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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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XXXIV. Der Prinz von Preußen und die Verfassungspläne.
nachher bei Hofe erscheinen solle. So ging Alles glatt ab. Diese ganz unbefangene,
lange vor den Aufzeichnungen des Prinzen niedergeschriebene Erzählung eines treuen
Anhängers der Augustenburger beweist doch wohl, daß der Prinz sich schon auf jener
Kopenhagener Reise mit ehrgeizigen Plänen trug. Als er dann die Statthalterwürde
erlangt hatte, verstand er freilich nicht sie zu gebrauchen. --



XXXIV. Der Prinz von Preußen und die Verfassungspläne.

Zu Bd. V. S. 606 ff.

Der Prinz von Preußen trat zur Zeit der Königsberger Huldigung allen Ver-
fassungsplänen, welche dem Testamentsentwurfe seines königlichen Vaters widersprachen,
nachdrücklich entgegen. Er verlangte sodann, als der König die Vereinigten Ausschüsse
bildete, daß diese Institution sogleich völlig ausgestaltet und mit ihr das ständische Re-
formwerk abgeschlossen werde. Er erhob endlich, im Januar 1845, lebhaften Einspruch,
als der Plan des Vereinigten Landtags sich enthüllte, und wurde deshalb von seinem
königlichen Bruder sehr hart angelassen.

Die natürliche Folge von alledem war, daß der Prinz in die neue Immediat-
commission, welche im Sommer und Herbst 1845 über die Entwürfe des Monarchen
berieth, nicht berufen wurde. Als diese Verhandlungen geschlossen waren, fühlte er sich
aber verpflichtet, nunmehr seine Ansicht über die künftige Gestaltung des ständischen Wesens
ausführlicher darzustellen. Am 20. November 1845 schrieb er dem Könige: "Du wirst
es natürlich finden, daß ich in Erfahrung gebracht habe, wie Du in diesem Sommer
eine Commission ernannt hast, welche Deine ständischen Pläne ausarbeiten mußte." Dann
erinnerte er an seinen Brief vom Januar und fuhr fort: "Mehr als ich darin gesagt,
erlaubt mir mein Gewissen nicht nachzugeben. Ich glaube es in meiner Stellung ver-
langen zu können, daß mein Plan geprüft werde. Er giebt kein Recht der Krone aus
den Händen; er bezeichnet jeder Corporation ihre Rechte, und vermeidet, die Finanzfrage,
die gefährlichste von allen, in regelmäßiger Wiederkehr zu agitiren. Zugleich gewährt er,
unter Beibehaltung des jetzigen ständischen Fundaments, die Provinzialstände, gewährt
in den Ausschüssen die verheißene Generalberathung des Gesetzes von 1823 und löset die
Schwierigkeit des Gesetzes der Staatsschulden von 1820. Brüderlichst lege ich diese große
Angelegenheit Dir an's Herz, das tief ergriffen davon ist, daß es sich Deinen Plänen
nicht anschließen kann."

Die beigelegte Denkschrift zeigt schon jene glückliche Mischung von Festigkeit und
Beweglichkeit, welcher der Prinz dereinst als König so große Erfolge verdanken sollte.
Ohne die leitenden politischen Grundsätze seines Lebens je aufzugeben, stellte er sich doch
immer rasch auf den Boden der veränderten Verhältnisse. Er hatte einst gehofft, die
letztwillige Verfügung seines Vaters über die Reichsstände würde ausreichen. Als dann
die Vereinigten Ausschüsse geschaffen wurden, nahm er das Geschehene alsbald an und
rieth, diese neue Versammlung zu einem ständischen Reichstage auszugestalten. Jetzt ver-
kündigte der König seine Absicht, neben den Vereinigten Ausschüssen und den Provinzial-
landtagen noch eine Centralvertretung zu schaffen. Der Prinz erkannte, sein königlicher
Bruder werde sich von diesem verwickelten Plane nicht mehr abbringen lassen; er ging
daher auf den Grundgedanken der neuen Entwürfe sofort ein, obgleich er ihn schwerlich
ganz billigen mochte, und faßte nur die praktische Frage in's Auge: wie das Eine, was
ihm das Wesen des preußischen Staates war, die lebendige Macht der Krone neben dieser
ungefügen dreifachen Gliederung ständischer Körperschaften noch bestehen solle?

Die Denkschrift begann: "Preußens politische und geographische Lage als Großmacht
im europäischen Staatenbunde und zugleich als Theil des deutschen Bundes erlaubt nicht,

v. Treitschke, Deutsche Geschichte. V. 49

XXXIV. Der Prinz von Preußen und die Verfaſſungspläne.
nachher bei Hofe erſcheinen ſolle. So ging Alles glatt ab. Dieſe ganz unbefangene,
lange vor den Aufzeichnungen des Prinzen niedergeſchriebene Erzählung eines treuen
Anhängers der Auguſtenburger beweiſt doch wohl, daß der Prinz ſich ſchon auf jener
Kopenhagener Reiſe mit ehrgeizigen Plänen trug. Als er dann die Statthalterwürde
erlangt hatte, verſtand er freilich nicht ſie zu gebrauchen. —



XXXIV. Der Prinz von Preußen und die Verfaſſungspläne.

Zu Bd. V. S. 606 ff.

Der Prinz von Preußen trat zur Zeit der Königsberger Huldigung allen Ver-
faſſungsplänen, welche dem Teſtamentsentwurfe ſeines königlichen Vaters widerſprachen,
nachdrücklich entgegen. Er verlangte ſodann, als der König die Vereinigten Ausſchüſſe
bildete, daß dieſe Inſtitution ſogleich völlig ausgeſtaltet und mit ihr das ſtändiſche Re-
formwerk abgeſchloſſen werde. Er erhob endlich, im Januar 1845, lebhaften Einſpruch,
als der Plan des Vereinigten Landtags ſich enthüllte, und wurde deshalb von ſeinem
königlichen Bruder ſehr hart angelaſſen.

Die natürliche Folge von alledem war, daß der Prinz in die neue Immediat-
commiſſion, welche im Sommer und Herbſt 1845 über die Entwürfe des Monarchen
berieth, nicht berufen wurde. Als dieſe Verhandlungen geſchloſſen waren, fühlte er ſich
aber verpflichtet, nunmehr ſeine Anſicht über die künftige Geſtaltung des ſtändiſchen Weſens
ausführlicher darzuſtellen. Am 20. November 1845 ſchrieb er dem Könige: „Du wirſt
es natürlich finden, daß ich in Erfahrung gebracht habe, wie Du in dieſem Sommer
eine Commiſſion ernannt haſt, welche Deine ſtändiſchen Pläne ausarbeiten mußte.“ Dann
erinnerte er an ſeinen Brief vom Januar und fuhr fort: „Mehr als ich darin geſagt,
erlaubt mir mein Gewiſſen nicht nachzugeben. Ich glaube es in meiner Stellung ver-
langen zu können, daß mein Plan geprüft werde. Er giebt kein Recht der Krone aus
den Händen; er bezeichnet jeder Corporation ihre Rechte, und vermeidet, die Finanzfrage,
die gefährlichſte von allen, in regelmäßiger Wiederkehr zu agitiren. Zugleich gewährt er,
unter Beibehaltung des jetzigen ſtändiſchen Fundaments, die Provinzialſtände, gewährt
in den Ausſchüſſen die verheißene Generalberathung des Geſetzes von 1823 und löſet die
Schwierigkeit des Geſetzes der Staatsſchulden von 1820. Brüderlichſt lege ich dieſe große
Angelegenheit Dir an’s Herz, das tief ergriffen davon iſt, daß es ſich Deinen Plänen
nicht anſchließen kann.“

Die beigelegte Denkſchrift zeigt ſchon jene glückliche Miſchung von Feſtigkeit und
Beweglichkeit, welcher der Prinz dereinſt als König ſo große Erfolge verdanken ſollte.
Ohne die leitenden politiſchen Grundſätze ſeines Lebens je aufzugeben, ſtellte er ſich doch
immer raſch auf den Boden der veränderten Verhältniſſe. Er hatte einſt gehofft, die
letztwillige Verfügung ſeines Vaters über die Reichsſtände würde ausreichen. Als dann
die Vereinigten Ausſchüſſe geſchaffen wurden, nahm er das Geſchehene alsbald an und
rieth, dieſe neue Verſammlung zu einem ſtändiſchen Reichstage auszugeſtalten. Jetzt ver-
kündigte der König ſeine Abſicht, neben den Vereinigten Ausſchüſſen und den Provinzial-
landtagen noch eine Centralvertretung zu ſchaffen. Der Prinz erkannte, ſein königlicher
Bruder werde ſich von dieſem verwickelten Plane nicht mehr abbringen laſſen; er ging
daher auf den Grundgedanken der neuen Entwürfe ſofort ein, obgleich er ihn ſchwerlich
ganz billigen mochte, und faßte nur die praktiſche Frage in’s Auge: wie das Eine, was
ihm das Weſen des preußiſchen Staates war, die lebendige Macht der Krone neben dieſer
ungefügen dreifachen Gliederung ſtändiſcher Körperſchaften noch beſtehen ſolle?

Die Denkſchrift begann: „Preußens politiſche und geographiſche Lage als Großmacht
im europäiſchen Staatenbunde und zugleich als Theil des deutſchen Bundes erlaubt nicht,

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[769/0783] XXXIV. Der Prinz von Preußen und die Verfaſſungspläne. nachher bei Hofe erſcheinen ſolle. So ging Alles glatt ab. Dieſe ganz unbefangene, lange vor den Aufzeichnungen des Prinzen niedergeſchriebene Erzählung eines treuen Anhängers der Auguſtenburger beweiſt doch wohl, daß der Prinz ſich ſchon auf jener Kopenhagener Reiſe mit ehrgeizigen Plänen trug. Als er dann die Statthalterwürde erlangt hatte, verſtand er freilich nicht ſie zu gebrauchen. — XXXIV. Der Prinz von Preußen und die Verfaſſungspläne. Zu Bd. V. S. 606 ff. Der Prinz von Preußen trat zur Zeit der Königsberger Huldigung allen Ver- faſſungsplänen, welche dem Teſtamentsentwurfe ſeines königlichen Vaters widerſprachen, nachdrücklich entgegen. Er verlangte ſodann, als der König die Vereinigten Ausſchüſſe bildete, daß dieſe Inſtitution ſogleich völlig ausgeſtaltet und mit ihr das ſtändiſche Re- formwerk abgeſchloſſen werde. Er erhob endlich, im Januar 1845, lebhaften Einſpruch, als der Plan des Vereinigten Landtags ſich enthüllte, und wurde deshalb von ſeinem königlichen Bruder ſehr hart angelaſſen. Die natürliche Folge von alledem war, daß der Prinz in die neue Immediat- commiſſion, welche im Sommer und Herbſt 1845 über die Entwürfe des Monarchen berieth, nicht berufen wurde. Als dieſe Verhandlungen geſchloſſen waren, fühlte er ſich aber verpflichtet, nunmehr ſeine Anſicht über die künftige Geſtaltung des ſtändiſchen Weſens ausführlicher darzuſtellen. Am 20. November 1845 ſchrieb er dem Könige: „Du wirſt es natürlich finden, daß ich in Erfahrung gebracht habe, wie Du in dieſem Sommer eine Commiſſion ernannt haſt, welche Deine ſtändiſchen Pläne ausarbeiten mußte.“ Dann erinnerte er an ſeinen Brief vom Januar und fuhr fort: „Mehr als ich darin geſagt, erlaubt mir mein Gewiſſen nicht nachzugeben. Ich glaube es in meiner Stellung ver- langen zu können, daß mein Plan geprüft werde. Er giebt kein Recht der Krone aus den Händen; er bezeichnet jeder Corporation ihre Rechte, und vermeidet, die Finanzfrage, die gefährlichſte von allen, in regelmäßiger Wiederkehr zu agitiren. Zugleich gewährt er, unter Beibehaltung des jetzigen ſtändiſchen Fundaments, die Provinzialſtände, gewährt in den Ausſchüſſen die verheißene Generalberathung des Geſetzes von 1823 und löſet die Schwierigkeit des Geſetzes der Staatsſchulden von 1820. Brüderlichſt lege ich dieſe große Angelegenheit Dir an’s Herz, das tief ergriffen davon iſt, daß es ſich Deinen Plänen nicht anſchließen kann.“ Die beigelegte Denkſchrift zeigt ſchon jene glückliche Miſchung von Feſtigkeit und Beweglichkeit, welcher der Prinz dereinſt als König ſo große Erfolge verdanken ſollte. Ohne die leitenden politiſchen Grundſätze ſeines Lebens je aufzugeben, ſtellte er ſich doch immer raſch auf den Boden der veränderten Verhältniſſe. Er hatte einſt gehofft, die letztwillige Verfügung ſeines Vaters über die Reichsſtände würde ausreichen. Als dann die Vereinigten Ausſchüſſe geſchaffen wurden, nahm er das Geſchehene alsbald an und rieth, dieſe neue Verſammlung zu einem ſtändiſchen Reichstage auszugeſtalten. Jetzt ver- kündigte der König ſeine Abſicht, neben den Vereinigten Ausſchüſſen und den Provinzial- landtagen noch eine Centralvertretung zu ſchaffen. Der Prinz erkannte, ſein königlicher Bruder werde ſich von dieſem verwickelten Plane nicht mehr abbringen laſſen; er ging daher auf den Grundgedanken der neuen Entwürfe ſofort ein, obgleich er ihn ſchwerlich ganz billigen mochte, und faßte nur die praktiſche Frage in’s Auge: wie das Eine, was ihm das Weſen des preußiſchen Staates war, die lebendige Macht der Krone neben dieſer ungefügen dreifachen Gliederung ſtändiſcher Körperſchaften noch beſtehen ſolle? Die Denkſchrift begann: „Preußens politiſche und geographiſche Lage als Großmacht im europäiſchen Staatenbunde und zugleich als Theil des deutſchen Bundes erlaubt nicht, v. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. V. 49

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 769. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/783>, abgerufen am 28.03.2024.