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Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.

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3 Abschn. der Nerven. Wirk. d. mat. Jdeen etc.
anzeigen lassen, erhält diese Meynung, von zweyerley Ar-
ten der Nervenfaden in einem Nerven, die für die entge-
gengesetzten sinnlichen Eindrücke in die Nervenspitzen und
in ihre Ursprünge im Gehirne bestimmet sind, eine natür-
liche Glaubwürdigkeit, die sie würdig machet, daß man
ihr alle mögliche Aufmerksamkeit schenke. Jch werde mich
ihrer indessen in dieser Schrift nie anders, als einer bloßen
Meynung bedienen, um das Wahre vom Wahrscheinli-
chen überall abzusondern.

Anmerkung. Der Herr v. Haller scheint zwar
nicht von dieser Meynung eingenommen zu seyn, ob er
gleich selbst für wahrscheinlich hält, "daß ein Theil der
"Lebensgeister wieder zurückgesogen werde: damit dieser
"so nothwendige Saft nicht allzugeschwind verfliege;"
H. P. §. 385. gleichwohl aber ist doch das, was er da-
gegen erinnert, von weniger Erheblichkeit: "Röhrchen
"von zweyerley Art an einem und eben demselben Ner-
"ven können wenigstens unsre Sinnen nicht unterschei-
"den, indem uns alle Nervenschnüre einander gleich und
"ähnlich zu seyn scheinen." (Aus solch einem Grunde
dürfte man gar keine Lebensgeister glauben, die auch
nicht in die Sinne fallen.) "So hat auch das Mark
"des Gehirns nichts Ungleichartiges an sich, um von ei-
"nem verschiedenen Baue verschiedene Verrichtungen er-
"warten zu können." (Gleichwohl hat doch gewiß das
Hirnmark höchst verschiedene Verrichtungen, wenn äus-
sere sinnliche Eindrücke in ihm materielle Jdeen erregen,
und wann ihm der Wille Eindrücke giebt, wodurch es
die Glieder beweget, und auch wann dieses Beydes ver-
mittelst einerley Nervens zu einer und eben derselben
Zeit geschieht. Sollte man übrigens wohl aus dem
Baue des Herzens in allen Thieren den Umlauf durch
zweyerley Blutgefäße errathen, wenn man sonst keine
Anzeigen davon wüßte?) "Und so scheinen auch die al-
"lerkleinsten Nervenzweige, z. E. die Nerven des Re-
"genbogens im Auge, nicht allein zu empfinden, welches

"sich

3 Abſchn. der Nerven. Wirk. d. mat. Jdeen ꝛc.
anzeigen laſſen, erhaͤlt dieſe Meynung, von zweyerley Ar-
ten der Nervenfaden in einem Nerven, die fuͤr die entge-
gengeſetzten ſinnlichen Eindruͤcke in die Nervenſpitzen und
in ihre Urſpruͤnge im Gehirne beſtimmet ſind, eine natuͤr-
liche Glaubwuͤrdigkeit, die ſie wuͤrdig machet, daß man
ihr alle moͤgliche Aufmerkſamkeit ſchenke. Jch werde mich
ihrer indeſſen in dieſer Schrift nie anders, als einer bloßen
Meynung bedienen, um das Wahre vom Wahrſcheinli-
chen uͤberall abzuſondern.

Anmerkung. Der Herr v. Haller ſcheint zwar
nicht von dieſer Meynung eingenommen zu ſeyn, ob er
gleich ſelbſt fuͤr wahrſcheinlich haͤlt, „daß ein Theil der
„Lebensgeiſter wieder zuruͤckgeſogen werde: damit dieſer
„ſo nothwendige Saft nicht allzugeſchwind verfliege;“
H. P. §. 385. gleichwohl aber iſt doch das, was er da-
gegen erinnert, von weniger Erheblichkeit: „Roͤhrchen
„von zweyerley Art an einem und eben demſelben Ner-
„ven koͤnnen wenigſtens unſre Sinnen nicht unterſchei-
„den, indem uns alle Nervenſchnuͤre einander gleich und
„aͤhnlich zu ſeyn ſcheinen.“ (Aus ſolch einem Grunde
duͤrfte man gar keine Lebensgeiſter glauben, die auch
nicht in die Sinne fallen.) „So hat auch das Mark
„des Gehirns nichts Ungleichartiges an ſich, um von ei-
„nem verſchiedenen Baue verſchiedene Verrichtungen er-
„warten zu koͤnnen.“ (Gleichwohl hat doch gewiß das
Hirnmark hoͤchſt verſchiedene Verrichtungen, wenn aͤuſ-
ſere ſinnliche Eindruͤcke in ihm materielle Jdeen erregen,
und wann ihm der Wille Eindruͤcke giebt, wodurch es
die Glieder beweget, und auch wann dieſes Beydes ver-
mittelſt einerley Nervens zu einer und eben derſelben
Zeit geſchieht. Sollte man uͤbrigens wohl aus dem
Baue des Herzens in allen Thieren den Umlauf durch
zweyerley Blutgefaͤße errathen, wenn man ſonſt keine
Anzeigen davon wuͤßte?) „Und ſo ſcheinen auch die al-
„lerkleinſten Nervenzweige, z. E. die Nerven des Re-
„genbogens im Auge, nicht allein zu empfinden, welches

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[123/0147] 3 Abſchn. der Nerven. Wirk. d. mat. Jdeen ꝛc. anzeigen laſſen, erhaͤlt dieſe Meynung, von zweyerley Ar- ten der Nervenfaden in einem Nerven, die fuͤr die entge- gengeſetzten ſinnlichen Eindruͤcke in die Nervenſpitzen und in ihre Urſpruͤnge im Gehirne beſtimmet ſind, eine natuͤr- liche Glaubwuͤrdigkeit, die ſie wuͤrdig machet, daß man ihr alle moͤgliche Aufmerkſamkeit ſchenke. Jch werde mich ihrer indeſſen in dieſer Schrift nie anders, als einer bloßen Meynung bedienen, um das Wahre vom Wahrſcheinli- chen uͤberall abzuſondern. Anmerkung. Der Herr v. Haller ſcheint zwar nicht von dieſer Meynung eingenommen zu ſeyn, ob er gleich ſelbſt fuͤr wahrſcheinlich haͤlt, „daß ein Theil der „Lebensgeiſter wieder zuruͤckgeſogen werde: damit dieſer „ſo nothwendige Saft nicht allzugeſchwind verfliege;“ H. P. §. 385. gleichwohl aber iſt doch das, was er da- gegen erinnert, von weniger Erheblichkeit: „Roͤhrchen „von zweyerley Art an einem und eben demſelben Ner- „ven koͤnnen wenigſtens unſre Sinnen nicht unterſchei- „den, indem uns alle Nervenſchnuͤre einander gleich und „aͤhnlich zu ſeyn ſcheinen.“ (Aus ſolch einem Grunde duͤrfte man gar keine Lebensgeiſter glauben, die auch nicht in die Sinne fallen.) „So hat auch das Mark „des Gehirns nichts Ungleichartiges an ſich, um von ei- „nem verſchiedenen Baue verſchiedene Verrichtungen er- „warten zu koͤnnen.“ (Gleichwohl hat doch gewiß das Hirnmark hoͤchſt verſchiedene Verrichtungen, wenn aͤuſ- ſere ſinnliche Eindruͤcke in ihm materielle Jdeen erregen, und wann ihm der Wille Eindruͤcke giebt, wodurch es die Glieder beweget, und auch wann dieſes Beydes ver- mittelſt einerley Nervens zu einer und eben derſelben Zeit geſchieht. Sollte man uͤbrigens wohl aus dem Baue des Herzens in allen Thieren den Umlauf durch zweyerley Blutgefaͤße errathen, wenn man ſonſt keine Anzeigen davon wuͤßte?) „Und ſo ſcheinen auch die al- „lerkleinſten Nervenzweige, z. E. die Nerven des Re- „genbogens im Auge, nicht allein zu empfinden, welches „ſich

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Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/147>, abgerufen am 02.05.2024.