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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Das Berliner Protokoll über Krakau.
Beschluß immer feierlich abgeleugnet haben?*) Auf Canitz's Antrag wurde
in das Protokoll der Art. 2 aufgenommen: "Diese Einverleibung wird
erst ausgeführt werden nachdem Alles was damit zusammenhängt geregelt
ist, hinsichtlich der Beziehungen der drei hohen vertragschließenden Parteien
unter sich und zu den anderen Mächten. Dies wird geschehen durch eine
Berathung der nach Wien berufenen Conferenz." General Berg erklärte
aber bestimmt und ohne Widerspruch: das solle keineswegs bedeuten, daß
"die anderen Mächte" förmlich zustimmen müßten; vielmehr verwahrten
sich die drei Schutzmächte ausdrücklich ihr Recht, das Beschlossene unbe-
dingt auszuführen.**) So schien man einig, und frohen Muths sahen die
beiden Kaisermächte der Wiener Conferenz entgegen, die in kürzester Frist
zusammentreten sollte. Nesselrode dankte der preußischen Regierung leb-
haft, weil sie jede "peinliche Verhandlung" vermieden hätte. Er schrieb so
ungemein herzlich, daß Canitz verwundert sagte: Die Russen scheinen ja
ganz überrascht uns so nachgiebig gefunden zu haben.***)

Allerdings hatte der Czar guten Grund zu freudiger Ueberraschung.
Der Aprilvertrag, den der königliche Gönner des Polenthums doch nur
widerstrebend genehmigt hatte, mußte nicht blos die liberale öffentliche
Meinung gegen den Berliner Hof aufbringen, er bedrohte auch die
Volkswirthschaft Preußens mit schweren Verlusten. Die Krakauer Re-
publik war auf Grund der Wiener Verträge ein Freihandelsgebiet, und
die Breslauer Kaufleute wußten diesen Vortheil gründlich auszunutzen.
Sie unterhielten in der Republik ihre Commanditen und sendeten dahin
außer deutschen Erzeugnissen auch Massen von Kolonialwaaren, die von
den Seeplätzen her, nur mit den leichten Durchfuhrzöllen des Zollvereins
beschwert, gradeswegs nach der Weichselstadt durchgingen. In Krakau selbst
verblieb nur ein kleiner Theil dieser Einfuhr; alles Uebrige wurde von den
Juden, welche den zuchtlosen Kleinstaat wie ein anderes Land Gosen ver-
ehrten, nach dem österreichischen und dem russischen Polen hinübergeschmug-
gelt. Das Geschäft blühte. Von 92,000 Centnern Durchfuhrgut, welche
im Jahre 1844 die schlesische Grenze überschritten, gingen fast 78,000 über
Neu-Berun nach Krakau, von der gesammten schlesischen Ausfuhr etwa
die Hälfte; ein einziges großes Breslauer Haus berechnete seinen jährlichen
Umsatz in der Republik auf 0,9 Mill. Thlr. Der Zollverein, der weder
mit Rußland noch mit Oesterreich in Zoll-Cartell stand, fand sich nicht
bewogen diesen Handel zu stören; er gewann ja nur an den Durchfuhr-
zöllen, und daß die Waaren aus den Krakauer Freilagern wieder über
die wohlbewachte deutsche Zollgrenze zurückgepascht wurden, geschah doch
ziemlich selten.


*) Canitz, Weisung an Rochow, 24. Jan. 1847.
**) Proces verbal zum Berliner Protokoll vom 15. April 1846.
***) Nesselrode, Weisung an Meyendorff, 20. April; Canitz, Weisung an Rochow,
3. Mai 1846.
35*

Das Berliner Protokoll über Krakau.
Beſchluß immer feierlich abgeleugnet haben?*) Auf Canitz’s Antrag wurde
in das Protokoll der Art. 2 aufgenommen: „Dieſe Einverleibung wird
erſt ausgeführt werden nachdem Alles was damit zuſammenhängt geregelt
iſt, hinſichtlich der Beziehungen der drei hohen vertragſchließenden Parteien
unter ſich und zu den anderen Mächten. Dies wird geſchehen durch eine
Berathung der nach Wien berufenen Conferenz.“ General Berg erklärte
aber beſtimmt und ohne Widerſpruch: das ſolle keineswegs bedeuten, daß
„die anderen Mächte“ förmlich zuſtimmen müßten; vielmehr verwahrten
ſich die drei Schutzmächte ausdrücklich ihr Recht, das Beſchloſſene unbe-
dingt auszuführen.**) So ſchien man einig, und frohen Muths ſahen die
beiden Kaiſermächte der Wiener Conferenz entgegen, die in kürzeſter Friſt
zuſammentreten ſollte. Neſſelrode dankte der preußiſchen Regierung leb-
haft, weil ſie jede „peinliche Verhandlung“ vermieden hätte. Er ſchrieb ſo
ungemein herzlich, daß Canitz verwundert ſagte: Die Ruſſen ſcheinen ja
ganz überraſcht uns ſo nachgiebig gefunden zu haben.***)

Allerdings hatte der Czar guten Grund zu freudiger Ueberraſchung.
Der Aprilvertrag, den der königliche Gönner des Polenthums doch nur
widerſtrebend genehmigt hatte, mußte nicht blos die liberale öffentliche
Meinung gegen den Berliner Hof aufbringen, er bedrohte auch die
Volkswirthſchaft Preußens mit ſchweren Verluſten. Die Krakauer Re-
publik war auf Grund der Wiener Verträge ein Freihandelsgebiet, und
die Breslauer Kaufleute wußten dieſen Vortheil gründlich auszunutzen.
Sie unterhielten in der Republik ihre Commanditen und ſendeten dahin
außer deutſchen Erzeugniſſen auch Maſſen von Kolonialwaaren, die von
den Seeplätzen her, nur mit den leichten Durchfuhrzöllen des Zollvereins
beſchwert, gradeswegs nach der Weichſelſtadt durchgingen. In Krakau ſelbſt
verblieb nur ein kleiner Theil dieſer Einfuhr; alles Uebrige wurde von den
Juden, welche den zuchtloſen Kleinſtaat wie ein anderes Land Goſen ver-
ehrten, nach dem öſterreichiſchen und dem ruſſiſchen Polen hinübergeſchmug-
gelt. Das Geſchäft blühte. Von 92,000 Centnern Durchfuhrgut, welche
im Jahre 1844 die ſchleſiſche Grenze überſchritten, gingen faſt 78,000 über
Neu-Berun nach Krakau, von der geſammten ſchleſiſchen Ausfuhr etwa
die Hälfte; ein einziges großes Breslauer Haus berechnete ſeinen jährlichen
Umſatz in der Republik auf 0,9 Mill. Thlr. Der Zollverein, der weder
mit Rußland noch mit Oeſterreich in Zoll-Cartell ſtand, fand ſich nicht
bewogen dieſen Handel zu ſtören; er gewann ja nur an den Durchfuhr-
zöllen, und daß die Waaren aus den Krakauer Freilagern wieder über
die wohlbewachte deutſche Zollgrenze zurückgepaſcht wurden, geſchah doch
ziemlich ſelten.


*) Canitz, Weiſung an Rochow, 24. Jan. 1847.
**) Procès verbal zum Berliner Protokoll vom 15. April 1846.
***) Neſſelrode, Weiſung an Meyendorff, 20. April; Canitz, Weiſung an Rochow,
3. Mai 1846.
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[547/0561] Das Berliner Protokoll über Krakau. Beſchluß immer feierlich abgeleugnet haben? *) Auf Canitz’s Antrag wurde in das Protokoll der Art. 2 aufgenommen: „Dieſe Einverleibung wird erſt ausgeführt werden nachdem Alles was damit zuſammenhängt geregelt iſt, hinſichtlich der Beziehungen der drei hohen vertragſchließenden Parteien unter ſich und zu den anderen Mächten. Dies wird geſchehen durch eine Berathung der nach Wien berufenen Conferenz.“ General Berg erklärte aber beſtimmt und ohne Widerſpruch: das ſolle keineswegs bedeuten, daß „die anderen Mächte“ förmlich zuſtimmen müßten; vielmehr verwahrten ſich die drei Schutzmächte ausdrücklich ihr Recht, das Beſchloſſene unbe- dingt auszuführen. **) So ſchien man einig, und frohen Muths ſahen die beiden Kaiſermächte der Wiener Conferenz entgegen, die in kürzeſter Friſt zuſammentreten ſollte. Neſſelrode dankte der preußiſchen Regierung leb- haft, weil ſie jede „peinliche Verhandlung“ vermieden hätte. Er ſchrieb ſo ungemein herzlich, daß Canitz verwundert ſagte: Die Ruſſen ſcheinen ja ganz überraſcht uns ſo nachgiebig gefunden zu haben. ***) Allerdings hatte der Czar guten Grund zu freudiger Ueberraſchung. Der Aprilvertrag, den der königliche Gönner des Polenthums doch nur widerſtrebend genehmigt hatte, mußte nicht blos die liberale öffentliche Meinung gegen den Berliner Hof aufbringen, er bedrohte auch die Volkswirthſchaft Preußens mit ſchweren Verluſten. Die Krakauer Re- publik war auf Grund der Wiener Verträge ein Freihandelsgebiet, und die Breslauer Kaufleute wußten dieſen Vortheil gründlich auszunutzen. Sie unterhielten in der Republik ihre Commanditen und ſendeten dahin außer deutſchen Erzeugniſſen auch Maſſen von Kolonialwaaren, die von den Seeplätzen her, nur mit den leichten Durchfuhrzöllen des Zollvereins beſchwert, gradeswegs nach der Weichſelſtadt durchgingen. In Krakau ſelbſt verblieb nur ein kleiner Theil dieſer Einfuhr; alles Uebrige wurde von den Juden, welche den zuchtloſen Kleinſtaat wie ein anderes Land Goſen ver- ehrten, nach dem öſterreichiſchen und dem ruſſiſchen Polen hinübergeſchmug- gelt. Das Geſchäft blühte. Von 92,000 Centnern Durchfuhrgut, welche im Jahre 1844 die ſchleſiſche Grenze überſchritten, gingen faſt 78,000 über Neu-Berun nach Krakau, von der geſammten ſchleſiſchen Ausfuhr etwa die Hälfte; ein einziges großes Breslauer Haus berechnete ſeinen jährlichen Umſatz in der Republik auf 0,9 Mill. Thlr. Der Zollverein, der weder mit Rußland noch mit Oeſterreich in Zoll-Cartell ſtand, fand ſich nicht bewogen dieſen Handel zu ſtören; er gewann ja nur an den Durchfuhr- zöllen, und daß die Waaren aus den Krakauer Freilagern wieder über die wohlbewachte deutſche Zollgrenze zurückgepaſcht wurden, geſchah doch ziemlich ſelten. *) Canitz, Weiſung an Rochow, 24. Jan. 1847. **) Procès verbal zum Berliner Protokoll vom 15. April 1846. ***) Neſſelrode, Weiſung an Meyendorff, 20. April; Canitz, Weiſung an Rochow, 3. Mai 1846. 35*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 547. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/561>, abgerufen am 16.05.2024.