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Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.

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II Th. Nervenkr. 4 K. Verh. zu den th. Seelenkr.
der thierischen Oeconomie, wodurch sich jede Leidenschaft
von der andern unterscheidet, vermöge des natürlichen Zu-
sammenhangs aller Kräfte des thierischen Körpers, verur-
sachet werden; so können auch diese durch die bloße Nerven-
kraft der äußern sinnlichen Eindrücke, die die Leidenschaft
veranlassen, nicht anders als unter eben der Bedingung er-
setzet werden. So können z. E. die Seelenwirkungen der
Freude, der schnellere, freye Herzschlag, die halb convul-
sivische Bewegung des Zwerchfelles beym Lachen, §. 524.
und jede willkührliche Bewegung der Muskeln beym Tan-
zen, Springen, etc. §. 307. einzeln vollkommen durch die
Nervenkräfte ersetzet werden, wie aus dem, was in den
vorigen Kapiteln erwiesen worden, sattsam erhellet. Sollte
man aber bey den meisten Arten der Freude bis auf ihre
erste veranlassende Empfindung zurückgehen, und aus ihren
äußern sinnlichen Eindrücken allein. z. E. aus den Ner-
venwirkungen des Weins, einer Musik, eines Anblicks,
eines Vortrags, alle diese thierische Bewegungen in der
Ordnung, wie sie daraus Seelenwirkungen der Freude,
Fröhlichkeit etc. werden, und die übrigen Wirkungen dieser
Leidenschaften in der thierischen Oeconomie, z. E. den frey-
ern Umlauf, die vermehrte Ausdünstung der Haut, u. s. w.
auf eben die Weise, wie bey den Trieben geschehen ist, §.
553 -- 561. herleiten; so würde man die Beyspiele da-
von in der Erfahrung gewiß vergeblich suchen, außer in
den Fällen, wo diese Leidenschaften sich, nach der Art wie
der Trieb zum Vergnügen, aufs nächste aus den äußern
Empfindungen dieser äußern sinnlichen Eindrücke entwi-
ckeln: z. E. wenn eine Raupenpuppe, die man in die Son-
ne leget, solche Wendungen und Krümmungen machet, die
sie aus Wollust vom Gefühle der Wärme machen möchte,
oder wenn man ein erstarrt gebornes Kind durch Waschen
mit Weine dahin bringt, daß sich sein Herz reget, das
Zwerchfell auf und nieder beweget, und die Glieder rühren,
gleich als würde es von den erfreuenden Einflüssen des
Weins belebet, oder, wenn ein enthaupteter Schmetterling

durch

II Th. Nervenkr. 4 K. Verh. zu den th. Seelenkr.
der thieriſchen Oeconomie, wodurch ſich jede Leidenſchaft
von der andern unterſcheidet, vermoͤge des natuͤrlichen Zu-
ſammenhangs aller Kraͤfte des thieriſchen Koͤrpers, verur-
ſachet werden; ſo koͤnnen auch dieſe durch die bloße Nerven-
kraft der aͤußern ſinnlichen Eindruͤcke, die die Leidenſchaft
veranlaſſen, nicht anders als unter eben der Bedingung er-
ſetzet werden. So koͤnnen z. E. die Seelenwirkungen der
Freude, der ſchnellere, freye Herzſchlag, die halb convul-
ſiviſche Bewegung des Zwerchfelles beym Lachen, §. 524.
und jede willkuͤhrliche Bewegung der Muskeln beym Tan-
zen, Springen, ꝛc. §. 307. einzeln vollkommen durch die
Nervenkraͤfte erſetzet werden, wie aus dem, was in den
vorigen Kapiteln erwieſen worden, ſattſam erhellet. Sollte
man aber bey den meiſten Arten der Freude bis auf ihre
erſte veranlaſſende Empfindung zuruͤckgehen, und aus ihren
aͤußern ſinnlichen Eindruͤcken allein. z. E. aus den Ner-
venwirkungen des Weins, einer Muſik, eines Anblicks,
eines Vortrags, alle dieſe thieriſche Bewegungen in der
Ordnung, wie ſie daraus Seelenwirkungen der Freude,
Froͤhlichkeit ꝛc. werden, und die uͤbrigen Wirkungen dieſer
Leidenſchaften in der thieriſchen Oeconomie, z. E. den frey-
ern Umlauf, die vermehrte Ausduͤnſtung der Haut, u. ſ. w.
auf eben die Weiſe, wie bey den Trieben geſchehen iſt, §.
553 — 561. herleiten; ſo wuͤrde man die Beyſpiele da-
von in der Erfahrung gewiß vergeblich ſuchen, außer in
den Faͤllen, wo dieſe Leidenſchaften ſich, nach der Art wie
der Trieb zum Vergnuͤgen, aufs naͤchſte aus den aͤußern
Empfindungen dieſer aͤußern ſinnlichen Eindruͤcke entwi-
ckeln: z. E. wenn eine Raupenpuppe, die man in die Son-
ne leget, ſolche Wendungen und Kruͤmmungen machet, die
ſie aus Wolluſt vom Gefuͤhle der Waͤrme machen moͤchte,
oder wenn man ein erſtarrt gebornes Kind durch Waſchen
mit Weine dahin bringt, daß ſich ſein Herz reget, das
Zwerchfell auf und nieder beweget, und die Glieder ruͤhren,
gleich als wuͤrde es von den erfreuenden Einfluͤſſen des
Weins belebet, oder, wenn ein enthaupteter Schmetterling

durch
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[574/0598] II Th. Nervenkr. 4 K. Verh. zu den th. Seelenkr. der thieriſchen Oeconomie, wodurch ſich jede Leidenſchaft von der andern unterſcheidet, vermoͤge des natuͤrlichen Zu- ſammenhangs aller Kraͤfte des thieriſchen Koͤrpers, verur- ſachet werden; ſo koͤnnen auch dieſe durch die bloße Nerven- kraft der aͤußern ſinnlichen Eindruͤcke, die die Leidenſchaft veranlaſſen, nicht anders als unter eben der Bedingung er- ſetzet werden. So koͤnnen z. E. die Seelenwirkungen der Freude, der ſchnellere, freye Herzſchlag, die halb convul- ſiviſche Bewegung des Zwerchfelles beym Lachen, §. 524. und jede willkuͤhrliche Bewegung der Muskeln beym Tan- zen, Springen, ꝛc. §. 307. einzeln vollkommen durch die Nervenkraͤfte erſetzet werden, wie aus dem, was in den vorigen Kapiteln erwieſen worden, ſattſam erhellet. Sollte man aber bey den meiſten Arten der Freude bis auf ihre erſte veranlaſſende Empfindung zuruͤckgehen, und aus ihren aͤußern ſinnlichen Eindruͤcken allein. z. E. aus den Ner- venwirkungen des Weins, einer Muſik, eines Anblicks, eines Vortrags, alle dieſe thieriſche Bewegungen in der Ordnung, wie ſie daraus Seelenwirkungen der Freude, Froͤhlichkeit ꝛc. werden, und die uͤbrigen Wirkungen dieſer Leidenſchaften in der thieriſchen Oeconomie, z. E. den frey- ern Umlauf, die vermehrte Ausduͤnſtung der Haut, u. ſ. w. auf eben die Weiſe, wie bey den Trieben geſchehen iſt, §. 553 — 561. herleiten; ſo wuͤrde man die Beyſpiele da- von in der Erfahrung gewiß vergeblich ſuchen, außer in den Faͤllen, wo dieſe Leidenſchaften ſich, nach der Art wie der Trieb zum Vergnuͤgen, aufs naͤchſte aus den aͤußern Empfindungen dieſer aͤußern ſinnlichen Eindruͤcke entwi- ckeln: z. E. wenn eine Raupenpuppe, die man in die Son- ne leget, ſolche Wendungen und Kruͤmmungen machet, die ſie aus Wolluſt vom Gefuͤhle der Waͤrme machen moͤchte, oder wenn man ein erſtarrt gebornes Kind durch Waſchen mit Weine dahin bringt, daß ſich ſein Herz reget, das Zwerchfell auf und nieder beweget, und die Glieder ruͤhren, gleich als wuͤrde es von den erfreuenden Einfluͤſſen des Weins belebet, oder, wenn ein enthaupteter Schmetterling durch

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Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 574. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/598>, abgerufen am 30.04.2024.