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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 2. Die Kriegsgefahr.
immer in der ehrlichen Hoffnung, daß Frankreich den anderen Mächten
nicht widersprechen würde, immer mit dem ausdrücklichen Vorbehalt, daß
Preußen nur moralischen Beistand leisten könne.*)

Unterdessen gestaltete sich Frankreichs Lage höchst bedrohlich. Auf-
geregt durch die Pariser Presse schwärmte die gesammte Nation für den
aufgeklärten Mehemed Ali. Als man nun erfuhr, daß die vier Mächte
diesen Liebling Frankreichs ungerecht mißhandeln wollten, da ging ein
Aufschrei des Zorns durch das Land. Alles rief: England hat uns
verrathen, die entente cordiale ist zerstört.**) In der That hatte der
schlaue Bürgerkönig, der die auswärtige Politik über die Köpfe des Ministe-
riums Soult hinweg leitete, diesmal sich von seinem persönlichen Hasse
bethören lassen und ganz falsch gerechnet. Da er mit dem Todfeinde
Mehemed Ali's, mit England sich über die orientalischen Wirren unmög-
lich einigen konnte, so mußte er mit Rußland und den deutschen Mächten
eine Verständigung suchen. Er konnte jedoch seinen Groll über die Hof-
fart des Czaren nicht überwinden und richtete alle seine Pfeile gegen
Rußland. Wieder und wieder mußte Soult in spitzigen Depeschen er-
klären, die Integrität der Türkei sei nur ein leeres Wort, wenn ihr nicht
auch die Unabhängigkeit -- das wollte sagen: die Unabhängigkeit von
Rußland -- gesichert würde. Nesselrode rieb sich die Hände und gab
eine hochmüthige Antwort.***) Während Ludwig Philipp sich also in
einen unfruchtbaren Federkrieg gegen den Czaren verbiß, bemerkte er kaum,
wie England und Rußland einander näher traten. Da mit einem male
stand er zwischen zwei Feuern: der englische Freund war zu dem russi-
schen Feinde übergegangen, und die Verständigung der beiden Mächte war
in sehr rücksichtsloser Form geschehen, ohne daß man den französischen
Gesandten auch nur einer genauen Mittheilung gewürdigt hätte.

Die Stellung des Tuilerienhofes ward noch schwieriger, als im Februar
1840 -- wieder durch des Königs Schuld -- das gemäßigte, bei den
Höfen leidlich angesehene Ministerium Soult zusammenbrach. Ludwig Phi-
lipp hatte einst -- den uralten Gesetzen des Landes zuwider -- das unge-
heuere Vermögen der Orleans, das von Rechtswegen der Krone Frankreich
gehörte, seinen Kindern abgetreten, und durfte jetzt nicht erwarten, daß die
Nation geneigt sein würde den so schmählich geretteten Reichthum des unge-
liebten königlichen Hauses noch zu vermehren. Gleichwohl verlangte der
König, als sein zweiter Sohn der Herzog von Nemours sich mit der reichen
Prinzessin von Coburg-Kohary verlobt hatte, von den Kammern eine Jahres-
rente für das junge Paar. Allgemein war der Unwille. Die Presse verdäch-

*) Brunnow an Werther d. J. 23. Jan.; Min. Werther, Weisungen an Arnim
in Paris, 22. Jan., an Werther d. J. 27. 31. Jan. 1840.
**) Arnim's Berichte, Paris 12. 16. 22. Jan. 1840.
***) Soult, Weisung an Sebastiani, 25. Nov. Nesselrode, Weisung an Medem,
26. Dec. 1839.

V. 2. Die Kriegsgefahr.
immer in der ehrlichen Hoffnung, daß Frankreich den anderen Mächten
nicht widerſprechen würde, immer mit dem ausdrücklichen Vorbehalt, daß
Preußen nur moraliſchen Beiſtand leiſten könne.*)

Unterdeſſen geſtaltete ſich Frankreichs Lage höchſt bedrohlich. Auf-
geregt durch die Pariſer Preſſe ſchwärmte die geſammte Nation für den
aufgeklärten Mehemed Ali. Als man nun erfuhr, daß die vier Mächte
dieſen Liebling Frankreichs ungerecht mißhandeln wollten, da ging ein
Aufſchrei des Zorns durch das Land. Alles rief: England hat uns
verrathen, die entente cordiale iſt zerſtört.**) In der That hatte der
ſchlaue Bürgerkönig, der die auswärtige Politik über die Köpfe des Miniſte-
riums Soult hinweg leitete, diesmal ſich von ſeinem perſönlichen Haſſe
bethören laſſen und ganz falſch gerechnet. Da er mit dem Todfeinde
Mehemed Ali’s, mit England ſich über die orientaliſchen Wirren unmög-
lich einigen konnte, ſo mußte er mit Rußland und den deutſchen Mächten
eine Verſtändigung ſuchen. Er konnte jedoch ſeinen Groll über die Hof-
fart des Czaren nicht überwinden und richtete alle ſeine Pfeile gegen
Rußland. Wieder und wieder mußte Soult in ſpitzigen Depeſchen er-
klären, die Integrität der Türkei ſei nur ein leeres Wort, wenn ihr nicht
auch die Unabhängigkeit — das wollte ſagen: die Unabhängigkeit von
Rußland — geſichert würde. Neſſelrode rieb ſich die Hände und gab
eine hochmüthige Antwort.***) Während Ludwig Philipp ſich alſo in
einen unfruchtbaren Federkrieg gegen den Czaren verbiß, bemerkte er kaum,
wie England und Rußland einander näher traten. Da mit einem male
ſtand er zwiſchen zwei Feuern: der engliſche Freund war zu dem ruſſi-
ſchen Feinde übergegangen, und die Verſtändigung der beiden Mächte war
in ſehr rückſichtsloſer Form geſchehen, ohne daß man den franzöſiſchen
Geſandten auch nur einer genauen Mittheilung gewürdigt hätte.

Die Stellung des Tuilerienhofes ward noch ſchwieriger, als im Februar
1840 — wieder durch des Königs Schuld — das gemäßigte, bei den
Höfen leidlich angeſehene Miniſterium Soult zuſammenbrach. Ludwig Phi-
lipp hatte einſt — den uralten Geſetzen des Landes zuwider — das unge-
heuere Vermögen der Orleans, das von Rechtswegen der Krone Frankreich
gehörte, ſeinen Kindern abgetreten, und durfte jetzt nicht erwarten, daß die
Nation geneigt ſein würde den ſo ſchmählich geretteten Reichthum des unge-
liebten königlichen Hauſes noch zu vermehren. Gleichwohl verlangte der
König, als ſein zweiter Sohn der Herzog von Nemours ſich mit der reichen
Prinzeſſin von Coburg-Kohary verlobt hatte, von den Kammern eine Jahres-
rente für das junge Paar. Allgemein war der Unwille. Die Preſſe verdäch-

*) Brunnow an Werther d. J. 23. Jan.; Min. Werther, Weiſungen an Arnim
in Paris, 22. Jan., an Werther d. J. 27. 31. Jan. 1840.
**) Arnim’s Berichte, Paris 12. 16. 22. Jan. 1840.
***) Soult, Weiſung an Sebaſtiani, 25. Nov. Neſſelrode, Weiſung an Medem,
26. Dec. 1839.
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[72/0086] V. 2. Die Kriegsgefahr. immer in der ehrlichen Hoffnung, daß Frankreich den anderen Mächten nicht widerſprechen würde, immer mit dem ausdrücklichen Vorbehalt, daß Preußen nur moraliſchen Beiſtand leiſten könne. *) Unterdeſſen geſtaltete ſich Frankreichs Lage höchſt bedrohlich. Auf- geregt durch die Pariſer Preſſe ſchwärmte die geſammte Nation für den aufgeklärten Mehemed Ali. Als man nun erfuhr, daß die vier Mächte dieſen Liebling Frankreichs ungerecht mißhandeln wollten, da ging ein Aufſchrei des Zorns durch das Land. Alles rief: England hat uns verrathen, die entente cordiale iſt zerſtört. **) In der That hatte der ſchlaue Bürgerkönig, der die auswärtige Politik über die Köpfe des Miniſte- riums Soult hinweg leitete, diesmal ſich von ſeinem perſönlichen Haſſe bethören laſſen und ganz falſch gerechnet. Da er mit dem Todfeinde Mehemed Ali’s, mit England ſich über die orientaliſchen Wirren unmög- lich einigen konnte, ſo mußte er mit Rußland und den deutſchen Mächten eine Verſtändigung ſuchen. Er konnte jedoch ſeinen Groll über die Hof- fart des Czaren nicht überwinden und richtete alle ſeine Pfeile gegen Rußland. Wieder und wieder mußte Soult in ſpitzigen Depeſchen er- klären, die Integrität der Türkei ſei nur ein leeres Wort, wenn ihr nicht auch die Unabhängigkeit — das wollte ſagen: die Unabhängigkeit von Rußland — geſichert würde. Neſſelrode rieb ſich die Hände und gab eine hochmüthige Antwort. ***) Während Ludwig Philipp ſich alſo in einen unfruchtbaren Federkrieg gegen den Czaren verbiß, bemerkte er kaum, wie England und Rußland einander näher traten. Da mit einem male ſtand er zwiſchen zwei Feuern: der engliſche Freund war zu dem ruſſi- ſchen Feinde übergegangen, und die Verſtändigung der beiden Mächte war in ſehr rückſichtsloſer Form geſchehen, ohne daß man den franzöſiſchen Geſandten auch nur einer genauen Mittheilung gewürdigt hätte. Die Stellung des Tuilerienhofes ward noch ſchwieriger, als im Februar 1840 — wieder durch des Königs Schuld — das gemäßigte, bei den Höfen leidlich angeſehene Miniſterium Soult zuſammenbrach. Ludwig Phi- lipp hatte einſt — den uralten Geſetzen des Landes zuwider — das unge- heuere Vermögen der Orleans, das von Rechtswegen der Krone Frankreich gehörte, ſeinen Kindern abgetreten, und durfte jetzt nicht erwarten, daß die Nation geneigt ſein würde den ſo ſchmählich geretteten Reichthum des unge- liebten königlichen Hauſes noch zu vermehren. Gleichwohl verlangte der König, als ſein zweiter Sohn der Herzog von Nemours ſich mit der reichen Prinzeſſin von Coburg-Kohary verlobt hatte, von den Kammern eine Jahres- rente für das junge Paar. Allgemein war der Unwille. Die Preſſe verdäch- *) Brunnow an Werther d. J. 23. Jan.; Min. Werther, Weiſungen an Arnim in Paris, 22. Jan., an Werther d. J. 27. 31. Jan. 1840. **) Arnim’s Berichte, Paris 12. 16. 22. Jan. 1840. ***) Soult, Weiſung an Sebaſtiani, 25. Nov. Neſſelrode, Weiſung an Medem, 26. Dec. 1839.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/86>, abgerufen am 28.03.2024.