Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

Gestalt und auf noch unbetretenem Pfade erscheint. So
wurde denn jene Aeußerung, obwohl von einer Seite
her kommend, der man sonst gern ursprüngliche und
lichte Wahrheit, einfaches und gradedurchgehendes Er¬
schauen anzuerkennen gewohnt war, von den Meisten
als ein seltsames, nicht zu verstehendes Paradoxon mit
bloßem Verwundern angehört, oder als ein willkür¬
licher, nicht begründbarer Einfall mit Kopfschütteln
beseitigt.

Doch hätte schon damals ein weiteres Entfalten
der hier zum Grunde liegenden Gedankenverbindung
sehr gut geschehen und der Eingang zu allgemeinerem
Verständnisse sich leicht eröffnen lassen, wenn jemand
des Sinnes gewesen wäre, auf den Gehalt jenes
Werkes eben so kritisch Augenmerk und Fleiß zu rich¬
ten, als bis dahin vorzugsweise nur dem Stoffe und
der Gestalt desselben zu Theil geworden war. In
dem Buche selbst lagen noch Elemente und Beziehun¬
gen genug aufzufinden und zu vereinigen, welche jenen
Gedanken tragen und haben mußten, und die beiden
Textstellen konnten in mehr oder minder verhüllten
Variationen dem leisen Aufmerken noch oft vernehmbar
durchklingen. Wessen Sinn auf inneren Zusammenhang
und tiefere Bedeutung gerichtet war, mußte wohl dun¬
kel fühlen, daß es mit den merkwürdigen Bekenntnissen
und Ausbrüchen, welchen die Alte bei Erzählung von
Marianens Tod über deren und ihre eignen Verhält¬

Geſtalt und auf noch unbetretenem Pfade erſcheint. So
wurde denn jene Aeußerung, obwohl von einer Seite
her kommend, der man ſonſt gern urſpruͤngliche und
lichte Wahrheit, einfaches und gradedurchgehendes Er¬
ſchauen anzuerkennen gewohnt war, von den Meiſten
als ein ſeltſames, nicht zu verſtehendes Paradoxon mit
bloßem Verwundern angehoͤrt, oder als ein willkuͤr¬
licher, nicht begruͤndbarer Einfall mit Kopfſchuͤtteln
beſeitigt.

Doch haͤtte ſchon damals ein weiteres Entfalten
der hier zum Grunde liegenden Gedankenverbindung
ſehr gut geſchehen und der Eingang zu allgemeinerem
Verſtaͤndniſſe ſich leicht eroͤffnen laſſen, wenn jemand
des Sinnes geweſen waͤre, auf den Gehalt jenes
Werkes eben ſo kritiſch Augenmerk und Fleiß zu rich¬
ten, als bis dahin vorzugsweiſe nur dem Stoffe und
der Geſtalt deſſelben zu Theil geworden war. In
dem Buche ſelbſt lagen noch Elemente und Beziehun¬
gen genug aufzufinden und zu vereinigen, welche jenen
Gedanken tragen und haben mußten, und die beiden
Textſtellen konnten in mehr oder minder verhuͤllten
Variationen dem leiſen Aufmerken noch oft vernehmbar
durchklingen. Weſſen Sinn auf inneren Zuſammenhang
und tiefere Bedeutung gerichtet war, mußte wohl dun¬
kel fuͤhlen, daß es mit den merkwuͤrdigen Bekenntniſſen
und Ausbruͤchen, welchen die Alte bei Erzaͤhlung von
Marianens Tod uͤber deren und ihre eignen Verhaͤlt¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0428" n="414"/>
Ge&#x017F;talt und auf noch unbetretenem Pfade er&#x017F;cheint. So<lb/>
wurde denn jene Aeußerung, obwohl von einer Seite<lb/>
her kommend, der man &#x017F;on&#x017F;t gern ur&#x017F;pru&#x0364;ngliche und<lb/>
lichte Wahrheit, einfaches und gradedurchgehendes Er¬<lb/>
&#x017F;chauen anzuerkennen gewohnt war, von den Mei&#x017F;ten<lb/>
als ein &#x017F;elt&#x017F;ames, nicht zu ver&#x017F;tehendes Paradoxon mit<lb/>
bloßem Verwundern angeho&#x0364;rt, oder als ein willku&#x0364;<lb/>
licher, nicht begru&#x0364;ndbarer Einfall mit Kopf&#x017F;chu&#x0364;tteln<lb/>
be&#x017F;eitigt.</p><lb/>
          <p>Doch ha&#x0364;tte &#x017F;chon damals ein weiteres Entfalten<lb/>
der hier zum Grunde liegenden Gedankenverbindung<lb/>
&#x017F;ehr gut ge&#x017F;chehen und der Eingang zu allgemeinerem<lb/>
Ver&#x017F;ta&#x0364;ndni&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ich leicht ero&#x0364;ffnen la&#x017F;&#x017F;en, wenn jemand<lb/>
des Sinnes gewe&#x017F;en wa&#x0364;re, auf den <hi rendition="#g">Gehalt</hi> jenes<lb/>
Werkes eben &#x017F;o kriti&#x017F;ch Augenmerk und Fleiß zu rich¬<lb/>
ten, als bis dahin vorzugswei&#x017F;e nur dem <hi rendition="#g">Stoffe</hi> und<lb/>
der <hi rendition="#g">Ge&#x017F;talt</hi> de&#x017F;&#x017F;elben zu Theil geworden war. In<lb/>
dem Buche &#x017F;elb&#x017F;t lagen noch Elemente und Beziehun¬<lb/>
gen genug aufzufinden und zu vereinigen, welche jenen<lb/>
Gedanken tragen und haben mußten, und die beiden<lb/>
Text&#x017F;tellen konnten in mehr oder minder verhu&#x0364;llten<lb/>
Variationen dem lei&#x017F;en Aufmerken noch oft vernehmbar<lb/>
durchklingen. We&#x017F;&#x017F;en Sinn auf inneren Zu&#x017F;ammenhang<lb/>
und tiefere Bedeutung gerichtet war, mußte wohl dun¬<lb/>
kel fu&#x0364;hlen, daß es mit den merkwu&#x0364;rdigen Bekenntni&#x017F;&#x017F;en<lb/>
und Ausbru&#x0364;chen, welchen die Alte bei Erza&#x0364;hlung von<lb/>
Marianens Tod u&#x0364;ber deren und ihre eignen Verha&#x0364;lt¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[414/0428] Geſtalt und auf noch unbetretenem Pfade erſcheint. So wurde denn jene Aeußerung, obwohl von einer Seite her kommend, der man ſonſt gern urſpruͤngliche und lichte Wahrheit, einfaches und gradedurchgehendes Er¬ ſchauen anzuerkennen gewohnt war, von den Meiſten als ein ſeltſames, nicht zu verſtehendes Paradoxon mit bloßem Verwundern angehoͤrt, oder als ein willkuͤr¬ licher, nicht begruͤndbarer Einfall mit Kopfſchuͤtteln beſeitigt. Doch haͤtte ſchon damals ein weiteres Entfalten der hier zum Grunde liegenden Gedankenverbindung ſehr gut geſchehen und der Eingang zu allgemeinerem Verſtaͤndniſſe ſich leicht eroͤffnen laſſen, wenn jemand des Sinnes geweſen waͤre, auf den Gehalt jenes Werkes eben ſo kritiſch Augenmerk und Fleiß zu rich¬ ten, als bis dahin vorzugsweiſe nur dem Stoffe und der Geſtalt deſſelben zu Theil geworden war. In dem Buche ſelbſt lagen noch Elemente und Beziehun¬ gen genug aufzufinden und zu vereinigen, welche jenen Gedanken tragen und haben mußten, und die beiden Textſtellen konnten in mehr oder minder verhuͤllten Variationen dem leiſen Aufmerken noch oft vernehmbar durchklingen. Weſſen Sinn auf inneren Zuſammenhang und tiefere Bedeutung gerichtet war, mußte wohl dun¬ kel fuͤhlen, daß es mit den merkwuͤrdigen Bekenntniſſen und Ausbruͤchen, welchen die Alte bei Erzaͤhlung von Marianens Tod uͤber deren und ihre eignen Verhaͤlt¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/428
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/428>, abgerufen am 19.04.2024.