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Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.

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3 Abschn. der Nerven. Die sinnl. Vorstellungen.
sie bald die Fertigkeit, sich einige dieser Merkmaale eigen-
mächtig vorzustellen, ob sie es gleich nie dahin bringen kann,
ohne Beystand eines äußern sinnlichen Eindrucks eine äuße-
re Empfindung vollständig zu erneuren. §. 35. Oder,
man stelle sich dieses von einer andern Seite so vor: Wenn
die thierische Seelenkraft des Gehirns durch mancherley
materielle äußere Empfindungen von äußern sinnlichen Ein-
drücken, welche, da sie aus so vielen Merkmalen bestehen,
sehr zusammengesetzte Bewegungen in ihm seyn müssen,
§. 26. öfters in Wirkung gesetzet worden, so erneuert sie
durch den innern thierischen Mechanismum des Gehirn-
marks und durch den Reiz der eigenmächtig wirkenden Vor-
stellungskraft diese materiellen äußern Empfindungen zum
Theil wieder, ob sie dieselben gleich nie ohne den Beystand
des äußern sinnlichen Eindrucks vollständig hervorbringen
kann. Diese eigenmächtigen Vorstellungen, die nichts an-
ders als unvollständige äußere Empfindungen sind, werden,
in so fern sie zu ehemaligen äußern Empfindungen gehören,
Einbildungen, und in so fern sie zu künftigen gehören
können, Vorhersehungen genennet. Es ist natürlich, daß,
so bald die Vorstellungskraft durch die äußern Empfindun-
gen den Grad der Vollkommenheit erlangt hat, daß sie sich
selbst Einbildungen und Vorhersehungen formiren kann,
sie durch jede neue äußere Empfindung, die etwas mit einer
vorigen gemein hat, (die die materielle Jdee von einem
ehemaligen andern äußern sinnlichen Eindrucke einigerma-
ßen wieder rege machet,) veranlasset werden, sich die vorige
äußere Empfindung so vollständig, als sie es ohne den ehe-
maligen äußern sinnlichen Eindruck derselben vermag, wie-
der vorzustellen, und die thierische Seelenkraft des Gehirns
mit bestimme, auch jene materielle äußere Empfindung so
vollständig wieder zu erneuren, als es ohne den ganzen ehe-
maligen äußern sinnlichen Eindruck, wovon im gegenwär-
tigen ähnlichen nur einige Theile sind, geschehen kann.
Diejenigen eigenmächtigen Vorstellungen nun, welche auf
die itztbeschriebene Weise unmittelbar oder zu allernächst

durch
F

3 Abſchn. der Nerven. Die ſinnl. Vorſtellungen.
ſie bald die Fertigkeit, ſich einige dieſer Merkmaale eigen-
maͤchtig vorzuſtellen, ob ſie es gleich nie dahin bringen kann,
ohne Beyſtand eines aͤußern ſinnlichen Eindrucks eine aͤuße-
re Empfindung vollſtaͤndig zu erneuren. §. 35. Oder,
man ſtelle ſich dieſes von einer andern Seite ſo vor: Wenn
die thieriſche Seelenkraft des Gehirns durch mancherley
materielle aͤußere Empfindungen von aͤußern ſinnlichen Ein-
druͤcken, welche, da ſie aus ſo vielen Merkmalen beſtehen,
ſehr zuſammengeſetzte Bewegungen in ihm ſeyn muͤſſen,
§. 26. oͤfters in Wirkung geſetzet worden, ſo erneuert ſie
durch den innern thieriſchen Mechanismum des Gehirn-
marks und durch den Reiz der eigenmaͤchtig wirkenden Vor-
ſtellungskraft dieſe materiellen aͤußern Empfindungen zum
Theil wieder, ob ſie dieſelben gleich nie ohne den Beyſtand
des aͤußern ſinnlichen Eindrucks vollſtaͤndig hervorbringen
kann. Dieſe eigenmaͤchtigen Vorſtellungen, die nichts an-
ders als unvollſtaͤndige aͤußere Empfindungen ſind, werden,
in ſo fern ſie zu ehemaligen aͤußern Empfindungen gehoͤren,
Einbildungen, und in ſo fern ſie zu kuͤnftigen gehoͤren
koͤnnen, Vorherſehungen genennet. Es iſt natuͤrlich, daß,
ſo bald die Vorſtellungskraft durch die aͤußern Empfindun-
gen den Grad der Vollkommenheit erlangt hat, daß ſie ſich
ſelbſt Einbildungen und Vorherſehungen formiren kann,
ſie durch jede neue aͤußere Empfindung, die etwas mit einer
vorigen gemein hat, (die die materielle Jdee von einem
ehemaligen andern aͤußern ſinnlichen Eindrucke einigerma-
ßen wieder rege machet,) veranlaſſet werden, ſich die vorige
aͤußere Empfindung ſo vollſtaͤndig, als ſie es ohne den ehe-
maligen aͤußern ſinnlichen Eindruck derſelben vermag, wie-
der vorzuſtellen, und die thieriſche Seelenkraft des Gehirns
mit beſtimme, auch jene materielle aͤußere Empfindung ſo
vollſtaͤndig wieder zu erneuren, als es ohne den ganzen ehe-
maligen aͤußern ſinnlichen Eindruck, wovon im gegenwaͤr-
tigen aͤhnlichen nur einige Theile ſind, geſchehen kann.
Diejenigen eigenmaͤchtigen Vorſtellungen nun, welche auf
die itztbeſchriebene Weiſe unmittelbar oder zu allernaͤchſt

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[81/0105] 3 Abſchn. der Nerven. Die ſinnl. Vorſtellungen. ſie bald die Fertigkeit, ſich einige dieſer Merkmaale eigen- maͤchtig vorzuſtellen, ob ſie es gleich nie dahin bringen kann, ohne Beyſtand eines aͤußern ſinnlichen Eindrucks eine aͤuße- re Empfindung vollſtaͤndig zu erneuren. §. 35. Oder, man ſtelle ſich dieſes von einer andern Seite ſo vor: Wenn die thieriſche Seelenkraft des Gehirns durch mancherley materielle aͤußere Empfindungen von aͤußern ſinnlichen Ein- druͤcken, welche, da ſie aus ſo vielen Merkmalen beſtehen, ſehr zuſammengeſetzte Bewegungen in ihm ſeyn muͤſſen, §. 26. oͤfters in Wirkung geſetzet worden, ſo erneuert ſie durch den innern thieriſchen Mechanismum des Gehirn- marks und durch den Reiz der eigenmaͤchtig wirkenden Vor- ſtellungskraft dieſe materiellen aͤußern Empfindungen zum Theil wieder, ob ſie dieſelben gleich nie ohne den Beyſtand des aͤußern ſinnlichen Eindrucks vollſtaͤndig hervorbringen kann. Dieſe eigenmaͤchtigen Vorſtellungen, die nichts an- ders als unvollſtaͤndige aͤußere Empfindungen ſind, werden, in ſo fern ſie zu ehemaligen aͤußern Empfindungen gehoͤren, Einbildungen, und in ſo fern ſie zu kuͤnftigen gehoͤren koͤnnen, Vorherſehungen genennet. Es iſt natuͤrlich, daß, ſo bald die Vorſtellungskraft durch die aͤußern Empfindun- gen den Grad der Vollkommenheit erlangt hat, daß ſie ſich ſelbſt Einbildungen und Vorherſehungen formiren kann, ſie durch jede neue aͤußere Empfindung, die etwas mit einer vorigen gemein hat, (die die materielle Jdee von einem ehemaligen andern aͤußern ſinnlichen Eindrucke einigerma- ßen wieder rege machet,) veranlaſſet werden, ſich die vorige aͤußere Empfindung ſo vollſtaͤndig, als ſie es ohne den ehe- maligen aͤußern ſinnlichen Eindruck derſelben vermag, wie- der vorzuſtellen, und die thieriſche Seelenkraft des Gehirns mit beſtimme, auch jene materielle aͤußere Empfindung ſo vollſtaͤndig wieder zu erneuren, als es ohne den ganzen ehe- maligen aͤußern ſinnlichen Eindruck, wovon im gegenwaͤr- tigen aͤhnlichen nur einige Theile ſind, geſchehen kann. Diejenigen eigenmaͤchtigen Vorſtellungen nun, welche auf die itztbeſchriebene Weiſe unmittelbar oder zu allernaͤchſt durch F

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Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/105>, abgerufen am 29.04.2024.