nämlichen Artikel wieder mit der Aufſchrift: „von der Leine“. Die in Oeſterreich ſtreng verbotenen Grenzboten wanderten allwöchentlich in Kiſten mit doppelten Böden oder als Umſchläge und Einlagen erlaubter Bücher über die böh- miſche Grenze; in die berüchtigten Freiſcheine der k. k. Cenſur pflegten die Buchhändler ganze Reihen verbotener Bücher nachträglich einzuſchalten. Kam in Leipzig ein gefährliches cenſurfreies Zwanzigbogenbuch zur Aus- gabe, dann fuhr ein Wagen des Verlegers mit der geſammten Auflage vor dem Polizeihauſe vor; kaum war das geſetzliche Pflichtexemplar abge- liefert, ſo eilten die Pferde in raſendem Laufe durch die Gaſſen des Buch- händlerviertels, und im Nu verſchwanden die Bücherpackete in den Com- miſſionsgeſchäften bevor die Behörde noch Zeit fand ein Verbot auszu- ſprechen. Für die unglücklichen Cenſoren ſchien kein Wort der Verachtung zu ſchlecht. In Preußen wie in den kleinen Staaten war es ſchon längſt dahin gekommen, daß nur unbrauchbare ältere Beamte dies verhaßte Amt übernehmen wollten. Glauben Sie denn, ich könnte meine beſten Räthe zu Cenſoren hergeben? — ſagte der Oberpräſident der Rheinpro- vinz zu dem klagenden Verleger der Kölniſchen Zeitung. Oft genug mußte man ſich mit unerfahrenen Aſſeſſoren behelfen, die den Auftrag nicht ablehnen durften. Da geſchah es einſt zu Köln, daß zwei ſolche jugendliche Cenſoren nach einem luſtigen Gelage mit dem Nachtwächter Händel begannen; der eine war der geiſtreiche Graf Fritz Eulenburg, der alſo nicht ohne Geräuſch ſeinen Einzug in die preußiſche Geſchichte hielt. Obwohl die Miſſethat durch Verſetzung und durch eine Geldſtrafe geſühnt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/210
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/210>, abgerufen am 29.03.2024.