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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

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kann, und auch über die gewöhnlichsten Dinge nicht mehr
Rede stehen kann, niemals weiß wo ich wohl anfangen sollte,
und was ich so eigentlich zu vertheidigen habe. Sie haben
mir noch ein Stück zur Erklärung der Mißverständnisse der
Leute über mich geliefert: ja ja, sie mögen gewiß Recht
haben, aber -- erstlich schaden sie mir und helfen sie mir
gar nicht, Freude hab' ich von keinem, und wär' ich -- wo-
für sie sich ausgeben, so würden sie mir in meiner Gegen-
wart nicht besser begegnen, als sie thun, denn ich muß es
nur sagen, in meiner Gegenwart genieße ich die größte Ach-
tung, und welcher Mensch hat nicht die Hälfte der Andern
wider sich! Mir also kann, muß, mit einer sehr kleinen Zahl
für mich sehr genügen, sogar überflüssig, wenn ich als er-
bärmliches Mädchen bedenke, wie die für mich sein müssen.
Abscheulichkeiten (im Sinn der Leute) erinnere ich mich schlech-
terdings nicht gesagt zu haben; sogar in individuellen Ge-
schichten geb' ich immer dem Unrecht, der mit mir spricht --
darüber muß sich die Honnetetät freuen; freilich erinnere ich
mich oft vertheidigt zu haben, was die unbegreifenden
Stümper alle thun -- mehr oder weniger, mit erstaunten
Abtheilungen und Modifikationen -- das ist aber alles meine
rechte Schuld nicht: sie könnens mir gar nicht vergessen, daß
ich zu meinen vierzehn Jahren witzig war, sie fürchten mich, weil
sie mich für klug halten (ihr gewöhnlich Wort); sie wissen
aber nicht, daß ich einen verständigen Gedanken im Kopf
habe; aber ein paar Bonmots sind ihnen von mir zu Ohren
gekommen, die meistens Tadel überzogen, und nun ist ihnen
jeder Blick aus meinen unglücklich tiefliegenden Augen zu-

kann, und auch über die gewöhnlichſten Dinge nicht mehr
Rede ſtehen kann, niemals weiß wo ich wohl anfangen ſollte,
und was ich ſo eigentlich zu vertheidigen habe. Sie haben
mir noch ein Stück zur Erklärung der Mißverſtändniſſe der
Leute über mich geliefert: ja ja, ſie mögen gewiß Recht
haben, aber — erſtlich ſchaden ſie mir und helfen ſie mir
gar nicht, Freude hab’ ich von keinem, und wär’ ich — wo-
für ſie ſich ausgeben, ſo würden ſie mir in meiner Gegen-
wart nicht beſſer begegnen, als ſie thun, denn ich muß es
nur ſagen, in meiner Gegenwart genieße ich die größte Ach-
tung, und welcher Menſch hat nicht die Hälfte der Andern
wider ſich! Mir alſo kann, muß, mit einer ſehr kleinen Zahl
für mich ſehr genügen, ſogar überflüſſig, wenn ich als er-
bärmliches Mädchen bedenke, wie die für mich ſein müſſen.
Abſcheulichkeiten (im Sinn der Leute) erinnere ich mich ſchlech-
terdings nicht geſagt zu haben; ſogar in individuellen Ge-
ſchichten geb’ ich immer dem Unrecht, der mit mir ſpricht —
darüber muß ſich die Honnetetät freuen; freilich erinnere ich
mich oft vertheidigt zu haben, was die unbegreifenden
Stümper alle thun — mehr oder weniger, mit erſtaunten
Abtheilungen und Modifikationen — das iſt aber alles meine
rechte Schuld nicht: ſie könnens mir gar nicht vergeſſen, daß
ich zu meinen vierzehn Jahren witzig war, ſie fürchten mich, weil
ſie mich für klug halten (ihr gewöhnlich Wort); ſie wiſſen
aber nicht, daß ich einen verſtändigen Gedanken im Kopf
habe; aber ein paar Bonmots ſind ihnen von mir zu Ohren
gekommen, die meiſtens Tadel überzogen, und nun iſt ihnen
jeder Blick aus meinen unglücklich tiefliegenden Augen zu-

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[121/0135] kann, und auch über die gewöhnlichſten Dinge nicht mehr Rede ſtehen kann, niemals weiß wo ich wohl anfangen ſollte, und was ich ſo eigentlich zu vertheidigen habe. Sie haben mir noch ein Stück zur Erklärung der Mißverſtändniſſe der Leute über mich geliefert: ja ja, ſie mögen gewiß Recht haben, aber — erſtlich ſchaden ſie mir und helfen ſie mir gar nicht, Freude hab’ ich von keinem, und wär’ ich — wo- für ſie ſich ausgeben, ſo würden ſie mir in meiner Gegen- wart nicht beſſer begegnen, als ſie thun, denn ich muß es nur ſagen, in meiner Gegenwart genieße ich die größte Ach- tung, und welcher Menſch hat nicht die Hälfte der Andern wider ſich! Mir alſo kann, muß, mit einer ſehr kleinen Zahl für mich ſehr genügen, ſogar überflüſſig, wenn ich als er- bärmliches Mädchen bedenke, wie die für mich ſein müſſen. Abſcheulichkeiten (im Sinn der Leute) erinnere ich mich ſchlech- terdings nicht geſagt zu haben; ſogar in individuellen Ge- ſchichten geb’ ich immer dem Unrecht, der mit mir ſpricht — darüber muß ſich die Honnetetät freuen; freilich erinnere ich mich oft vertheidigt zu haben, was die unbegreifenden Stümper alle thun — mehr oder weniger, mit erſtaunten Abtheilungen und Modifikationen — das iſt aber alles meine rechte Schuld nicht: ſie könnens mir gar nicht vergeſſen, daß ich zu meinen vierzehn Jahren witzig war, ſie fürchten mich, weil ſie mich für klug halten (ihr gewöhnlich Wort); ſie wiſſen aber nicht, daß ich einen verſtändigen Gedanken im Kopf habe; aber ein paar Bonmots ſind ihnen von mir zu Ohren gekommen, die meiſtens Tadel überzogen, und nun iſt ihnen jeder Blick aus meinen unglücklich tiefliegenden Augen zu-

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/135>, abgerufen am 19.04.2024.