Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite

I Th. Thier. Seelenkr. 2 Kap. An sich betr.
Man soll z. E. die steif ausgestreckten vier langen Finger
an einer Hand, die man alle viere mit leichter Mühe in die-
ser Stellung auseinander breiten kann, so theilen, daß die
zween äußersten an jeder Seite fest aneinander geschlossen
bleiben, in der Mitte aber sich voneinander thun, und
doch in steifer und horizontaler Richtung gehalten werden.
Dieß ist den meisten Menschen im Anfange unmöglich.
Warum kann diese Seelenwirkung nicht erfolgen? Die
Vorstellung, der Entschluß, es zu thun, ist da, mithin
auch die materielle Jdee dazu. §. 25. Der Ursprung des
Nerven empfängt auch davon den sinnlichen Eindruck im
Gehirne, und er pflanzet sich bis in die Fingerzweige des
Nerven fort: denn alle Finger regen sich sogleich. Gleich-
wohl können sie diese besondre Bewegung nicht leisten. An
den mechanischen Maschinen, den Muskeln, in welche die
Nervenzweige dringen, liegt es auch nicht: denn sie regen
alle ihre Finger, ja sie können, nach oft wiederholten Ver-
suchen, endlich die verlangte Bewegung wirklich machen.
Es mußte also anfänglich eine natürliche Hinderniß vor-
handen seyn, warum der bis zu den Fingern fortgepflan-
zete sinnliche Eindruck der Vorstellung ins Gehirn diese
Seelenwirkung derselben gleichwohl nicht hervorbringen
konnte. Diese Hinderniß mußte den Eindruck abhalten,
sich, so wie es nöthig war, in die Zweige der Finger fortzu-
pflanzen, und zu dieser Hinderniß ist kein Ort wahrschein-
licher, als da, wo sich die Fingerzweige vom Stamme des
Nerven des Arms absondern. Hier muß es seyn, wo er
falsch in die Zweige der Fingernerven eindringt, und der
Wirkung verfehlet, weil er eben hier von seiner vorigen
Richtung abweichen muß. §. 13. 14. Nach mehrern
Versuchen bewerkstelliget derselbe Gedanke dieselbe Bewe-
gung vollkommen, und die Hinderniß, welche zuvor den
sinnlichen Eindruck vom Gehirne, bey der Scheidung der
Zweige vom Stamme, falsch leitete, ist gehoben. So ist
es mit allen andern künstlichen Bewegungen, die man erst
durch Uebung machen lernet, wofern sie nicht etwa zum

folgen-

I Th. Thier. Seelenkr. 2 Kap. An ſich betr.
Man ſoll z. E. die ſteif ausgeſtreckten vier langen Finger
an einer Hand, die man alle viere mit leichter Muͤhe in die-
ſer Stellung auseinander breiten kann, ſo theilen, daß die
zween aͤußerſten an jeder Seite feſt aneinander geſchloſſen
bleiben, in der Mitte aber ſich voneinander thun, und
doch in ſteifer und horizontaler Richtung gehalten werden.
Dieß iſt den meiſten Menſchen im Anfange unmoͤglich.
Warum kann dieſe Seelenwirkung nicht erfolgen? Die
Vorſtellung, der Entſchluß, es zu thun, iſt da, mithin
auch die materielle Jdee dazu. §. 25. Der Urſprung des
Nerven empfaͤngt auch davon den ſinnlichen Eindruck im
Gehirne, und er pflanzet ſich bis in die Fingerzweige des
Nerven fort: denn alle Finger regen ſich ſogleich. Gleich-
wohl koͤnnen ſie dieſe beſondre Bewegung nicht leiſten. An
den mechaniſchen Maſchinen, den Muskeln, in welche die
Nervenzweige dringen, liegt es auch nicht: denn ſie regen
alle ihre Finger, ja ſie koͤnnen, nach oft wiederholten Ver-
ſuchen, endlich die verlangte Bewegung wirklich machen.
Es mußte alſo anfaͤnglich eine natuͤrliche Hinderniß vor-
handen ſeyn, warum der bis zu den Fingern fortgepflan-
zete ſinnliche Eindruck der Vorſtellung ins Gehirn dieſe
Seelenwirkung derſelben gleichwohl nicht hervorbringen
konnte. Dieſe Hinderniß mußte den Eindruck abhalten,
ſich, ſo wie es noͤthig war, in die Zweige der Finger fortzu-
pflanzen, und zu dieſer Hinderniß iſt kein Ort wahrſchein-
licher, als da, wo ſich die Fingerzweige vom Stamme des
Nerven des Arms abſondern. Hier muß es ſeyn, wo er
falſch in die Zweige der Fingernerven eindringt, und der
Wirkung verfehlet, weil er eben hier von ſeiner vorigen
Richtung abweichen muß. §. 13. 14. Nach mehrern
Verſuchen bewerkſtelliget derſelbe Gedanke dieſelbe Bewe-
gung vollkommen, und die Hinderniß, welche zuvor den
ſinnlichen Eindruck vom Gehirne, bey der Scheidung der
Zweige vom Stamme, falſch leitete, iſt gehoben. So iſt
es mit allen andern kuͤnſtlichen Bewegungen, die man erſt
durch Uebung machen lernet, wofern ſie nicht etwa zum

folgen-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0158" n="134"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">I</hi> Th. Thier. Seelenkr. 2 Kap. An &#x017F;ich betr.</hi></fw><lb/>
Man &#x017F;oll z. E. die &#x017F;teif ausge&#x017F;treckten vier langen Finger<lb/>
an einer Hand, die man alle viere mit leichter Mu&#x0364;he in die-<lb/>
&#x017F;er Stellung auseinander breiten kann, &#x017F;o theilen, daß die<lb/>
zween a&#x0364;ußer&#x017F;ten an jeder Seite fe&#x017F;t aneinander ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en<lb/>
bleiben, in der Mitte aber &#x017F;ich voneinander thun, und<lb/>
doch in &#x017F;teifer und horizontaler Richtung gehalten werden.<lb/>
Dieß i&#x017F;t den mei&#x017F;ten Men&#x017F;chen im Anfange unmo&#x0364;glich.<lb/>
Warum kann die&#x017F;e Seelenwirkung nicht erfolgen? Die<lb/>
Vor&#x017F;tellung, der Ent&#x017F;chluß, es zu thun, i&#x017F;t da, mithin<lb/>
auch die materielle Jdee dazu. §. 25. Der Ur&#x017F;prung des<lb/>
Nerven empfa&#x0364;ngt auch davon den &#x017F;innlichen Eindruck im<lb/>
Gehirne, und er pflanzet &#x017F;ich bis in die Fingerzweige des<lb/>
Nerven fort: denn alle Finger regen &#x017F;ich &#x017F;ogleich. Gleich-<lb/>
wohl ko&#x0364;nnen &#x017F;ie die&#x017F;e be&#x017F;ondre Bewegung nicht lei&#x017F;ten. An<lb/>
den mechani&#x017F;chen Ma&#x017F;chinen, den Muskeln, in welche die<lb/>
Nervenzweige dringen, liegt es auch nicht: denn &#x017F;ie regen<lb/>
alle ihre Finger, ja &#x017F;ie ko&#x0364;nnen, nach oft wiederholten Ver-<lb/>
&#x017F;uchen, endlich die verlangte Bewegung wirklich machen.<lb/>
Es mußte al&#x017F;o anfa&#x0364;nglich eine natu&#x0364;rliche Hinderniß vor-<lb/>
handen &#x017F;eyn, warum der bis zu den Fingern fortgepflan-<lb/>
zete &#x017F;innliche Eindruck der Vor&#x017F;tellung ins Gehirn die&#x017F;e<lb/>
Seelenwirkung der&#x017F;elben gleichwohl nicht hervorbringen<lb/>
konnte. Die&#x017F;e Hinderniß mußte den Eindruck abhalten,<lb/>
&#x017F;ich, &#x017F;o wie es no&#x0364;thig war, in die Zweige der Finger fortzu-<lb/>
pflanzen, und zu die&#x017F;er Hinderniß i&#x017F;t kein Ort wahr&#x017F;chein-<lb/>
licher, als da, wo &#x017F;ich die Fingerzweige vom Stamme des<lb/>
Nerven des Arms ab&#x017F;ondern. Hier muß es &#x017F;eyn, wo er<lb/>
fal&#x017F;ch in die Zweige der Fingernerven eindringt, und der<lb/>
Wirkung verfehlet, weil er eben hier von &#x017F;einer vorigen<lb/>
Richtung abweichen muß. §. 13. 14. Nach mehrern<lb/>
Ver&#x017F;uchen bewerk&#x017F;telliget der&#x017F;elbe Gedanke die&#x017F;elbe Bewe-<lb/>
gung vollkommen, und die Hinderniß, welche zuvor den<lb/>
&#x017F;innlichen Eindruck vom Gehirne, bey der Scheidung der<lb/>
Zweige vom Stamme, fal&#x017F;ch leitete, i&#x017F;t gehoben. So i&#x017F;t<lb/>
es mit allen andern ku&#x0364;n&#x017F;tlichen Bewegungen, die man er&#x017F;t<lb/>
durch Uebung machen lernet, wofern &#x017F;ie nicht etwa zum<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">folgen-</fw><lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[134/0158] I Th. Thier. Seelenkr. 2 Kap. An ſich betr. Man ſoll z. E. die ſteif ausgeſtreckten vier langen Finger an einer Hand, die man alle viere mit leichter Muͤhe in die- ſer Stellung auseinander breiten kann, ſo theilen, daß die zween aͤußerſten an jeder Seite feſt aneinander geſchloſſen bleiben, in der Mitte aber ſich voneinander thun, und doch in ſteifer und horizontaler Richtung gehalten werden. Dieß iſt den meiſten Menſchen im Anfange unmoͤglich. Warum kann dieſe Seelenwirkung nicht erfolgen? Die Vorſtellung, der Entſchluß, es zu thun, iſt da, mithin auch die materielle Jdee dazu. §. 25. Der Urſprung des Nerven empfaͤngt auch davon den ſinnlichen Eindruck im Gehirne, und er pflanzet ſich bis in die Fingerzweige des Nerven fort: denn alle Finger regen ſich ſogleich. Gleich- wohl koͤnnen ſie dieſe beſondre Bewegung nicht leiſten. An den mechaniſchen Maſchinen, den Muskeln, in welche die Nervenzweige dringen, liegt es auch nicht: denn ſie regen alle ihre Finger, ja ſie koͤnnen, nach oft wiederholten Ver- ſuchen, endlich die verlangte Bewegung wirklich machen. Es mußte alſo anfaͤnglich eine natuͤrliche Hinderniß vor- handen ſeyn, warum der bis zu den Fingern fortgepflan- zete ſinnliche Eindruck der Vorſtellung ins Gehirn dieſe Seelenwirkung derſelben gleichwohl nicht hervorbringen konnte. Dieſe Hinderniß mußte den Eindruck abhalten, ſich, ſo wie es noͤthig war, in die Zweige der Finger fortzu- pflanzen, und zu dieſer Hinderniß iſt kein Ort wahrſchein- licher, als da, wo ſich die Fingerzweige vom Stamme des Nerven des Arms abſondern. Hier muß es ſeyn, wo er falſch in die Zweige der Fingernerven eindringt, und der Wirkung verfehlet, weil er eben hier von ſeiner vorigen Richtung abweichen muß. §. 13. 14. Nach mehrern Verſuchen bewerkſtelliget derſelbe Gedanke dieſelbe Bewe- gung vollkommen, und die Hinderniß, welche zuvor den ſinnlichen Eindruck vom Gehirne, bey der Scheidung der Zweige vom Stamme, falſch leitete, iſt gehoben. So iſt es mit allen andern kuͤnſtlichen Bewegungen, die man erſt durch Uebung machen lernet, wofern ſie nicht etwa zum folgen-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/158
Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/158>, abgerufen am 30.04.2024.