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Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Alexander Freiherr von Ungern-Sternberg, geb. den 10. April 1806 auf dem Gute Noistser bei Reval in Esthland, wo sein Vater Landrath war, wurde nach dem Tode desselben, von einem Oheim in Dorpat erzogen, besuchte dort das Gymnasium und die Universität, auf der er sich mit der Jurisprudenz, die er studieren sollte, wenig beschäftigte Im Jahre 1829 ging er nach Petersburg, um sich nach dem Wunsche seines Oheims für eine Staatsanstellung vorzubereiten. Das Mißbehagen an den dortigen Verhältnissen und seine Unkenntniß des Russischen vereitelte diesen Plan. Von der Kaiserin, die sich für sein bedeutendes Zeichentalent interessirte. zum Zwecke künstlerischer Ausbildung unterstützt, begab er sich 1830 nach Dresden. Die von der Bekanntschaft mit Tieck erhaltenen Anregungen führten ihn zur literarischen Production, gegen welche die Uebung des anderen Talents mehr und mehr zurücktrat (eine Probe desselben erschien 1848 in seinen Illustrationen zu "Tutu"). 1831 reiste er nach Süddeutschland, hielt sich 1832 in Stuttgart auf, wo durch G. Schwab's Vermittlung seine Novellen "die Zerrissenen", die Fortsetzung derselben "Eduard" (1833), "Lessing" (1834) und "Moliere" (1834) im Cotta'schen Verlage erschienen. Von Stuttgart siedelte er nach Mannheim über, zu dreijährigem Aufenthalt, kehrte nach Stuttgart zurück (Bekanntschaft mit Lenau) und wandte sich dann wieder dem Norden zu, wo er Berlin endlich zu seinem dauernden Wohnsitz wählte. Zu Anfang der 50er Jahre verheirathete er sich mit einem Fräulein von Waldow und hielt sich meist in Dresden auf. Vom Jahre 1862 an durch ein Gehirnleiden in seinen geistigen Fähigkeiten mehr und mehr gelähmt, starb er im Irrsinn auf dem Gute Dannenwalde in Mecklenburg-Strelitz am 24. Aug. 1868.

Sternberg ist der Schule Tieck's niemals ganz entwachsen, und in so mancherlei Stoffen er sich versucht hat, ist es ihm so wenig, wie seinem Meister, gelungen, seinen oft geistreich erfundenen Figuren volle Lebenskraft einzuhauchen. Das leichtbewegliche Spiel seiner Phantasie bringt es selten zu wahrhafter Illusion, und seltner noch scheint es ihm mit den sittlichen Motiven rechter Ernst zu sein; so ist denn auch sein Stil, bei aller scheinbaren Gewandtheit, im Grunde

Alexander Freiherr von Ungern-Sternberg, geb. den 10. April 1806 auf dem Gute Noistser bei Reval in Esthland, wo sein Vater Landrath war, wurde nach dem Tode desselben, von einem Oheim in Dorpat erzogen, besuchte dort das Gymnasium und die Universität, auf der er sich mit der Jurisprudenz, die er studieren sollte, wenig beschäftigte Im Jahre 1829 ging er nach Petersburg, um sich nach dem Wunsche seines Oheims für eine Staatsanstellung vorzubereiten. Das Mißbehagen an den dortigen Verhältnissen und seine Unkenntniß des Russischen vereitelte diesen Plan. Von der Kaiserin, die sich für sein bedeutendes Zeichentalent interessirte. zum Zwecke künstlerischer Ausbildung unterstützt, begab er sich 1830 nach Dresden. Die von der Bekanntschaft mit Tieck erhaltenen Anregungen führten ihn zur literarischen Production, gegen welche die Uebung des anderen Talents mehr und mehr zurücktrat (eine Probe desselben erschien 1848 in seinen Illustrationen zu „Tutu“). 1831 reiste er nach Süddeutschland, hielt sich 1832 in Stuttgart auf, wo durch G. Schwab's Vermittlung seine Novellen „die Zerrissenen“, die Fortsetzung derselben „Eduard“ (1833), „Lessing“ (1834) und „Molière“ (1834) im Cotta'schen Verlage erschienen. Von Stuttgart siedelte er nach Mannheim über, zu dreijährigem Aufenthalt, kehrte nach Stuttgart zurück (Bekanntschaft mit Lenau) und wandte sich dann wieder dem Norden zu, wo er Berlin endlich zu seinem dauernden Wohnsitz wählte. Zu Anfang der 50er Jahre verheirathete er sich mit einem Fräulein von Waldow und hielt sich meist in Dresden auf. Vom Jahre 1862 an durch ein Gehirnleiden in seinen geistigen Fähigkeiten mehr und mehr gelähmt, starb er im Irrsinn auf dem Gute Dannenwalde in Mecklenburg-Strelitz am 24. Aug. 1868.

Sternberg ist der Schule Tieck's niemals ganz entwachsen, und in so mancherlei Stoffen er sich versucht hat, ist es ihm so wenig, wie seinem Meister, gelungen, seinen oft geistreich erfundenen Figuren volle Lebenskraft einzuhauchen. Das leichtbewegliche Spiel seiner Phantasie bringt es selten zu wahrhafter Illusion, und seltner noch scheint es ihm mit den sittlichen Motiven rechter Ernst zu sein; so ist denn auch sein Stil, bei aller scheinbaren Gewandtheit, im Grunde

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[0005] Alexander Freiherr von Ungern-Sternberg, geb. den 10. April 1806 auf dem Gute Noistser bei Reval in Esthland, wo sein Vater Landrath war, wurde nach dem Tode desselben, von einem Oheim in Dorpat erzogen, besuchte dort das Gymnasium und die Universität, auf der er sich mit der Jurisprudenz, die er studieren sollte, wenig beschäftigte Im Jahre 1829 ging er nach Petersburg, um sich nach dem Wunsche seines Oheims für eine Staatsanstellung vorzubereiten. Das Mißbehagen an den dortigen Verhältnissen und seine Unkenntniß des Russischen vereitelte diesen Plan. Von der Kaiserin, die sich für sein bedeutendes Zeichentalent interessirte. zum Zwecke künstlerischer Ausbildung unterstützt, begab er sich 1830 nach Dresden. Die von der Bekanntschaft mit Tieck erhaltenen Anregungen führten ihn zur literarischen Production, gegen welche die Uebung des anderen Talents mehr und mehr zurücktrat (eine Probe desselben erschien 1848 in seinen Illustrationen zu „Tutu“). 1831 reiste er nach Süddeutschland, hielt sich 1832 in Stuttgart auf, wo durch G. Schwab's Vermittlung seine Novellen „die Zerrissenen“, die Fortsetzung derselben „Eduard“ (1833), „Lessing“ (1834) und „Molière“ (1834) im Cotta'schen Verlage erschienen. Von Stuttgart siedelte er nach Mannheim über, zu dreijährigem Aufenthalt, kehrte nach Stuttgart zurück (Bekanntschaft mit Lenau) und wandte sich dann wieder dem Norden zu, wo er Berlin endlich zu seinem dauernden Wohnsitz wählte. Zu Anfang der 50er Jahre verheirathete er sich mit einem Fräulein von Waldow und hielt sich meist in Dresden auf. Vom Jahre 1862 an durch ein Gehirnleiden in seinen geistigen Fähigkeiten mehr und mehr gelähmt, starb er im Irrsinn auf dem Gute Dannenwalde in Mecklenburg-Strelitz am 24. Aug. 1868. Sternberg ist der Schule Tieck's niemals ganz entwachsen, und in so mancherlei Stoffen er sich versucht hat, ist es ihm so wenig, wie seinem Meister, gelungen, seinen oft geistreich erfundenen Figuren volle Lebenskraft einzuhauchen. Das leichtbewegliche Spiel seiner Phantasie bringt es selten zu wahrhafter Illusion, und seltner noch scheint es ihm mit den sittlichen Motiven rechter Ernst zu sein; so ist denn auch sein Stil, bei aller scheinbaren Gewandtheit, im Grunde

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:43:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:43:38Z)

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Zitationshilfe: Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910/5>, abgerufen am 19.04.2024.