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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

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Die Auswahl selbst werde ich bei den Freunden nicht
erst rechtfertigen dürfen. Nur Freunden aber ist diese Mit-
theilung bestimmt. Wer sie als Unbekannter und Fremder
empfängt, möge den Inhalt aufnehmen, wie den eines gefun-
denen Briefes, der an ihn zwar nicht geschrieben ist, aber grade
deßhalb von ihm billig und bescheiden behandelt zu werden
hofft. Wissentlich habe ich kein Blatt gewählt, das für Le-
bende verletzend sein könnte; daß nicht jeder Tadel als solcher
es sein müsse, versteht sich von selbst. Die nicht ausgespro-
chenen Namen wolle man nicht deßhalb immer auf lebende
oder sehr bekannte Personen beziehen; das Errathen würde zu-
weilen um des Gegentheils willen schwer sein; öfters ist auch
die Bescheidenheit der Andeutung gar nicht auf Verhüllung
abgesehn. In Betreff Rahels selbst glaubte ich ihre eigne
Wahrheitsliebe und Aufrichtigkeit zur Richtschnur nehmen zu
müssen; sie hat aus ihrem Leben und ihren Ansichten und
Empfindungen nie ein Geheimniß gemacht, und in keinem
Fall anders scheinen wollen, als sie wirklich war; auch kann
sie in der That bei allen Edeln und Unbefangenen nur ge-
winnen, je vollständiger der Grund ihres Innern erkannt
wird, der den Begegnissen und Aufgaben des Lebens ein so
fruchtbarer Boden sein mußte. Der Mangel der Vollständig-
keit in diesen Darlegungen könnte das einzige sein, was die
Mittheilungen vereinzelter Bekenntnisse für jetzt noch bedenk-
lich machen dürfte, wenn in dem Sinn und Geiste derer,
welche hier nicht nur als geneigte, sondern auch als vertraute
Leser gedacht werden, nicht die sicherste Gewähr der Beruhi-
gung läge.


1 *

Die Auswahl ſelbſt werde ich bei den Freunden nicht
erſt rechtfertigen dürfen. Nur Freunden aber iſt dieſe Mit-
theilung beſtimmt. Wer ſie als Unbekannter und Fremder
empfängt, möge den Inhalt aufnehmen, wie den eines gefun-
denen Briefes, der an ihn zwar nicht geſchrieben iſt, aber grade
deßhalb von ihm billig und beſcheiden behandelt zu werden
hofft. Wiſſentlich habe ich kein Blatt gewählt, das für Le-
bende verletzend ſein könnte; daß nicht jeder Tadel als ſolcher
es ſein müſſe, verſteht ſich von ſelbſt. Die nicht ausgeſpro-
chenen Namen wolle man nicht deßhalb immer auf lebende
oder ſehr bekannte Perſonen beziehen; das Errathen würde zu-
weilen um des Gegentheils willen ſchwer ſein; öfters iſt auch
die Beſcheidenheit der Andeutung gar nicht auf Verhüllung
abgeſehn. In Betreff Rahels ſelbſt glaubte ich ihre eigne
Wahrheitsliebe und Aufrichtigkeit zur Richtſchnur nehmen zu
müſſen; ſie hat aus ihrem Leben und ihren Anſichten und
Empfindungen nie ein Geheimniß gemacht, und in keinem
Fall anders ſcheinen wollen, als ſie wirklich war; auch kann
ſie in der That bei allen Edeln und Unbefangenen nur ge-
winnen, je vollſtändiger der Grund ihres Innern erkannt
wird, der den Begegniſſen und Aufgaben des Lebens ein ſo
fruchtbarer Boden ſein mußte. Der Mangel der Vollſtändig-
keit in dieſen Darlegungen könnte das einzige ſein, was die
Mittheilungen vereinzelter Bekenntniſſe für jetzt noch bedenk-
lich machen dürfte, wenn in dem Sinn und Geiſte derer,
welche hier nicht nur als geneigte, ſondern auch als vertraute
Leſer gedacht werden, nicht die ſicherſte Gewähr der Beruhi-
gung läge.


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[3/0017] Die Auswahl ſelbſt werde ich bei den Freunden nicht erſt rechtfertigen dürfen. Nur Freunden aber iſt dieſe Mit- theilung beſtimmt. Wer ſie als Unbekannter und Fremder empfängt, möge den Inhalt aufnehmen, wie den eines gefun- denen Briefes, der an ihn zwar nicht geſchrieben iſt, aber grade deßhalb von ihm billig und beſcheiden behandelt zu werden hofft. Wiſſentlich habe ich kein Blatt gewählt, das für Le- bende verletzend ſein könnte; daß nicht jeder Tadel als ſolcher es ſein müſſe, verſteht ſich von ſelbſt. Die nicht ausgeſpro- chenen Namen wolle man nicht deßhalb immer auf lebende oder ſehr bekannte Perſonen beziehen; das Errathen würde zu- weilen um des Gegentheils willen ſchwer ſein; öfters iſt auch die Beſcheidenheit der Andeutung gar nicht auf Verhüllung abgeſehn. In Betreff Rahels ſelbſt glaubte ich ihre eigne Wahrheitsliebe und Aufrichtigkeit zur Richtſchnur nehmen zu müſſen; ſie hat aus ihrem Leben und ihren Anſichten und Empfindungen nie ein Geheimniß gemacht, und in keinem Fall anders ſcheinen wollen, als ſie wirklich war; auch kann ſie in der That bei allen Edeln und Unbefangenen nur ge- winnen, je vollſtändiger der Grund ihres Innern erkannt wird, der den Begegniſſen und Aufgaben des Lebens ein ſo fruchtbarer Boden ſein mußte. Der Mangel der Vollſtändig- keit in dieſen Darlegungen könnte das einzige ſein, was die Mittheilungen vereinzelter Bekenntniſſe für jetzt noch bedenk- lich machen dürfte, wenn in dem Sinn und Geiſte derer, welche hier nicht nur als geneigte, ſondern auch als vertraute Leſer gedacht werden, nicht die ſicherſte Gewähr der Beruhi- gung läge. 1 *

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/17>, abgerufen am 25.04.2024.