Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.

Bild:

<< vorherige Seite

nächste Seite >>

1 Abschn. überhaupt.

"entblößten Nerven gelangete bis zu den Augenbraunen, er
"ergriff die Mitte des Kopfs, den Rücken, und da der An-
"fall den untersten Theil des Rückens erreichete, so folgeten
"Ohnmachten darauf. Jn der Bleycolick läuft der Schmerz
"schnell von den Armen und Füßen zum Kopf und zu den
"Gedärmen fort, er nimmt hier heftig zu, und kehret dar-
"auf wieder nach den Gliedmaßen zurück. Vieußens hat
"gesehen, daß der Krampf an den Muskeln des Fußes all-
"mählig dergestalt heftig ward, daß gleichsam die Fluth
"der schädlichen Materie von da mitten durch das Rücken-
"mark hindurchlief, und sogar die Sinnen benahm, wenn
"sie den Kopf erreichete; es erfolgete davon ein Schlaf, und
"sogar ein Krampf an den Muskeln, welche zum Athem-
"holen dienen. Das schwere Gebrechen äußert sich oft mit
"solchen Empfindungen, als ob die reizende Ursache nach
"und nach aus dem Fuße, aus dem kleinsten Finger, aus
"den Augen, aus dem Gedärme, besonders vom Nagen
"der Darmwürmer, ausgienge. Man hat die Epilepsie
"geheilet, als man eine Art von Nervenknoten, an einem
"Nerven neben dem untern Theile der großen Wadenmus-
"keln durchschnitte, und da man mit einem Schnitte das
"Fleisch an der Schienröhre bis auf den Knochen zerthei-
"lete, welches auch durchs Schröpfen und die Fontanellen
"bewirket worden. Einige Unempfindlichkeit am Hypo-
"chondrio nahm allmählig zu und breitete sich über die linke
"Seite aus. Endlich stießen Krämpfe dazu: da man aber
"bey der ersten Empfindung des Anfalls ein Band umleg-
"te, so hörete das Uebel auf. Ein Reiz, welcher von den
"Füßen über sich in die Höhe stieg, und eine Epilepsie her-
"vorbrachte, konnte durch ein Band um die Kniekehle ge-
"hemmet werden. Durch warme Bäder hat sich zuweilen
"die Krankheit in den Arm oder Fuß gezogen. Derglei-
"chen Wanderungen der Reize in den Nerven kann der
"Kranke bisweilen mit dem Finger verfolgen." H. gr. P.
4 B. 10 B. 7 Abschn. §. 30. Daß dergleichen Zufälle
von gleichen Ursachen, auch nach dem Unterbinden der

Nerven,

1 Abſchn. uͤberhaupt.

„entbloͤßten Nerven gelangete bis zu den Augenbraunen, er
„ergriff die Mitte des Kopfs, den Ruͤcken, und da der An-
„fall den unterſten Theil des Ruͤckens erreichete, ſo folgeten
„Ohnmachten darauf. Jn der Bleycolick laͤuft der Schmerz
„ſchnell von den Armen und Fuͤßen zum Kopf und zu den
„Gedaͤrmen fort, er nimmt hier heftig zu, und kehret dar-
„auf wieder nach den Gliedmaßen zuruͤck. Vieußens hat
„geſehen, daß der Krampf an den Muskeln des Fußes all-
„maͤhlig dergeſtalt heftig ward, daß gleichſam die Fluth
„der ſchaͤdlichen Materie von da mitten durch das Ruͤcken-
„mark hindurchlief, und ſogar die Sinnen benahm, wenn
„ſie den Kopf erreichete; es erfolgete davon ein Schlaf, und
„ſogar ein Krampf an den Muskeln, welche zum Athem-
„holen dienen. Das ſchwere Gebrechen aͤußert ſich oft mit
„ſolchen Empfindungen, als ob die reizende Urſache nach
„und nach aus dem Fuße, aus dem kleinſten Finger, aus
„den Augen, aus dem Gedaͤrme, beſonders vom Nagen
„der Darmwuͤrmer, ausgienge. Man hat die Epilepſie
„geheilet, als man eine Art von Nervenknoten, an einem
„Nerven neben dem untern Theile der großen Wadenmus-
„keln durchſchnitte, und da man mit einem Schnitte das
„Fleiſch an der Schienroͤhre bis auf den Knochen zerthei-
„lete, welches auch durchs Schroͤpfen und die Fontanellen
„bewirket worden. Einige Unempfindlichkeit am Hypo-
„chondrio nahm allmaͤhlig zu und breitete ſich uͤber die linke
„Seite aus. Endlich ſtießen Kraͤmpfe dazu: da man aber
„bey der erſten Empfindung des Anfalls ein Band umleg-
„te, ſo hoͤrete das Uebel auf. Ein Reiz, welcher von den
„Fuͤßen uͤber ſich in die Hoͤhe ſtieg, und eine Epilepſie her-
„vorbrachte, konnte durch ein Band um die Kniekehle ge-
„hemmet werden. Durch warme Baͤder hat ſich zuweilen
„die Krankheit in den Arm oder Fuß gezogen. Derglei-
„chen Wanderungen der Reize in den Nerven kann der
„Kranke bisweilen mit dem Finger verfolgen.“ H. gr. P.
4 B. 10 B. 7 Abſchn. §. 30. Daß dergleichen Zufaͤlle
von gleichen Urſachen, auch nach dem Unterbinden der

Nerven,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0439" n="415"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">1 Ab&#x017F;chn. u&#x0364;berhaupt.</hi></fw><lb/>
&#x201E;entblo&#x0364;ßten Nerven gelangete bis zu den Augenbraunen, er<lb/>
&#x201E;ergriff die Mitte des Kopfs, den Ru&#x0364;cken, und da der An-<lb/>
&#x201E;fall den unter&#x017F;ten Theil des Ru&#x0364;ckens erreichete, &#x017F;o folgeten<lb/>
&#x201E;Ohnmachten darauf. Jn der Bleycolick la&#x0364;uft der Schmerz<lb/>
&#x201E;&#x017F;chnell von den Armen und Fu&#x0364;ßen zum Kopf und zu den<lb/>
&#x201E;Geda&#x0364;rmen fort, er nimmt hier heftig zu, und kehret dar-<lb/>
&#x201E;auf wieder nach den Gliedmaßen zuru&#x0364;ck. <hi rendition="#fr">Vieußens</hi> hat<lb/>
&#x201E;ge&#x017F;ehen, daß der Krampf an den Muskeln des Fußes all-<lb/>
&#x201E;ma&#x0364;hlig derge&#x017F;talt heftig ward, daß gleich&#x017F;am die Fluth<lb/>
&#x201E;der &#x017F;cha&#x0364;dlichen Materie von da mitten durch das Ru&#x0364;cken-<lb/>
&#x201E;mark hindurchlief, und &#x017F;ogar die Sinnen benahm, wenn<lb/>
&#x201E;&#x017F;ie den Kopf erreichete; es erfolgete davon ein Schlaf, und<lb/>
&#x201E;&#x017F;ogar ein Krampf an den Muskeln, welche zum Athem-<lb/>
&#x201E;holen dienen. Das &#x017F;chwere Gebrechen a&#x0364;ußert &#x017F;ich oft mit<lb/>
&#x201E;&#x017F;olchen Empfindungen, als ob die reizende Ur&#x017F;ache nach<lb/>
&#x201E;und nach aus dem Fuße, aus dem klein&#x017F;ten Finger, aus<lb/>
&#x201E;den Augen, aus dem Geda&#x0364;rme, be&#x017F;onders vom Nagen<lb/>
&#x201E;der Darmwu&#x0364;rmer, ausgienge. Man hat die Epilep&#x017F;ie<lb/>
&#x201E;geheilet, als man eine Art von Nervenknoten, an einem<lb/>
&#x201E;Nerven neben dem untern Theile der großen Wadenmus-<lb/>
&#x201E;keln durch&#x017F;chnitte, und da man mit einem Schnitte das<lb/>
&#x201E;Flei&#x017F;ch an der Schienro&#x0364;hre bis auf den Knochen zerthei-<lb/>
&#x201E;lete, welches auch durchs Schro&#x0364;pfen und die Fontanellen<lb/>
&#x201E;bewirket worden. Einige Unempfindlichkeit am Hypo-<lb/>
&#x201E;chondrio nahm allma&#x0364;hlig zu und breitete &#x017F;ich u&#x0364;ber die linke<lb/>
&#x201E;Seite aus. Endlich &#x017F;tießen Kra&#x0364;mpfe dazu: da man aber<lb/>
&#x201E;bey der er&#x017F;ten Empfindung des Anfalls ein Band umleg-<lb/>
&#x201E;te, &#x017F;o ho&#x0364;rete das Uebel auf. Ein Reiz, welcher von den<lb/>
&#x201E;Fu&#x0364;ßen u&#x0364;ber &#x017F;ich in die Ho&#x0364;he &#x017F;tieg, und eine Epilep&#x017F;ie her-<lb/>
&#x201E;vorbrachte, konnte durch ein Band um die Kniekehle ge-<lb/>
&#x201E;hemmet werden. Durch warme Ba&#x0364;der hat &#x017F;ich zuweilen<lb/>
&#x201E;die Krankheit in den Arm oder Fuß gezogen. Derglei-<lb/>
&#x201E;chen Wanderungen der Reize in den Nerven kann der<lb/>
&#x201E;Kranke bisweilen mit dem Finger verfolgen.&#x201C; <hi rendition="#aq">H.</hi> gr. <hi rendition="#aq">P.</hi><lb/>
4 B. 10 B. 7 Ab&#x017F;chn. §. 30. Daß dergleichen Zufa&#x0364;lle<lb/>
von gleichen Ur&#x017F;achen, auch nach dem Unterbinden der<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Nerven,</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>

[415/0439] 1 Abſchn. uͤberhaupt. „entbloͤßten Nerven gelangete bis zu den Augenbraunen, er „ergriff die Mitte des Kopfs, den Ruͤcken, und da der An- „fall den unterſten Theil des Ruͤckens erreichete, ſo folgeten „Ohnmachten darauf. Jn der Bleycolick laͤuft der Schmerz „ſchnell von den Armen und Fuͤßen zum Kopf und zu den „Gedaͤrmen fort, er nimmt hier heftig zu, und kehret dar- „auf wieder nach den Gliedmaßen zuruͤck. Vieußens hat „geſehen, daß der Krampf an den Muskeln des Fußes all- „maͤhlig dergeſtalt heftig ward, daß gleichſam die Fluth „der ſchaͤdlichen Materie von da mitten durch das Ruͤcken- „mark hindurchlief, und ſogar die Sinnen benahm, wenn „ſie den Kopf erreichete; es erfolgete davon ein Schlaf, und „ſogar ein Krampf an den Muskeln, welche zum Athem- „holen dienen. Das ſchwere Gebrechen aͤußert ſich oft mit „ſolchen Empfindungen, als ob die reizende Urſache nach „und nach aus dem Fuße, aus dem kleinſten Finger, aus „den Augen, aus dem Gedaͤrme, beſonders vom Nagen „der Darmwuͤrmer, ausgienge. Man hat die Epilepſie „geheilet, als man eine Art von Nervenknoten, an einem „Nerven neben dem untern Theile der großen Wadenmus- „keln durchſchnitte, und da man mit einem Schnitte das „Fleiſch an der Schienroͤhre bis auf den Knochen zerthei- „lete, welches auch durchs Schroͤpfen und die Fontanellen „bewirket worden. Einige Unempfindlichkeit am Hypo- „chondrio nahm allmaͤhlig zu und breitete ſich uͤber die linke „Seite aus. Endlich ſtießen Kraͤmpfe dazu: da man aber „bey der erſten Empfindung des Anfalls ein Band umleg- „te, ſo hoͤrete das Uebel auf. Ein Reiz, welcher von den „Fuͤßen uͤber ſich in die Hoͤhe ſtieg, und eine Epilepſie her- „vorbrachte, konnte durch ein Band um die Kniekehle ge- „hemmet werden. Durch warme Baͤder hat ſich zuweilen „die Krankheit in den Arm oder Fuß gezogen. Derglei- „chen Wanderungen der Reize in den Nerven kann der „Kranke bisweilen mit dem Finger verfolgen.“ H. gr. P. 4 B. 10 B. 7 Abſchn. §. 30. Daß dergleichen Zufaͤlle von gleichen Urſachen, auch nach dem Unterbinden der Nerven,

Suche im Werk

Informationen zum Werk

Titeldaten
Verfügbarkeit Text (TEI-XML-, HTML-, TCF-, E-Book-Fassung): CC BY-SA 4.0.
Nutzungsbedingungen

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ^?

Language Resource Switchboard^?

Resource/URL übermitteln

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk:	https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771
URL zu dieser Seite:	https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/439
Zitationshilfe:	Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 415. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/439>, abgerufen am 27.04.2024.

Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer Creative-Commons-Lizenz. Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken. Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.

Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.

2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften. Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de.

Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.