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Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.

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I Th. Thier. Seelenkr. 2 Kap. An sich betr.
wie das Nervenmark eine Berührung, oder irgend jede an-
dere Einwirkung in sich annimmt, ist schon selbst thierisch,
und weicht ganz von den physischen und mechanischen Ge-
setzen der Mittheilung der Bewegung ab. Jn jedem Fal-
le, wo die Berührung des Marks selbst die allerlebhafte-
sten thierischen Wirkungen, es seyn nun Vorstellungen in
der Seele, oder Bewegungen durch thierische Seelenkräfte,
oder durch blos thierische Kräfte §. 6. hervorbringt, ist im
Nervenmarke nicht eine Spur von irgend einer Bewegung,
ja gar keine sichtbare Veränderung vorhanden. Auch rich-
ten sich die thierischen Wirkungen einer solchen Berührung
gänzlich nicht nach der Beschaffenheit und Stärke dersel-
ben, wie wenn Körper durch einen Druck, Stoß, u. s.
w. physicalisch ineinander wirken, sondern es kann oft die
leichteste Berührung die lebhaftesten, und oft eine weit stär-
kere viel schwächere Wirkungen in einerley Nerven thun.
Gewisse Berührungen, ob sie gleich in das Mark eines
Nerven wirklich physicalisch stärker wirken, können ihn
doch nicht zu seiner thierischen Verrichtung reizen, wie z.
E. ein Schall, der alle Gebeine des Haupts erschüttert,
den Augennerven nicht thierisch rühret. Es ist also die
Art und Weise, wie ein Nerve einen äußern sinnlichen Ein-
druck empfängt, schon an sich die Wirkung einer thierischen
Kraft im Nervenmarke, und eben so ist es die Fortpflan-
zung dieses empfangenen Eindrucks im Nerven nach dem
Gehirne. Denn es ist im Nervenmarke nichts vorhan-
den, woraus sich nach physicalischen oder mechanischen
Gründen dieser Fortgang erklären ließe. Das Nerven-
mark ist nicht hart, noch elastisch, sondern ein weicher Kör-
per, der nach den Gesetzen der Naturlehre die Fortpflan-
zung der Bewegung hindern und endigen müßte. Gleich-
wohl geschieht dieser Fortgang, sobald nur der äußere sinn-
liche Eindruck geschehen ist, so augenblicklich und schnell,
daß sich die Seele oft keinen Zeitraum zwischen der Berüh-
rung und der erfolgten thierischen Wirkung in einem vom
Orte des Eindrucks weit entfernten Theile des Körpers, ge-

denken

I Th. Thier. Seelenkr. 2 Kap. An ſich betr.
wie das Nervenmark eine Beruͤhrung, oder irgend jede an-
dere Einwirkung in ſich annimmt, iſt ſchon ſelbſt thieriſch,
und weicht ganz von den phyſiſchen und mechaniſchen Ge-
ſetzen der Mittheilung der Bewegung ab. Jn jedem Fal-
le, wo die Beruͤhrung des Marks ſelbſt die allerlebhafte-
ſten thieriſchen Wirkungen, es ſeyn nun Vorſtellungen in
der Seele, oder Bewegungen durch thieriſche Seelenkraͤfte,
oder durch blos thieriſche Kraͤfte §. 6. hervorbringt, iſt im
Nervenmarke nicht eine Spur von irgend einer Bewegung,
ja gar keine ſichtbare Veraͤnderung vorhanden. Auch rich-
ten ſich die thieriſchen Wirkungen einer ſolchen Beruͤhrung
gaͤnzlich nicht nach der Beſchaffenheit und Staͤrke derſel-
ben, wie wenn Koͤrper durch einen Druck, Stoß, u. ſ.
w. phyſicaliſch ineinander wirken, ſondern es kann oft die
leichteſte Beruͤhrung die lebhafteſten, und oft eine weit ſtaͤr-
kere viel ſchwaͤchere Wirkungen in einerley Nerven thun.
Gewiſſe Beruͤhrungen, ob ſie gleich in das Mark eines
Nerven wirklich phyſicaliſch ſtaͤrker wirken, koͤnnen ihn
doch nicht zu ſeiner thieriſchen Verrichtung reizen, wie z.
E. ein Schall, der alle Gebeine des Haupts erſchuͤttert,
den Augennerven nicht thieriſch ruͤhret. Es iſt alſo die
Art und Weiſe, wie ein Nerve einen aͤußern ſinnlichen Ein-
druck empfaͤngt, ſchon an ſich die Wirkung einer thieriſchen
Kraft im Nervenmarke, und eben ſo iſt es die Fortpflan-
zung dieſes empfangenen Eindrucks im Nerven nach dem
Gehirne. Denn es iſt im Nervenmarke nichts vorhan-
den, woraus ſich nach phyſicaliſchen oder mechaniſchen
Gruͤnden dieſer Fortgang erklaͤren ließe. Das Nerven-
mark iſt nicht hart, noch elaſtiſch, ſondern ein weicher Koͤr-
per, der nach den Geſetzen der Naturlehre die Fortpflan-
zung der Bewegung hindern und endigen muͤßte. Gleich-
wohl geſchieht dieſer Fortgang, ſobald nur der aͤußere ſinn-
liche Eindruck geſchehen iſt, ſo augenblicklich und ſchnell,
daß ſich die Seele oft keinen Zeitraum zwiſchen der Beruͤh-
rung und der erfolgten thieriſchen Wirkung in einem vom
Orte des Eindrucks weit entfernten Theile des Koͤrpers, ge-

denken
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[50/0074] I Th. Thier. Seelenkr. 2 Kap. An ſich betr. wie das Nervenmark eine Beruͤhrung, oder irgend jede an- dere Einwirkung in ſich annimmt, iſt ſchon ſelbſt thieriſch, und weicht ganz von den phyſiſchen und mechaniſchen Ge- ſetzen der Mittheilung der Bewegung ab. Jn jedem Fal- le, wo die Beruͤhrung des Marks ſelbſt die allerlebhafte- ſten thieriſchen Wirkungen, es ſeyn nun Vorſtellungen in der Seele, oder Bewegungen durch thieriſche Seelenkraͤfte, oder durch blos thieriſche Kraͤfte §. 6. hervorbringt, iſt im Nervenmarke nicht eine Spur von irgend einer Bewegung, ja gar keine ſichtbare Veraͤnderung vorhanden. Auch rich- ten ſich die thieriſchen Wirkungen einer ſolchen Beruͤhrung gaͤnzlich nicht nach der Beſchaffenheit und Staͤrke derſel- ben, wie wenn Koͤrper durch einen Druck, Stoß, u. ſ. w. phyſicaliſch ineinander wirken, ſondern es kann oft die leichteſte Beruͤhrung die lebhafteſten, und oft eine weit ſtaͤr- kere viel ſchwaͤchere Wirkungen in einerley Nerven thun. Gewiſſe Beruͤhrungen, ob ſie gleich in das Mark eines Nerven wirklich phyſicaliſch ſtaͤrker wirken, koͤnnen ihn doch nicht zu ſeiner thieriſchen Verrichtung reizen, wie z. E. ein Schall, der alle Gebeine des Haupts erſchuͤttert, den Augennerven nicht thieriſch ruͤhret. Es iſt alſo die Art und Weiſe, wie ein Nerve einen aͤußern ſinnlichen Ein- druck empfaͤngt, ſchon an ſich die Wirkung einer thieriſchen Kraft im Nervenmarke, und eben ſo iſt es die Fortpflan- zung dieſes empfangenen Eindrucks im Nerven nach dem Gehirne. Denn es iſt im Nervenmarke nichts vorhan- den, woraus ſich nach phyſicaliſchen oder mechaniſchen Gruͤnden dieſer Fortgang erklaͤren ließe. Das Nerven- mark iſt nicht hart, noch elaſtiſch, ſondern ein weicher Koͤr- per, der nach den Geſetzen der Naturlehre die Fortpflan- zung der Bewegung hindern und endigen muͤßte. Gleich- wohl geſchieht dieſer Fortgang, ſobald nur der aͤußere ſinn- liche Eindruck geſchehen iſt, ſo augenblicklich und ſchnell, daß ſich die Seele oft keinen Zeitraum zwiſchen der Beruͤh- rung und der erfolgten thieriſchen Wirkung in einem vom Orte des Eindrucks weit entfernten Theile des Koͤrpers, ge- denken

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Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/74>, abgerufen am 28.04.2024.