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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.
gangenheit und Zukunft. Das aufstrebende junge Geschlecht meinte der
alten Zeit durch den Schwung, die Gläubigkeit, die Gemüthstiefe, die
Ironie der Romantik weit überlegen zu sein. Friedrich Wilhelm's Herzens-
freund Prinz Johann von Sachsen besang in feierlichen Trochäen die
kalte Marmorpracht der Königssäle da droben:

Ist es nicht, als ob er hier noch tönte,
Jenes beißenden Jahrhunderts Witz? --

und schilderte dann in hüpfenden Daktylen das Gartenhaus drunten mit
seiner jugendlichen Fröhlichkeit:

Hier fühlt man schlagen, was ewig dort fehlet,
Neben dem Geist ein erwärmendes Herz.

Bald nach seiner Thronbesteigung schlug der neue König selbst in
dem Schlosse des großen Friedrich sein Hoflager auf, was keiner seiner
beiden Vorgänger gewagt hatte. Die unausbleiblichen erdrückenden Ver-
gleichungen erschreckten ihn nicht, denn er hoffte, daß jetzt zum zweiten
male von diesem "historischen Hügel" herab ein neuer Geist sich über das
Land ergießen würde, ein anderer freilich als der fridericianische, der Geist
des christlichen Staates. In ernster Arbeit und schweren Seelenkämpfen
hatte er die rationalistischen Lehren seiner Jugenderzieher längst über-
wunden und den Glauben als die höchste Potenz der Vernunft begriffen.
Unauslöschlich stand in seinem Herzen der Spruch des heiligen Augustin:
das unwandelbare Licht Gottes war über mir, weil es mir das Dasein
gegeben, und ich war unter ihm weil es mich erschaffen hat. Daraus
ergab sich ihm "der unaussprechliche Unterschied des Schöpfers
und Geschöpfes, daher auch der Wahnsinn, die Gottheit aus dem eigenen
Wesen, als einem Analogon der Gottheit!!! zu construiren."*) Nichts
war ihm darum hassenswürdiger, als "die Drachensaat des Hegel'schen
Pantheismus"; tiefsinniger als Hegel erkannte er, daß jedes Zeitalter
nicht bloß als eine Entwicklungsstufe für die Zukunft etwas bedeutet, son-
dern seinen selbständigen Werth, seine eigene Beziehung zu Gott hat. Die
neue Zeit aber, die jetzt heraufgraute, sollte mit der Erbschaft der alten
Aufklärung gründlich aufräumen, die Revolution durch die Freiheit, die
fleischliche Freiheit durch die christliche, den mechanischen durch den christ-
lichen Staat überwinden.

Eine Welt herrlicher Pläne hatte er sich mit künstlerischer Phantasie
schon ausgesonnen, und nun, da er der Herr war, drängte ihn sein liebe-
volles Gemüth, das überall augenblicklich Freude bereiten, überall glück-
liche Gesichter um sich sehen wollte, sie alle zu verwirklichen. Er dachte
die provinzialständische Verfassung durch die Einberufung eines ständisch
gegliederten Reichstags zu vollenden, nimmermehr durch eine papierene

*) Bemerkungen des Kronprinzen zu Bunsen's Abhandlung über Eherecht, Staat
und Kirche.

V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.
gangenheit und Zukunft. Das aufſtrebende junge Geſchlecht meinte der
alten Zeit durch den Schwung, die Gläubigkeit, die Gemüthstiefe, die
Ironie der Romantik weit überlegen zu ſein. Friedrich Wilhelm’s Herzens-
freund Prinz Johann von Sachſen beſang in feierlichen Trochäen die
kalte Marmorpracht der Königsſäle da droben:

Iſt es nicht, als ob er hier noch tönte,
Jenes beißenden Jahrhunderts Witz? —

und ſchilderte dann in hüpfenden Daktylen das Gartenhaus drunten mit
ſeiner jugendlichen Fröhlichkeit:

Hier fühlt man ſchlagen, was ewig dort fehlet,
Neben dem Geiſt ein erwärmendes Herz.

Bald nach ſeiner Thronbeſteigung ſchlug der neue König ſelbſt in
dem Schloſſe des großen Friedrich ſein Hoflager auf, was keiner ſeiner
beiden Vorgänger gewagt hatte. Die unausbleiblichen erdrückenden Ver-
gleichungen erſchreckten ihn nicht, denn er hoffte, daß jetzt zum zweiten
male von dieſem „hiſtoriſchen Hügel“ herab ein neuer Geiſt ſich über das
Land ergießen würde, ein anderer freilich als der fridericianiſche, der Geiſt
des chriſtlichen Staates. In ernſter Arbeit und ſchweren Seelenkämpfen
hatte er die rationaliſtiſchen Lehren ſeiner Jugenderzieher längſt über-
wunden und den Glauben als die höchſte Potenz der Vernunft begriffen.
Unauslöſchlich ſtand in ſeinem Herzen der Spruch des heiligen Auguſtin:
das unwandelbare Licht Gottes war über mir, weil es mir das Daſein
gegeben, und ich war unter ihm weil es mich erſchaffen hat. Daraus
ergab ſich ihm „der unausſprechliche Unterſchied des Schöpfers
und Geſchöpfes, daher auch der Wahnſinn, die Gottheit aus dem eigenen
Weſen, als einem Analogon der Gottheit!!! zu conſtruiren.“*) Nichts
war ihm darum haſſenswürdiger, als „die Drachenſaat des Hegel’ſchen
Pantheismus“; tiefſinniger als Hegel erkannte er, daß jedes Zeitalter
nicht bloß als eine Entwicklungsſtufe für die Zukunft etwas bedeutet, ſon-
dern ſeinen ſelbſtändigen Werth, ſeine eigene Beziehung zu Gott hat. Die
neue Zeit aber, die jetzt heraufgraute, ſollte mit der Erbſchaft der alten
Aufklärung gründlich aufräumen, die Revolution durch die Freiheit, die
fleiſchliche Freiheit durch die chriſtliche, den mechaniſchen durch den chriſt-
lichen Staat überwinden.

Eine Welt herrlicher Pläne hatte er ſich mit künſtleriſcher Phantaſie
ſchon ausgeſonnen, und nun, da er der Herr war, drängte ihn ſein liebe-
volles Gemüth, das überall augenblicklich Freude bereiten, überall glück-
liche Geſichter um ſich ſehen wollte, ſie alle zu verwirklichen. Er dachte
die provinzialſtändiſche Verfaſſung durch die Einberufung eines ſtändiſch
gegliederten Reichstags zu vollenden, nimmermehr durch eine papierene

*) Bemerkungen des Kronprinzen zu Bunſen’s Abhandlung über Eherecht, Staat
und Kirche.
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[8/0022] V. 1. Die frohen Tage der Erwartung. gangenheit und Zukunft. Das aufſtrebende junge Geſchlecht meinte der alten Zeit durch den Schwung, die Gläubigkeit, die Gemüthstiefe, die Ironie der Romantik weit überlegen zu ſein. Friedrich Wilhelm’s Herzens- freund Prinz Johann von Sachſen beſang in feierlichen Trochäen die kalte Marmorpracht der Königsſäle da droben: Iſt es nicht, als ob er hier noch tönte, Jenes beißenden Jahrhunderts Witz? — und ſchilderte dann in hüpfenden Daktylen das Gartenhaus drunten mit ſeiner jugendlichen Fröhlichkeit: Hier fühlt man ſchlagen, was ewig dort fehlet, Neben dem Geiſt ein erwärmendes Herz. Bald nach ſeiner Thronbeſteigung ſchlug der neue König ſelbſt in dem Schloſſe des großen Friedrich ſein Hoflager auf, was keiner ſeiner beiden Vorgänger gewagt hatte. Die unausbleiblichen erdrückenden Ver- gleichungen erſchreckten ihn nicht, denn er hoffte, daß jetzt zum zweiten male von dieſem „hiſtoriſchen Hügel“ herab ein neuer Geiſt ſich über das Land ergießen würde, ein anderer freilich als der fridericianiſche, der Geiſt des chriſtlichen Staates. In ernſter Arbeit und ſchweren Seelenkämpfen hatte er die rationaliſtiſchen Lehren ſeiner Jugenderzieher längſt über- wunden und den Glauben als die höchſte Potenz der Vernunft begriffen. Unauslöſchlich ſtand in ſeinem Herzen der Spruch des heiligen Auguſtin: das unwandelbare Licht Gottes war über mir, weil es mir das Daſein gegeben, und ich war unter ihm weil es mich erſchaffen hat. Daraus ergab ſich ihm „der unausſprechliche Unterſchied des Schöpfers und Geſchöpfes, daher auch der Wahnſinn, die Gottheit aus dem eigenen Weſen, als einem Analogon der Gottheit!!! zu conſtruiren.“ *) Nichts war ihm darum haſſenswürdiger, als „die Drachenſaat des Hegel’ſchen Pantheismus“; tiefſinniger als Hegel erkannte er, daß jedes Zeitalter nicht bloß als eine Entwicklungsſtufe für die Zukunft etwas bedeutet, ſon- dern ſeinen ſelbſtändigen Werth, ſeine eigene Beziehung zu Gott hat. Die neue Zeit aber, die jetzt heraufgraute, ſollte mit der Erbſchaft der alten Aufklärung gründlich aufräumen, die Revolution durch die Freiheit, die fleiſchliche Freiheit durch die chriſtliche, den mechaniſchen durch den chriſt- lichen Staat überwinden. Eine Welt herrlicher Pläne hatte er ſich mit künſtleriſcher Phantaſie ſchon ausgeſonnen, und nun, da er der Herr war, drängte ihn ſein liebe- volles Gemüth, das überall augenblicklich Freude bereiten, überall glück- liche Geſichter um ſich ſehen wollte, ſie alle zu verwirklichen. Er dachte die provinzialſtändiſche Verfaſſung durch die Einberufung eines ſtändiſch gegliederten Reichstags zu vollenden, nimmermehr durch eine papierene *) Bemerkungen des Kronprinzen zu Bunſen’s Abhandlung über Eherecht, Staat und Kirche.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/22>, abgerufen am 16.04.2024.