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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 3. Enttäuschung und Verwirrung.
Volke doch auch Unvergängliches geschenkt hatte. Am Felsenstrande von
Helgoland dichtete er nach der Haydn'schen Melodie das Lied "Deutsch-
land, Deutschland über Alles, über Alles in der Welt", das den Grund-
gedanken des Arndt'schen Vaterlandsliedes einfacher, wärmer, lebendiger
wiedergab und nach langen Jahren erst mit voller Macht auf die deutschen
Gemüther wirken sollte. Ein andermal in guter Stunde schrieb er die
einfältig schönen Zeilen:

Treue Liebe bis zum Grabe
Schwör' ich dir mit Herz und Hand.
Was ich bin und was ich habe
Dank' ich dir, mein Vaterland!

Ohne alle Kenntniß der Politik, aber durch sein ungebundenes Wander-
leben radical gestimmt, erfreute er seine Hörer zuweilen auch durch politische
Gedichte, und der Beifall, den diese Improvisationen hervorriefen, berauschte
ihn dermaßen, daß er sich zum Freiheitsdichter berufen fühlte. Seine "Un-
politischen Lieder" waren sehr reich an kräftigen Ausfällen; manche davon
schmeichelten sich durch ihre leichte sangbare Form in jedes Ohr und
machten rasch die Runde auf allen Studentenkneipen, so die burschikosen,
einem alten Schnaderhüpfel nachgebildeten Verse:

Ist denn gar kein Weg,
Ist denn gar kein Steg,
Der uns führt aus dieser Sklaverei?

Eben wegen dieser volksthümlichen Wirksamkeit erschien das Büchlein,
das schon die Feuerprobe der Hamburgischen Censur bestanden hatte, den
preußischen Behörden hochgefährlich. Durch Beschluß des Staatsministe-
riums wurde Hoffmann zu Neujahr 1844 seiner Professur enthoben; der
König that nichts den grausamen Spruch zu mildern, und der Entlassene
bereiste fortan die deutschen Städte als poetischer Wanderprediger des Ra-
dicalismus. Ueberall wo feurige Patrioten zusammen zechten, deklamirte
er rührsam:

Ich bin Professor gewesen,
Nun bin ich abgesetzt.
Einst konnt' ich Collegia lesen;
Was aber kann ich jetzt? --

worauf denn meist ein geharnischtes politisches Lied oder auch vergnügliche
Bänkelsänger-Reime folgten. Die warmherzigen Pfälzer und Rheingauer
konnten sich an ihm nicht satt hören, sie feierten ihn als ein Opfer des
preußischen Despotismus. Nur bei den Holsten fand er üblen Empfang;
ihre Zeitungen sagten barsch: hierzulande sei man zu ernsthaft für dies
ewige Schim-schim-schim und Juch-juchhe. Als die Berliner Studenten
seinen alten Freunden, den Brüdern Grimm einen Fackelzug brachten, da
erschien Hoffmann plötzlich als ungeladener Gast an einem Fenster, und
die jungen Leute, deren Anführer wohl mit im Geheimniß waren, be-
grüßten auch ihn mit jauchzendem Zuruf; darauf Ausweisung des Heimath-

V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.
Volke doch auch Unvergängliches geſchenkt hatte. Am Felſenſtrande von
Helgoland dichtete er nach der Haydn’ſchen Melodie das Lied „Deutſch-
land, Deutſchland über Alles, über Alles in der Welt“, das den Grund-
gedanken des Arndt’ſchen Vaterlandsliedes einfacher, wärmer, lebendiger
wiedergab und nach langen Jahren erſt mit voller Macht auf die deutſchen
Gemüther wirken ſollte. Ein andermal in guter Stunde ſchrieb er die
einfältig ſchönen Zeilen:

Treue Liebe bis zum Grabe
Schwör’ ich dir mit Herz und Hand.
Was ich bin und was ich habe
Dank’ ich dir, mein Vaterland!

Ohne alle Kenntniß der Politik, aber durch ſein ungebundenes Wander-
leben radical geſtimmt, erfreute er ſeine Hörer zuweilen auch durch politiſche
Gedichte, und der Beifall, den dieſe Improviſationen hervorriefen, berauſchte
ihn dermaßen, daß er ſich zum Freiheitsdichter berufen fühlte. Seine „Un-
politiſchen Lieder“ waren ſehr reich an kräftigen Ausfällen; manche davon
ſchmeichelten ſich durch ihre leichte ſangbare Form in jedes Ohr und
machten raſch die Runde auf allen Studentenkneipen, ſo die burſchikoſen,
einem alten Schnaderhüpfel nachgebildeten Verſe:

Iſt denn gar kein Weg,
Iſt denn gar kein Steg,
Der uns führt aus dieſer Sklaverei?

Eben wegen dieſer volksthümlichen Wirkſamkeit erſchien das Büchlein,
das ſchon die Feuerprobe der Hamburgiſchen Cenſur beſtanden hatte, den
preußiſchen Behörden hochgefährlich. Durch Beſchluß des Staatsminiſte-
riums wurde Hoffmann zu Neujahr 1844 ſeiner Profeſſur enthoben; der
König that nichts den grauſamen Spruch zu mildern, und der Entlaſſene
bereiſte fortan die deutſchen Städte als poetiſcher Wanderprediger des Ra-
dicalismus. Ueberall wo feurige Patrioten zuſammen zechten, deklamirte
er rührſam:

Ich bin Profeſſor geweſen,
Nun bin ich abgeſetzt.
Einſt konnt’ ich Collegia leſen;
Was aber kann ich jetzt? —

worauf denn meiſt ein geharniſchtes politiſches Lied oder auch vergnügliche
Bänkelſänger-Reime folgten. Die warmherzigen Pfälzer und Rheingauer
konnten ſich an ihm nicht ſatt hören, ſie feierten ihn als ein Opfer des
preußiſchen Despotismus. Nur bei den Holſten fand er üblen Empfang;
ihre Zeitungen ſagten barſch: hierzulande ſei man zu ernſthaft für dies
ewige Schim-ſchim-ſchim und Juch-juchhe. Als die Berliner Studenten
ſeinen alten Freunden, den Brüdern Grimm einen Fackelzug brachten, da
erſchien Hoffmann plötzlich als ungeladener Gaſt an einem Fenſter, und
die jungen Leute, deren Anführer wohl mit im Geheimniß waren, be-
grüßten auch ihn mit jauchzendem Zuruf; darauf Ausweiſung des Heimath-

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[234/0248] V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung. Volke doch auch Unvergängliches geſchenkt hatte. Am Felſenſtrande von Helgoland dichtete er nach der Haydn’ſchen Melodie das Lied „Deutſch- land, Deutſchland über Alles, über Alles in der Welt“, das den Grund- gedanken des Arndt’ſchen Vaterlandsliedes einfacher, wärmer, lebendiger wiedergab und nach langen Jahren erſt mit voller Macht auf die deutſchen Gemüther wirken ſollte. Ein andermal in guter Stunde ſchrieb er die einfältig ſchönen Zeilen: Treue Liebe bis zum Grabe Schwör’ ich dir mit Herz und Hand. Was ich bin und was ich habe Dank’ ich dir, mein Vaterland! Ohne alle Kenntniß der Politik, aber durch ſein ungebundenes Wander- leben radical geſtimmt, erfreute er ſeine Hörer zuweilen auch durch politiſche Gedichte, und der Beifall, den dieſe Improviſationen hervorriefen, berauſchte ihn dermaßen, daß er ſich zum Freiheitsdichter berufen fühlte. Seine „Un- politiſchen Lieder“ waren ſehr reich an kräftigen Ausfällen; manche davon ſchmeichelten ſich durch ihre leichte ſangbare Form in jedes Ohr und machten raſch die Runde auf allen Studentenkneipen, ſo die burſchikoſen, einem alten Schnaderhüpfel nachgebildeten Verſe: Iſt denn gar kein Weg, Iſt denn gar kein Steg, Der uns führt aus dieſer Sklaverei? Eben wegen dieſer volksthümlichen Wirkſamkeit erſchien das Büchlein, das ſchon die Feuerprobe der Hamburgiſchen Cenſur beſtanden hatte, den preußiſchen Behörden hochgefährlich. Durch Beſchluß des Staatsminiſte- riums wurde Hoffmann zu Neujahr 1844 ſeiner Profeſſur enthoben; der König that nichts den grauſamen Spruch zu mildern, und der Entlaſſene bereiſte fortan die deutſchen Städte als poetiſcher Wanderprediger des Ra- dicalismus. Ueberall wo feurige Patrioten zuſammen zechten, deklamirte er rührſam: Ich bin Profeſſor geweſen, Nun bin ich abgeſetzt. Einſt konnt’ ich Collegia leſen; Was aber kann ich jetzt? — worauf denn meiſt ein geharniſchtes politiſches Lied oder auch vergnügliche Bänkelſänger-Reime folgten. Die warmherzigen Pfälzer und Rheingauer konnten ſich an ihm nicht ſatt hören, ſie feierten ihn als ein Opfer des preußiſchen Despotismus. Nur bei den Holſten fand er üblen Empfang; ihre Zeitungen ſagten barſch: hierzulande ſei man zu ernſthaft für dies ewige Schim-ſchim-ſchim und Juch-juchhe. Als die Berliner Studenten ſeinen alten Freunden, den Brüdern Grimm einen Fackelzug brachten, da erſchien Hoffmann plötzlich als ungeladener Gaſt an einem Fenſter, und die jungen Leute, deren Anführer wohl mit im Geheimniß waren, be- grüßten auch ihn mit jauchzendem Zuruf; darauf Ausweiſung des Heimath-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/248>, abgerufen am 28.03.2024.